Giulia Gwinn bei den DFB-Frauen:Weit oben im Happiness-Ranking

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Den Aufschwung im Blick? Giulia Gwinn (links) soll die Abwehr des Nationalteams wieder stabilisieren. (Foto: Jürgen Kessler/dpa)

Der Ausfall von Giulia Gwinn hat beim Nationalteam jene Abwehrproblematik ausgelöst, die als ein Grund für das frühe WM-Aus gilt. Nun kehrt sie zurück - und mit ihr die Hoffnung auf neue Leichtigkeit.

Von Anna Dreher

Bevor sich das deutsche Nationalteam auf den Weg nach Dänemark gemacht hat, stand noch ein öffentliches Training im Frankfurter Stadion am Brentanobad auf dem Programm. Eine größere Nähe zu den Fans, das ist beim Deutschen Fußball-Bund ja immer ein Thema, wobei es dabei eher nicht um die DFB-Spielerinnen geht, die dem Publikum meist recht offen Einblicke geben. Vielleicht war es in diesem Fall ohnehin eher umgekehrt, und es wurde gar nicht in erster Linie den Fans ein Gefallen getan: Die mehr als 1000 Zaungäste mit ihren Plakaten und Fahnen, Autogramm- und Selfiewünschen waren gleichzeitig Lieferanten positiver Energie. Und die können die Nationalspielerinnen nach dem historisch frühen WM-Aus dringend gebrauchen.

Die Wirkung der Maßnahme jedenfalls war unmittelbar zu erkennen, alle sahen bestens gelaunt aus. Hätte es ein Happiness-Ranking gegeben, wäre sehr wahrscheinlich eine Spielerin weit oben gelandet, die zwar unbelastet von der Schwere des Sommers angereist war, aber keinesfalls leichte Monate hinter sich hat: Giulia Gwinn. Nach der öffentlichen Einheit lud die 33-malige Nationalspielerin gleich zehn Fotos bei Instagram hoch, dazu die Beschreibung "obviously super happy", dahinter ein schwarzes, ein rotes und ein gelbes Herzchen. Die Bilder hätten auch für sich gesprochen, auf jedem strahlte sie, "offensichtlich super glücklich" eben.

Deutsche Fußballerinnen
:Erst Debakel, dann Ausnahmezustand

Für die DFB-Frauen geht es in der Nations League um die Olympia-Qualifikation. Doch das enttäuschende WM-Aus ist noch nicht aufgearbeitet - weil die Rückkehr der Bundestrainerin offen ist.

Von Anna Dreher

Gwinn ist wie Linda Dallmann, ihre Kollegin vom FC Bayern, seit Montag zurück im Kreis der Auswahl. Beide waren über Monate verletzt ausgefallen, Gwinn aufgrund eines Kreuzbandrisses, dem zweiten ihrer Karriere, Dallmann wegen eines Syndesmosebandrisses. Letztere kann mit ihrer feinen Technik und Kreativität das Mittelfeld bereichern. Und dass Gwinn nun wieder dabei ist, hat großen Symbolcharakter. Mit ihrem Ausfall fing gewissermaßen jene Abwehrproblematik an, die die Balance im Gefüge bei der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland durcheinanderbrachte und eine unglückliche Kettenreaktion an Blessuren nach sich zog.

Wegen des Ausfalls der Bundestrainerin ist das WM-Aus noch nicht fertig analysiert

Dafür konnte Gwinn natürlich nichts, aber es war nun mal so: Um sie auf der Rechtsverteidigerposition zu ersetzen, schob Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, 55, Svenja Huth nach hinten. Die Rechtsaußen hatte dort zwar in der Vergangenheit schon gespielt, doch Huth fehlte es an Routine - und ihre Routine vorne fehlte wiederum der Offensive. Kurz vor dem Turnier waren Abwehrchefin Marina Hegering in der Innenverteidigung mit einer Fersenprellung und Linksverteidigerin Carolin Simon mit einem Kreuzbandriss ausgefallen. Damit musste die Vertreterin von Felicitas Rauch passen, die sich vor dem zweiten WM-Gruppenspiel das rechte Kniegelenk verstauchte, woraufhin die eigentlich offensive Chantal Hagel einsprang. Nie kam Ruhe in die Defensive, was ein Grund für das Debakel war.

