EM-Vergabe 2028 und 2032:Lieber gemeinsam als gar nicht

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Das offizielle Symbol für die EM 2032 in Italien und der Türkei. Über eine gemeinsame Grenze verfügen beide Länder übrigens nicht. (Foto: Denis Balibouse/Reuters)

Das Vereinigte Königreich und die Republik Irland teilen sich die EM 2028, Italien und die Türkei das Turnier 2032. Hinter den nächsten grenzüberschreitenden Fußballsausen steckt viel Kalkül - und die Angst mancher Länder vor einer Solo-Kandidatur.

Von Javier Cáceres, Berlin

Die Chancen stehen schon jetzt ganz gut, dass man der Fußball-Europameisterschaft, die im kommenden Jahr in Deutschland ausgetragen werden soll, das Etikett "historisch" anheften kann. Und wer will, kann dabei nostalgisch werden. Denn die EM in Deutschland wird, mindestens auf Jahre hinaus, die letzte sein, die in einem einzigen Land stattfindet.

Am Dienstag gab die europäische Fußball-Union Uefa an ihrem Sitz im schweizerischen Nyon offiziell bekannt, was schon seit geraumer Zeit feststand: Die EM 2028 findet im Vereinigten Königreich und der Republik Irland statt, und die Austragung der im Jahr 2032 folgenden EM teilen sich Italien und die Türkei - obwohl sie keine gemeinsame Grenze haben, was bislang so etwas wie eine Bedingung der Uefa für eine internationale Co-Ausrichtung des Nationenturniers war.

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Damit setzt sich der Trend der transnationalen und - bei genauer Betrachtung - interkontinentalen Fußballturniere fort. In der Türkei wird es 2032 auch Spiele auf asiatischem Boden geben, was allerdings keine Neuerung darstellt, weil bereits bei der Elf-Nationen-EM von 2021 auch Baku (Aserbaidschan) zum Zuge kam. Die grenzüberschreitenden Lösungen für immer gigantomanischere Turniere erlebten erst in der vergangenen Woche einen spektakulären Höhepunkt: Da entschied der Weltverband Fifa, die Spiele der WM 2030 auf gleich sechs Länder und drei Kontinente zu verteilen: Spanien und Portugal (Europa) plus Marokko (Afrika) - sowie Uruguay, Argentinien und Paraguay (Lateinamerika).

Italien und die Türkei hatten Angst, dass ihre Solo-Bewerbungen scheitern

Dass es für die EM 2032 zur "ITU"-Kandidatur kam, wie es auf den Namensschildern der Italiener und Türken im Konferenzsaal des "House of Football" der Uefa hieß, hatte vor allem zweierlei Gründe. Sowohl den Türken wie auch den Italienern war aus unterschiedlichen Aspekten klar, dass sie mit Solo-Bewerbungen nicht gewinnen würden. Die Türken hätten in einer Kampfabstimmung aller Voraussicht nach nicht genug Stimmen bekommen, und bei den Italienern war aufgrund des erbärmlichen Zustands ihrer Stadien mehr als nur Skepsis angesagt. Das Wort des slowenischen Uefa-Präsidenten Aleksander Čeferin aus dem vergangenen Jahr gilt immer noch: Die Situation der Infrastruktur in Italien sei "ziemlich schrecklich" und "einer Fußballnation nicht würdig".

Dass beide Länder zusammenfanden, hatte letztlich auch mit der Angst zu tun, eine EM-Kandidatur neuerlich zu verbaseln - beide teilen sich mit vier, fünf vergeblichen Anläufen einen Bewerbungspleiten-Rekord. Nun werden die zwei Länder mit jeweils fünf Stadien am Start sein. Doch ihre Voraussetzungen könnten unterschiedlicher kaum sein.

