Welthandel:Was hinter der US-Drohung im Fall Airbus steckt

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Für dieses Bild am Frankfurter Flughafen hat der Fotograf Mike Kelley viele Aufnahmen übereinandergelegt - aus der Reihe "Airportraits". Die meisten der Jets sind von Airbus oder Boeing. (Foto: Mike Kelley)

Die Regierung kündigt neue Zölle gegen Europa an. Es geht um einen Milliardenstreit zwischen Airbus und Boeing. Der Fall könnte zur Belastungsprobe für das System des Welthandels werden.

Von Michael Bauchmüller, Berlin, Jens Flottau, Frankfurt, und Jan Schmidbauer, Frankfurt/Berlin/München

Manche, die sich mit dem Welthandel befassen, bezeichnen ihn als "mother of all trade wars", als Mutter aller Handelskriege: Seit 2004 beschäftigt sich die Welthandelsorganisation (WTO) mit der Frage, ob die USA und die EU ihre Flugzeughersteller Boeing und Airbus jeweils unrechtmäßig subventioniert haben. Die Regierung von US-Präsident Trump erhöht nun den Druck und droht der EU wegen der Airbus-Subventionen mit neuen Zöllen. Washington beziffert den jährlichen Schaden durch die Airbus-Subventionen auf elf Milliarden Dollar und droht, unterschiedliche EU-Waren mit Abgaben zu belegen, von Flugzeugen über Käse bis hin zu Pinseln. Ist das die neue Eskalation im Handelskonflikt? Und worum geht es in dem Streit?

Woher rührt der Konflikt?

Bis 2004 galt ein Abkommen, das Staatshilfen für große Zivilflugzeuge regeln sollte. Es sah vor, dass Hilfen bis zu einem Drittel der Entwicklungskosten geleistet werden können. Die USA kündigten das Abkommen auf Druck des damaligen Boeing-Chefs Harry Stonecipher und brachten den Fall vor die WTO. Die EU reagierte wenige Monate später mit einem Gegenverfahren, bei dem Milliardenhilfen der USA für Boeing im Zentrum stehen. Die WTO ist inzwischen zum Ergebnis gekommen, dass beide Seiten auf unterschiedliche Weise gegen die Regeln verstoßen haben.

Wie reagieren die Hersteller? Wie reagiert die EU?

Die EU-Kommission bezeichnete die angekündigten Maßnahmen der US-Regierung als "stark übertrieben" und kündigte an, Gegenmaßnahmen vorzubereiten. Airbus bezeichnete sie als "völlig ungerechtfertigt". Boeing stellte sich erwartungsgemäß hinter die US-Regierung. Auch Präsident Trump legte am Mittwoch noch einmal nach. Die EU habe die USA im Handel jahrelang ausgenutzt, twitterte er. "Das wird bald aufhören!" Seine Worte deuten darauf hin, dass der Fall auch noch eine stärkere politische Dimension bekommen könnte.

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Sind die Subventionen, die Airbus und Boeing erhalten haben, vergleichbar?

Beide Firmen haben auf unterschiedliche Weise von staatlichen Hilfen profitiert. Boeing hat vor allem Steuernachlässe des Bundesstaates Washington in Anspruch genommen, hier befinden sich die meisten seiner Endmontagelinien. Airbus beklagt vor allem milliardenschwere US-Hilfen für die Langstreckenflugzeuge 777 und 787. Erst Ende März war die WTO zum Ergebnis gekommen, dass die Hilfen des Bundesstaates nicht mit ihren Regeln in Einklang zu bringen sind. Boeing und die USA wiederum halten die rückzahlbaren Darlehen, die die Airbus-Länder Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Spanien bereitgestellt haben, für unzulässig.

Wie geht es jetzt weiter?

Im Sommer soll das sogenannte WTO-Panel entscheiden, ob und in welcher Höhe Airbus unrechtmäßig subventioniert wurde, später dürfte eine ähnliche Entscheidung für den Boeing-Fall folgen. Trumps Handelsbeauftragter Robert Lighthizer kündigte an, die Airbus-Entscheidung abzuwarten, bevor die US-Regierung Strafzölle in Kraft setzt. Ökonomen errechnen für die WTO, wie viel Schaden im klagenden Land durch die Subventionen entstanden ist. Die Richter entscheiden dann, inwieweit etwa die USA ihre Zölle anheben dürfen, um den Schaden auszugleichen, erklärt Christian Häberli, Freihandelsexperte des World Trade Institute in Bern, der selbst lange als Richter bei der WTO gearbeitet hat.

