Formel 1 in Australien:Eine höchst interessante Fernbeziehung

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Da wird das Schreiben von Autogrammen fast anstrengender als das Rennen selbst: Oscar Piastri hat in der Formel 1 dieses Wochenende ein Heimspiel. (Foto: Martin Keep/AFP)

In Melbourne gelten die Ahs und Ohs den beiden Australiern Oscar Piastri und Daniel Ricciardo. Der eine wird gehandelt als enormes Talent, der andere muss um sein Cockpit bangen. Sie stehen auch für den Generationenkonflikt der Formel 1.

Von Elmar Brümmer, Melbourne

Am anderen Ende der Welt reduziert sich der Blick auf die Formel 1 seit Wochen nur auf ein großes Duell, und es nicht das zwischen Max Verstappen und dem Rest des Fahrerfeldes. Damit sind der australischen Öffentlichkeit auch eine Menge Unstimmigkeiten und unappetitliche Einzelheiten aus dem Red-Bull-Rennstall erspart geblieben.

Die dritte Pole-Position hintereinander von Verstappen, der auf der entscheidenden Qualifikationsrunde zum Großen Preis von Australien den Ferrari von Carlos Sainz noch abfangen konnte, nahmen die Hunderttausend am Samstag im Albert Park selbstverständlich freundlich zur Kenntnis. Die großen Ahs und Ohs aber galten den einheimischen Duellanten: Oscar Piastri geht mit dem McLaren als Fünfter in den WM-Lauf am Sonntag (5 Uhr, Sky), Daniel Ricciardo startet mit dem Auto der Racing Bulls nur vom 18. und an diesem Wochenende vorletzten Platz, nachdem ihm seine schnellste Runde gestrichen worden war.

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Eine nicht nur von der Zeitentabelle her höchst interessante Fernbeziehung, nicht nur für die lokalen petrol heads. Denn Piastri gegen Ricciardo, das steht auch den großen Generationenkonflikt, der sich in der Königsklasse des Motorsports generell anbahnt. Piastri wird übernächste Woche erst 22, er ist der jüngste im Feld. Es ist erst seine zweite Saison, aber sein Team hat ihm bereits einen Vertrag bis Ende 2026 gegeben, so hoch wird sein Talent eingeschätzt. Ricciardo wird im Sommer 35, er war schon draußen aus dem Renngeschäft, hat sich aber zurückgekämpft in die B-Formation von Red Bull. Er muss um den Verbleib in der Formel 1 bangen, obwohl er selbst immer noch von einer Beförderung in das Cockpit neben Verstappen träumt.

Ricciardo war in seiner Karriere zu oft zur falschen Zeit am falschen Ort

Die beiden Landsleute von einem motorsportverrückten Kontinent, der mehr Champions als die klassische Rennnation Italien hervorgebracht hat, könnten unterschiedlicher nicht sein. Aufsteiger Piastri präsentiert sich ernster als Michael Schumacher je sein konnte; Routinier Ricciardo gibt seit Jahren den Dauerlächler.

Doch Formel-1-Piloten sind geübt darin, das wahre Ich zu verschleiern, sie brauchen dafür nicht mal unbedingt ein Helmvisier. Der ehrgeizige Piastri ist in Wirklichkeit höchst lebensbejahend, er kann nur komplett umschalten, wenn es um seine sportlichen Ambitionen geht. "Oscar geht mit klinischer Präzision vor", sagt sein Manager Mark Webber. Zur Operation WM-Kandidat gehört es für den letztjährigen Rookie des Jahres und Sprint-Sieger von Katar deshalb auch, möglichst wenig Emotionen zu zeigen und damit Angriffsfläche zu bieten. "Mit beiden Beinen auf den Boden", loben die einheimischen Medien dann auch.

Nach einer Zwangspause ist Daniel Ricciardo wieder Stammpilot - allerdings beim Talentschuppen von Red Bull. (Foto: Martin Keep/AFP)

Ricciardo, der von Piastri bei McLaren verdrängt worden war, musste 2023 ein halbes Jahr Zwangspause verkraften. Die erschien zunächst höchst willkommen, dann aber erkannte der ewige Spaßvogel den Ernst der Lage: "Ich habe die Rennen verflucht. Ich musste den Job erst wieder lieben lernen." Diese Schmerztherapie brachte ihn auf den Weg zurück, als im Red-Bull-Talentschuppen wieder ein Platz frei wurde. Ricciardo nutzte die Chance, die nötige Grundschnelligkeit besitzt er immer noch. Aber die Nachdenklichkeit scheint nicht ganz verflogen, und das kann hinderlich sein bei seinem Kampf auf dem Transfermarkt.

Da nutzt es auch nichts, dass er zum Saisonende in die Top Ten der Fahrer mit den meisten Grand-Prix-Einsätzen aufrücken wird. "Nette Jungs gewinnen nicht", besagt ein altes Branchen-Vorurteil. Das hat Ricciardo mit acht Siegen deutlich widerlegt, und er war auch derjenige, der Sebastian Vettel bei Red Bull verdrängen konnte. Aber zu oft war er in seiner Karriere zur falschen Zeit am falschen Ort.

Beide Australier haben zwar mit neun Jahren im Renn-Kart ihre Karrieren begonnen, doch Piastri hatte da schon deutlich mehr Erfahrung mit der Materie, nachdem er sich früh mit ferngesteuerten Autos beschäftigt hatte. Tatsächlich habe ihm das viel Fahrgefühl gebracht, erzählte er mal. Parallel zu den Nachwuchsformeln hat er Hunderte von Stunden im Simulator oder beim Sim-Racing vor dem Computer abgespult: "Wenn Du das nicht tust, wird sich immer jemand finden, der sich dort seinen Vorteil holt." Ricciardo zählt zur überwiegend analogen Generation, für die es jenseits der Playstation wenig digitale Alternativen gab, und schon gar nicht so perfekt wie heute. Piastri sieht sich selbst auf Sicht gefährdet: "Die meisten Kartfahrer sitzen mittlerweile schon im Alter von sechs Jahren parallel im Simulator. Das wird es auf der Rennstrecke für sie einfacher machen."

Für die australische Fangemeinde, die Melbourne voraussichtlich einen weiteren Besucherrekord bescheren wird, garantieren die beiden so unterschiedlichen Typen das perfekte Storytelling. Präsentiert sich Piastri im Männermagazin Esquire in Armani, kontert Ricciardo in GQ ganz in Dior gewandet. Ricciardo aber sendet auf Hochglanzpapier auch eine Botschaft an die nächste Generation von Rennfahrern aus: "Guckt nicht auf die angenehmen Nebenerscheinungen, schaut lieber danach, dass die Prioritäten stimmen: denn immerhin jagt ihr Euren Träumen nach."

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