Lächeln fürs Fußballfest: In England freuen sich Stürmer Harry Kane (li.) und Nationaltrainer Gareth Southgate mit Premierminister Rishi Sunak (Mitte) auf die EM 2028. (Foto: WPA Pool/Getty Images)

Während die Türken darauf verweisen können, ihre Fußballbühnen unter Recep Tayyip Erdoğan ziemlich auf Vordermann gebracht zu haben, müssen die Italiener gehörig nachrüsten (und dafür gewiss öffentliche Gelder in Milliardenhöhe anzapfen). Zurzeit gelten in Italien nur zwei Stadien - Rom und Mailand - als EM-tauglich; Italiens Verbandschef Gabriele Gravina sprach am Dienstag davon, dass in Cagliari, Florenz und Bologna durchfinanzierte Projekte bereitstünden.

Offen ist noch, wo das Finale 2032 stattfindet - in Rom oder Istanbul. Gut möglich, dass aus dieser Frage ein ähnlicher Konflikt entsteht, wie er gerade zwischen den Co-Gastgebern Spanien und Marokko wegen der WM 2030 herrscht. Die Spanier sind davon überzeugt, dass das WM-Finale im Estadio Santiago Bernabéu von Real Madrid ausgetragen wird (und werden muss). Die Marokkaner locken ihrerseits mit einem neuen 95 000-Mann-Stadion (und einer Nacht) in Casablanca.

In England gehen das Old Trafford sowie das Stadion an der Anfield Road leer aus

Dass Italien und die Türkei zusammenfanden, hatte direkte Auswirkungen auf die Entscheidung über die EM 2028. Die Türken hatten ursprünglich für beide Turniere - 2028 und 2032 - den Finger gehoben. Durch die Entente mit den Italienern erfolgte ihr Rückzug für 2028, und das machte den Weg frei für das Vereinigte Königreich und die Republik Irland. Dort stehen nun zehn Stadien zur Verfügung. Bedacht wurden Cardiff (Wales), Dublin (Irland), Glasgow (Schottland) und Belfast (Nordirland) - sowie sechs Stadien in England.

Fest steht aber schon jetzt, dass zwei der traditionsreichsten Fußballtempel Englands bei der EM außen vor bleiben: Old Trafford, die Heimstatt von Manchester United, und das Stadion an der Anfield Road des FC Liverpool - beide gingen leer aus. Gespielt werden soll dafür im künftigen Stadion des FC Everton in Liverpool, das schlappe 870 Millionen Euro kosten soll, im Villa Park in Birmingham, beim Saudi-Klub Newcastle United sowie in zwei Londoner Arenen: im Tottenham Hotspur Stadium sowie in Wembley, das immer noch als altehrwürdig und deshalb als Favorit für die Finalausrichtung gilt.

Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg meldete, sei das aber "noch nicht ausgemachte Sache". Wembley war schon 2021 Schauplatz des EM-Endspiels gewesen, das unter anderem deswegen in Erinnerung blieb, weil die Sicherheitskräfte völlig überfordert waren. Die Aufarbeitung durch den englischen Verband zeigte, dass es einem Wunder glich, dass es keine Toten zu beklagen gab. Das Stadion war am Finaltag 2021 (England unterlag Italien im Elfmeterschießen) von Zehntausenden Fans belagert worden, die nicht ausreichend Geld für Tickets, aber für reichlich Alkohol und sonstige Drogen hatten.

Debbie Hewitt, Vorsitzende der britisch-irischen Bewerbung für 2028, gelobte am Dienstag Besserung. Man wolle den Ruf als Organisatoren von Chaos "definitiv zu Grabe tragen" und zeigen, dass man in England "die Lektion gelernt hat". Derlei sollte auch für Istanbul gelten, unabhängig von der Frage, ob man dort ein Finale oder "nur" das Eröffnungsspiel platziert. Denn das organisatorische Chaos beim Champions-League-Finale 2023 zwischen Manchester City und Inter Mailand (1:0) war ebenfalls mindestens spektakulär.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir den Uefa-Präsidenten Aleksander Čeferin fälschlicherweise als Slowaken bezeichnet. Čeferin ist jedoch Slowene.

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