Klimawandel:Deutsche Wirtschaft fürchtet Chaos wegen CO₂-Grenzabgabe

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Auf emissionsintensive Einfuhren wie Stahl oder Zement wird künftig eine Abgabe fällig. (Foto: Kevin Frayer/Getty Images)

An diesem Sonntag beginnt die Testphase der neuen EU-Klimazölle - und damit eine neue Ära in den Klimaschutzbemühungen der EU. Doch viele Unternehmen ächzen unter der neuen Vorgabe.

Von Michael Bauchmüller, Jan Diesteldorf und Björn Finke, Berlin, Brüssel, Düsseldorf

Große Dinge kommen manchmal ganz still daher. Und manchmal so still, dass sich keiner recht darauf vorbereitet. So ist die Lage auch beim neuesten Klimaschutzinstrument der EU: dem "Grenzausgleich" für klimaschädliche Emissionen. Wissenschaftler fordern ihn seit Jahren, Handelspartner rebellieren - denn erstmals sollen auch klimaschädliche Importe in die EU einen Aufpreis bekommen. Anfangen soll das alles mit einer Erprobungsphase an diesem Sonntag.

Damit beginnt nicht weniger als eine neue Ära in den Klimaschutzbemühungen der EU. Fast zwei Jahrzehnte nachdem Europas Kraftwerke und Fabriken gelernt haben, für ihre Emissionen Zertifikate zu kaufen, entsteht mit diesem "Emissionszoll" das Pendant für Zulieferer jenseits der Grenzen. Es ist ein gut erforschtes, aber in der Praxis nie angewandtes Instrument: Auf emissionsintensive Einfuhren wie Stahl oder Zement wird künftig eine Abgabe fällig - zumindest, solange es im Herkunftsland keinen oder einen zu niedrigen CO₂-Preis gibt. Das soll die Wettbewerbsnachteile europäischer Firmen ausgleichen. Soweit die Theorie.

In der Praxis ist die Unruhe groß, denn zentrale Fragen sind immer noch ungeklärt. Offen ist zum Beispiel, wer diesen Grenzausgleich überhaupt administrieren soll. Ist das ein Job für die Zollämter? Oder für jene Deutsche Emissionshandelsstelle, die bisher schon die Bepreisung von Emissionen verwaltet? Das eine läge im Geschäftsbereich des Bundesfinanzministeriums, das andere in dem des Wirtschaftsministeriums. Eine Einigung dazu steht nach Monaten immer noch aus. "Damit haben die Unternehmen bislang auch niemanden, an den sie sich wenden können", sagt Carsten Rolle, Chef der Energieabteilung beim Industrieverband BDI. Angesichts mehrerer hundert Seiten an Durchführungsverordnung gebe es allerdings jede Menge Fragen. "Es gibt da im Augenblick ziemlich viel Aufregung und Verunsicherung", sagt Rolle.

Unternehmen warnen vor "bürokratischem Mehraufwand", es mangelt an Fachleuten

Der Carbon Border Adjustment Mechanism, kurz CBAM, wie er offiziell heißt, sieht vor, dass Importeure einen Aufschlag zahlen müssen, wenn sie Eisen, Stahl und Aluminium, Zement, Dünger, Wasserstoff oder Strom importieren. Das betrifft auch Vorprodukte und einfache Erzeugnisse. Von diesem Sonntag an müssen Firmen genau dokumentieren, wie viele Emissionen bei der Produktion der Importe entstanden sind. Sie müssen außerdem die Daten der Kommission melden. Kommen sie der Meldepflicht nicht nach, drohen mittelfristig Strafen, die bei bis zu 50 Euro je Tonne Klimagas liegen können. Drei Jahre lang läuft die Testphase, in der noch keine Zölle fällig werden.

