Wahl zum Sportler des Jahres:Ein Sportjahr ohne den Riesen im Raum

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Sieger des Abends: Turner Lukas Dauser (links) und Biathletin Denise Herrmann-Wick. (Foto: Pressefoto Baumann/Imago)

Der deutsche Sport feiert sich bei der Gala zur Wahl seiner Besten selbst. Ein Jahr vor den Spielen von Paris glänzen bei der Auszeichnung vor allem die olympischen Disziplinen - der Fußball spielt ausnahmsweise keine Rolle.

Von Anna Dreher, Baden-Baden

Zumindest in einer Kategorie deutete sich früh an, wem an diesem Abend wohl eine der drei goldenen Trophäen überreicht werden würde. Von den Eingangsstufen des prunkvollen Kurhauses von Baden-Baden schlängelte sich ein roter Teppich viele Meter vorbei an Säulen, hohen Spiegelwänden und unter großen Kronleuchtern bis ins Innere hinein. Die erste Möglichkeit von vielen zum Austausch, wenn der deutsche Sport sich traditionell kurz vor Weihnachten schick macht, um seine Besten des Jahres zu ehren. Es habe 2023 so viele Höhepunkte und herausragende Leistungen gegeben, sagten die Athletinnen und Athleten auf dem Weg in den Bénazetsaal. Bei der Frage, welches Ereignis hervorstach, waren sich dann aber doch alle einig. Egal, ob sie auf Tartanbahnen oder Hallenboden, im Wasser, am Barren oder mit Skiern unterwegs sind. "Definitiv", sagte Sprinterin Gina Lückenkemper: "Das ist die Weltmeisterschaft der Basketballer gewesen."

Wie sehr die Mannschaft von Bundestrainer Gordon Herbert mit ihrem historischen ersten WM-Titel im September in der philippinischen Hauptstadt Manila auch Tausende Kilometer entfernt Zuschauer mitgerissen hat, drückte sich auch in den abgegebenen Stimmen aus. Die Art, auf die aus unterschiedlichen Charakteren und Individualisten ein Kollektiv wuchs, scheint für viele zum Inbegriff jener Kategorie geworden zu sein, die den Abschluss der Gala bildete. 2539 Stimmen entfielen auf die Basketballer, die sich zum dritten Mal nach 1993 und 2005 bei dieser Wahl durchsetzten, 1718 auf das Eishockey-Nationalteam, 1119 auf die deutsche Feldhockey-Auswahl - die Silber beziehungsweise Gold bei Weltmeisterschaften holten. "Wir wollten uns selbst etwas beweisen, wir wollten Spaß haben und Spaß vermitteln. Ich denke, das ist gelungen", sagte Andreas Obst vom FC Bayern.

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Und weil die Wahl immer dazu anregt, über dieses Sportjahr nachzudenken, wurde auch augenscheinlich, wofür die vergangenen Monate nicht standen: den Fußball, für diesen Riesen, aus dessen Schatten es viele Disziplinen nur mit Mühe ans Licht schaffen. Weshalb es viele nun als wohltuend empfanden, dass die Aufmerksamkeit bei der 77. Auflage der Veranstaltung den olympischen Athleten galt. Abgesehen von kleinen Spitzen und einem Interview mit zwei U17-Fußballern, die mit ihrem WM-Titel für eine Sensation gesorgt hatten.

Die Zweitplatzierte Darja Varfolomeev hat 2023 eine gesamte Sportart wachgerüttelt

Vergangenes Jahr war unter anderem darüber diskutiert worden, dass gleich zwei Trophäen an den Fußball gingen: Die Europa-League-Sieger von Eintracht Frankfurt gewannen die Wahl vor der 4 x 100 Meter-Staffel der Frauen (Europameisterinnen) und den deutschen Fußballerinnen (EM-Finale). Eine Wiederholung war nun aber ausgeschlossen: Von den Nationalteams scheiterten erst die Männer bei der WM in Katar, die U21 flog früh bei der EM raus - dann folgten auch die Frauen diesen Beispielen. Bei den Klubs reüssierte international auch keiner.

Die anwesenden Basketball-Weltmeister, von links: Armin Andres (DBB-Vize-Präsident), Niels Giffey, Isaac Bonga, Andreas Obst, Johannes Thiemann und Co-Trainer Klaus Perwas. (Foto: Pressefoto Baumann/Imago)

Vielleicht wäre die diesjährige Abstimmung selbst bei einem erfolgreichen Abschneiden von Fußballern ähnlich verlaufen. Denn erstmals konnten nicht nur Sportjournalisten abstimmen, sondern auch Athletinnen und Athleten des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) sowie des Deutschen Behindertensportverbands (DBS). Ihre Vorauswahl wurde in die Vorschlagsliste übernommen. Und auch, wenn wahrscheinlich die wenigsten wirkliche Aversionen gegen den Krösus Fußball haben, dürfte es die Ergebnisse künftig beeinflussen. Nun werden auch jene einbezogen, die selbst stärker um Geld und Anerkennung kämpfen müssen, womit die Wahl womöglich als ehrlicher wahrgenommen wird.

Bei den Frauen führte das zum bisher knappsten Ergebnis in der Geschichte dieser Wahl: Biathletin Denise Herrmann-Wick setzte sich aufgrund ihres WM-Titels von Oberhof (und vermutlich auch wegen ihres Karriereendes) mit 21 Stimmen Vorsprung auf die rhythmische Sportgymnastin Darja Varfolomeev (1255) durch. Die 17 Jahre alte gebürtige Russin hatte in diesem Jahr eine gesamte Sportart wachgerüttelt, die sich nach klammen Jahren aus ihrem Nischendasein befreien könnte. Varfolomeev vollbrachte bei den Weltmeisterschaften, was vor ihr erst einer gelungen war: Sie gewann jeweils die Wettbewerbe an den Geräten Band, Ball, Keulen und Reifen und hatte am letzten Wettkampftag noch genügend Energie übrig, um ihren Triumph mit dem Titel im Mehrkampf zu vollenden. Dritte wurde Skispringerin Katharina Schmid (geborene Althaus/1208).

Überhaupt wurde dieser Abend für den Deutschen Turner-Bund zu einem glänzenden: Lukas Dauser wurde für sein Barren-Gold nach langer Verletzungsphase gewürdigt, mit dem er nach 16 Jahren Fabian Hambüchen als bis dahin letzten deutschen Turn-Weltmeister abgelöst hatte. Er erhielt 1753 Stimmen vor dem Freiwasser-Weltmeister Florian Wellbrock (1062) sowie dem Ruder-Weltmeister Oliver Zeidler (865). Für alle drei wie für viele andere Gäste markierte dieses Jahr das Warmmachen für das nächste, 2024 stehen Olympische Spiele an. Welchen Schwerpunkt die nächste Wahl zu den Sportlern des Jahres haben dürfte, steht also gewissermaßen schon fest. Womöglich wieder ohne Fußballer.

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