Die Analyse all dessen steht aus, es sind noch Gespräche offen wegen des unerwarteten Ausfalls von Voss-Tecklenburg, deren nicht näher genannte Erkrankung Anfang September vom DFB bekanntgegeben wurde. Das macht den Neustart nicht leichter. Dabei wird es bei den Partien am Freitag gegen Dänemark in Viborg (18 Uhr, ARD), gegen Island in Bochum nächsten Dienstag (18.15 Uhr, ZDF) und im Oktober gegen Wales gleich ernst: In der neu eingeführten Nations League geht es um die Qualifikation für Olympia 2024, nur zwei europäische Tickets werden verteilt. Dabei sollen auch Selbstvertrauen, Stärke und Reputation wiederhergestellt werden. "Es ist gut, dass es wieder um etwas geht und man die berechtigte Kritik wieder wettmachen kann", sagte Gwinn.

Die 24-Jährige trainiert seit Mai beim FC Bayern wieder mit dem Team, ihr Comeback beim deutschen Meister gab sie am 23. August bei einem Test gegen die TSG Hoffenheim - nach 322 Tagen Pause. Im Oktober vergangenen Jahres hatte sie sich im Training bei den DFB-Frauen verletzt und verzichtete letztlich als Vorsichtsmaßnahme auf die WM. Bereits zum zweiten Mal nach September 2020 hatte Gwinn einen Kreuzbandriss erlitten, was zumindest die Reha leichter machte, sie kannte jadie Abläufe und Herausforderungen. Wie beim ersten Mal wurde Gwinn dabei für eine Dokumentation ihres Klubs begleitet. Was ebenso wie die Zahl ihrer Instagram-Follower zeigt, dass sie zu den populärsten deutschen Fußballerinnen zählt. Der Kanal des Nationalteams kommt auf 400 000, Gwinn auf 578 000 Anhänger, die sie nun wieder auf dem Rasen sehen sollen. "Ich habe volles Vertrauen in meinen Körper, und das ist die wichtigste Basis", sagte Gwinn. Alles andere komme mit der Zeit.

Britta Carlson vertritt Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg auf unbestimmte Zeit. (Foto: Gawlik/Beautiful Sports/Imago)

Sieben Wochen ist es her, seit der achtmalige Europa- und zweimalige Weltmeister mit dem Gruppenphasen-Aus in die sportliche Krise gestürzt ist. Gwinn konnte nur aus der Ferne beobachten, wie schwer sich die DFB-Frauen taten. Dabei hatten sie ein Jahr zuvor in England noch eindrucksvoll das Finale erreicht, und Gwinn war von der Europäischen Fußball-Union Uefa in die Mannschaft des Turniers nominiert worden. "Es tut sehr weh, wenn man nicht eingreifen kann", sagte sie im Interview dem Sportinformationsdienst. "Es hat gewirkt, als wären diese Verbindungen, die wir bei der EM hatten, dieses Teamgefüge mit blindem Verständnis, nicht mehr so vorhanden gewesen." Jetzt gehe es um eine gute Aufarbeitung und um die Rückkehr von Leichtigkeit.

Sie selbst, die so sehr vermisst worden war, dürfte mit Dallmann dafür entscheidend sein. Gegen Dänemark soll Gwinn die Defensive bereichern, wenn auch in Absprache mit dem FC Bayern nicht über die volle Distanz. "Ich glaube, dass Giuli noch ein bisschen Zeit braucht. Aber sie hat auch bei den Bayern gezeigt, dass es nicht mehr lange dauert, bis sie wieder die alte Giuli ist", sagte die stellvertretende Bundestrainerin Britta Carlson. "Sie ist eine wichtige Persönlichkeit für uns, eine wichtige Spielerin, auf die wir auch setzen - genauso wie Linda." Gwinns geplanter Wechsel soll aus einer Position des Könnens, weniger des Müssens vollzogen werden. Allein das dürfte dem Nationalteam Stärke geben.

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