Derzeit kämpfen alle Betroffenen mit Gesetzestext und Leitlinien, müssen eruieren, was für sie gilt, und das gegebenenfalls Geschäftspartnern erklären. Europas größter unabhängiger Stahlhändler Klöckner & Co. kritisiert, die Regelung führe bei Importen zu "bürokratischem Mehraufwand". Wie groß der sei, werde sich bald zeigen, sagte ein Sprecher. Denn zuerst muss sich herausstellen, ob und wie leicht Zulieferer die nötigen Daten herausrücken. "Die Unternehmen kommen sich vor wie Schüler, die ihren neuen ausländischen Mitschülern in wenigen Wochen Latein beibringen müssen - obwohl sie selbst gerade erst mit dem Lernen begonnen haben", sagt Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Chemieverbands VCI.

Doch selbst wenn die Firmen an die CO₂-Daten ihrer Lieferanten kommen - stimmen die dann auch? Sie müssten zertifiziert werden, wofür aber bislang die akkreditierten Fachleute fehlen. "Und was passiert, wenn ein Unternehmen außerhalb der EU die Zertifizierer nicht in seine Bücher blicken lässt?", fragt BDI-Mann Rolle. "Da liegen noch ziemlich steile Lernkurven vor uns."

Die Wissenschaft hat diese Lernkurven bereits hinter sich, von hier kommt die Idee. Wenn andere Staaten nicht selbst einen Emissionshandel einführen und so dem CO₂ einen Preis geben, sollen sie das zumindest für Importe tun. "Die Idee ist ein Mechanismus, der sicherstellt, dass jeder in Europa den gleichen CO₂-Preis zahlt", sagt der Münchner Ökonomieprofessor Klaus Schmidt. "Egal, ob er in Europa produziert oder anderswo." Mehr noch: Der Mechanismus könnte zum Grundstein eines "Klimaklubs" werden. In dem verbünden sich Staaten, die schon einen CO₂-Preis eingeführt haben - und verlangen dann gemeinsam von allen anderen Ausgleichszahlungen. In der Folge könnten sich mehr und mehr Staaten entscheiden, einen Emissionshandel einzuführen.

Wichtige Handelspartner der EU drohen schon mit Verfahren bei der Welthandelsorganisation

Bislang erhielten emissionsintensive Unternehmen in der EU einen Teil ihrer CO₂-Zertifikate frei zugeteilt. Das läuft mit der Reform des Emissionshandels nach und nach aus. Der Klimazoll soll nun sicherstellen, dass die Firmen trotzdem international wettbewerbsfähig bleiben.

Allerdings krankt das System absehbar an seiner Einseitigkeit. Denn die EU erhebt zwar Importzölle, aber Subventionen für Exporte gibt es keine. Wer innerhalb der EU Stahl produziert, konkurriert auf dem Weltmarkt also notwendigerweise mit Unternehmen, die keiner CO₂-Abgabe unterliegen und allein deshalb einen Wettbewerbsvorteil haben. Der Anreiz, besonders klimaschädliche Produktion ins Ausland zu verlagern, bleibt entsprechend hoch. "Carbon Leakage", das Abwandern von Emissionen, heißt das in der Fachsprache. Passiert das in großem Stil, verfehlt der Emissionshandel an der Stelle seine Wirkung.

Außerdem bietet CBAM auch Stoff für Handelskonflikte. Wichtige Handelspartner der EU drohen schon mit Verfahren bei der Welthandelsorganisation. "Der von der EU vorgeschlagene Grenzausgleichsmechanismus hat bei vielen WTO-Mitgliedern Zweifel geweckt", erklärte das chinesische Handelsministerium Mitte September. Die EU solle "protektionistische Maßnahmen und grüne Handelsbarrieren vermeiden". Am Donnerstag antwortete EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni in der Financial Times auf die Bedenken. "CBAM ist vollständig mit den Regeln der Welthandelsorganisation vereinbar und dient nicht dem Schutz des Handels, sondern dem Schutz der Klimaziele der EU", schrieb er. "Ich versichere Nicht-EU-Unternehmen, dass wir von ihnen nie mehr verlangen werden als von EU-Produzenten."

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