Ski Alpin:Der wohl unglücklichste Skifahrer der Welt

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Alle Jahre wieder eröffnet der alpine Skizirkus sein Programm auf dem Rettenbachferner in Sölden in Österreich. Diesmal aber ohne Stefan Luitz, der hier 2021 im Riesenslalom den Gletscher hinabfährt. (Foto: Patrick Steiner/Gepa Pictures / Imago)

Stefan Luitz war "auf einem sehr guten Weg" zurück in den Ski-Weltcup. Nach einem Knöchelbruch kurz vor dem ersten Rennen ist die Saison womöglich für ihn gelaufen. Schon wieder. Chronik einer Pechsträhne.

Von Korbinian Eisenberger

Am Dienstagmittag galt der Skirennläufer Stefan Luitz noch als gesund. Einer seiner engsten Weggefährten erzählte da noch voller Zuversicht, wie fit er den 31 Jahre alten Riesenslalomspezialisten einschätze. "Er hat wieder ein Gefühl im Skifahren", sagte Alexander Schmid, der ebenfalls im Riesenslalom reüssiert - und am Dienstag in München bei der offiziellen Einkleidung des Deutschen Skiverbands Fragen beantwortete. Er halte Luitz' jüngsten Schritt, sich unabhängig vom Deutschen Skiverband (DSV) vorzubereiten, für richtig. Er habe seinen "Fokus jetzt wieder gefunden, er hat wieder Spaß am Skifahren", sagte Schmid. "Ich kann ihm einfach nur wünschen, dass er genau so weitermacht."

Schmid wusste zu dem Zeitpunkt nicht, was Stunden später bekannt wurde: Bereits am Montag hatte sich Stefan Luitz beim Training in Österreich einen Bruch des rechten Knöchels zugezogen, zudem riss die Syndesmose, wie der DSV mitteilte. Es passierte beim Riesenslalom-Training auf dem Pitztaler Gletscher. "Luitz war zu hoch dran an einem Tor und fädelte ein", war vom Deutschen Skiverband zu erfahren. Er soll in den kommenden Tagen operiert werden, eine Prognose über die Dauer seines Ausfalls hat der DSV noch nicht abgegeben. Doch es ist schwer vorstellbar, dass der Sportler vom SC Bolsterlang in der am 29. Oktober beginnenden und am 24. März endenden Weltcup-Saison noch ein Skirennen fährt.

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Einen Lauf haben heißt ja beim Riesenslalom: zwei Läufe haben. Idealerweise zwei gute. Das ist die Crux bei diesem Sport, bei dem Erfolg und Versagen von Kunststoffstangen vermessen werden, die nah genug beisammen stehen für Dramen und Elogen. Im Fall von Luitz gilt vor allem: Dramen.

Luitz konnte wegen einer vorherigen Verletzungsmisere ein Jahr lang gar nicht Ski fahren

Luitz hat immer daran geglaubt, nochmal Stammkraft für die vorderen Ränge werden zu können. Er hätte schon oft Anlässe gehabt, hinzuwerfen, bei all dem Pech. Doch er machte weiter. Wohl auch, weil er sich stets daran erinnerte, dass er als einer der Branchenbesten galt. Er hat konkrete Hinweise hinterlassen, etwa in Beaver Creek, wo Luitz im Dezember 2018 den Riesenslalom gewann, vor dem seinerzeit großen Dominator Marcel Hirscher. Tatsächlich hatte Luitz zu diesem Zeitpunkt gerade erst seinen zweiten Kreuzbandriss auskuriert, die Vollendung schien nahe zu sein, endlich.

Stattdessen ging das Drama in die nächste Runde: Ein Betreuer eines konkurrierenden Teams hatte am Rande seines Sieges in Beaver Creek fotografiert, wie Luitz zwischen den Läufen - auf 3000 Metern Höhe - künstlichen Sauerstoff inhaliert hatte. Im Reglement des Ski-Weltverbands ist dies während des Rennens verboten. Der DSV hatte sich aber am Regelwerk der Welt-Anti-Doping-Agentur orientiert, das den Einsatz gestattet. Die Fis nahm Luitz den Sieg zunächst ab, das zerrte mächtig an den Nerven von DSV und Fahrer, der sich in Beaver Creek auf die Einschätzungen seiner Vorgesetzten verlassen hatte. Später revidierte der Internationale Sportgerichtshof den Spruch. Luitz behielt seinen Weltcupsieg, aber niemand hat wohl jemals so sehr darum kämpfen müssen wie der Allgäuer.

Skirennfahrer Stefan Luitz weiß immerhin, wie das Zurückkämpfen geht. (Foto: Maximilian Haupt/dpa)

So liest sich Luitz' Biografie bis heute wie ein Brecht-Stück. Immer wenn er einen Lauf hatte, tat sich eine Furche auf und verschluckte ihn. Ende 2019 war er wieder in Fahrt gekommen, er wurde in Alta Badia Zweiter im Parallel-Riesenslalom. Im Februar 2021 gewann er bei der Ski-WM in Cortina d'Ampezzo im Teamwettbewerb Bronze. Er war gesund, endlich einmal. Kurz vor den Olympischen Spielen in Peking hieß die Diagnose dann: Bandscheibenvorfall. Wieder nichts.

Beim DSV war am Mittwoch, dem zweiten Einkleidungstag, Bestürzung zu vernehmen. Ungläubig nahmen es Sportler und Trainer zur Kenntnis, auch Biathleten und Skispringer. Luitz' ewige Pechsträhne hat sich längst herumgesprochen. Hört das denn jemals auf? "Es ist unfassbar bitter", erklärte ein DSV-Sprecher. "Er befand sich auf einem sehr guten Weg."

Luitz, inzwischen Familienvater, konnte ja wegen einer - wie sollte es auch anders sein - vorherigen Verletzungsmisere ein Jahr lang gar nicht Ski fahren. Sein Comeback vergangene Saison im Weltcup, praktisch ohne Vorbereitung, verlief wenig erfolgreich. In Ansätzen ließ er sein Talent erkennen, jedoch brachte er nie zwei gute Läufe ins Ziel. Im Sommer verlor er schließlich den Förderstatus in Deutschland. Doch statt aufzugeben, entschied er sich weiterzumachen.

Luitz schloss sich einer internationalen Trainingsgruppe an, wechselte die Skimarke und wirkte zufrieden mit seinen jüngsten Trainingsleistungen, unter anderem in Neuseeland. "Ich fühle mich sehr wohl und habe Spaß", hatte Luitz vor wenigen Tagen erst in einem Podcast des BR erklärt. Was die Knöchelverletzung für seine Zukunft als Leistungssportler bedeuten könnte? Luitz selbst werde sich nach seiner OP äußern, erklärte der DSV. Zumindest eines dürfte klar sein: Im Zurückkämpfen macht dem 31-Jährigen so leicht keiner etwas vor.

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