Trump könnte die Strafzölle allerdings auch an der WTO vorbei in Kraft setzen, so wie er es für Stahl- und Aluminiumimporte aus Europa getan hat. Sollte er auf die WTO warten, wäre das eine Abkehr von seiner bisherigen Linie. Bislang versucht er, die WTO zu untergraben, indem er bilaterale Deals mit anderen Staaten anstrebt.

Warum gestalten sich solche Verfahren überhaupt so kompliziert?

Handelsstreitigkeiten vor der WTO werden in Schiedsverfahren geklärt. Keine andere multilaterale Organisation hat so einen ausgeklügelten Apparat, um Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern auszuräumen. Ein eigenes Gremium ist dafür entstanden, der "Dispute Settlement Body". Er sucht zunächst nach einer bilateralen Lösung. Scheitert diese, wird ein unabhängiges Panel eingesetzt. Gegen dessen Entscheidung kann jede Partei Einspruch einlegen, womit die Berufungsinstanz ins Spiel kommt. Die Entscheidung fällt am Ende des Dispute Settlement Body.

Würden die Regeln eingehalten, müsste ein Verfahren spätestens nach anderthalb Jahren abgeschlossen sein. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Laut einer Studie der Bar-Ilan-Universität in Israel dauerten die Verfahren zuletzt 34 Monate - im Schnitt. Einer der Gründe ist die notorische Überlastung der Instanz; zumal die USA die Neubesetzung von Richterposten in der Berufungsinstanz derzeit blockieren.

Welche Rolle spielt der Fall im laufenden Streit zwischen Trump und der EU?

Bislang keine große, aber er könnte zu einer Art Spielball im Handelsstreit werden. Trump liebt Deals. Denkbar ist nach Ansicht von Handelsexperte Häberli auch, dass die EU und die USA sich darauf einigen, ihre Subventionen für Airbus und Boeing beizubehalten und gleichzeitig den Stahlstreit und die angedrohten Zollerhöhungen für EU-Fahrzeuge fallen lassen - um dann mit den Vorbereitungen für ein bilaterales Freihandelsabkommen unter Einschluss der Landwirtschaft weiterzumachen. "Bei solchen Mega-Paketen zwischen zwei Handelsgroßmächten wächst auch die Gefahr für schmutzige Deals unter Missachtung der WTO-Regeln und zulasten von Drittländern", sagt Häberli. "Das ist eine Gefahr für den Multilateralismus und für die unseren Wohlstand absichernden Welthandelsregeln."

Die Luftverkehrsbranche hat sich verändert. Bekommen nur Airbus und Boeing Subventionen?

Nein. Vor 15 Jahren hat etwa die chinesische Luftfahrtindustrie noch keine Rolle gespielt, das ändert sich gerade. Die C919 ist ein Flugzeug der Größe eines Airbus A320. Die staatlich finanzierte Maschine dürfte auf dem Weltmarkt vorerst zwar kaum Chancen haben, aber die Industrie nutzt es als wichtige Lernerfahrung für künftige Projekte, die Boeing und Airbus gefährlich werden könnten. Auch die russische Flugzeugindustrie versucht eine Renaissance mithilfe des ambitionierten MC-21-Programms, das vollständig staatlich finanziert wird.

Versucht die US-Regierung zum ersten Mal Strafzölle auf Flugzeuge zu erheben?

Nein. Vor zwei Jahren versuchten die USA etwa, hohe Importabgaben auf Maschinen der Bombardier-C-Series zu erheben, mit dem Hinweis, das Programm habe Milliarden an Staatshilfe in Kanada erhalten. Ein amerikanisches Gericht erklärte die Abgaben für unrechtmäßig.

Jedoch hat Airbus nach der Übernahme des C-Series-Programms beschlossen, eine zweite Endmontagelinie in den USA für das nun A220 genannte Flugzeug zu errichten, um künftige Handelskonflikte zu umgehen. Auch ein Teil der Maschinen der A320-Reihe wird im US-Bundesstaat Alabama gebaut, derzeit allerdings nur vier pro Monat.

Welche Rolle spielt der amerikanische Markt für Airbus überhaupt?

Eine beträchtliche. Amerikanische Fluggesellschaften haben seit der Gründung von Airbus 2548 Flugzeuge bei dem europäischen Hersteller bestellt, 1574 davon wurden bislang ausgeliefert. Insgesamt beläuft sich der Auftragsbestand von Airbus auf 7357 Maschinen.

Gibt es Lösungsansätze, um den Streit zwischen Airbus und Boeing beizulegen?

Die amerikanische Seite hat bislang immer wieder Versuche blockiert, ein neues Abkommen über die staatliche Förderung im Flugzeugbau zu schließen. Dieses müsste weltweit gelten und auch die neuen Konkurrenten einschließen, sagt der scheidende Airbus-Chef Tom Enders.

© SZ vom 10.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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