Deutsche Fußballerinnen:Erst Debakel, dann Ausnahmezustand

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Bei den anstehenden Länderspielen verantwortlich für das Frauen-Nationalteam: Assistenztrainerin Britta Carlson. (Foto: Jürgen Kessler/dpa)

Für die DFB-Frauen geht es in der Nations League um die Olympia-Qualifikation. Doch das enttäuschende WM-Aus ist noch nicht aufgearbeitet - weil die Rückkehr der Bundestrainerin offen ist.

Von Anna Dreher

Unter gewöhnlichen Umständen wäre am Dienstagmittag Martina Voss-Tecklenburg durch die Tür gelaufen, hätte sich aufs Podium im Frankfurter DFB-Campus gesetzt, in die Runde geblickt, vielleicht gelächelt. Sie hätte über die vergangenen Wochen nach der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland sowie die bevorstehenden Partien in der neuen Nations League gegen Dänemark und Island gesprochen. Aber seit der Deutsche Fußball-Bund am 8. September mitteilte, dass die Bundestrainerin die Länderspielphase im September wegen einer Erkrankung verpasst, herrscht auch in dieser Abteilung des mitgliederstärksten Einzelsportverbands der Welt Ausnahmezustand. Zusätzlich zur sportlichen Krise.

Und so saßen am Dienstag stattdessen die stellvertretende Bundestrainerin Britta Carlson und Joti Chatzialexiou, Sportlicher Leiter der Nationalmannschaften, auf der ersten Pressekonferenz der DFB-Frauen seit Anfang August. Damals hatten Voss-Tecklenburg und Chatzialexiou sich zum historisch frühen WM-Aus geäußert, es ging um Druck, mögliche Verstimmungen innerhalb des Teams sowie Fehlentscheidungen - und um die große Frage, ob Voss-Tecklenburg Bundestrainerin bleibt. In gewisser Weise wurde das damals von ihr und den Verantwortlichen schon offiziell mit "Ja" beantwortet, obwohl die angekündigte profunde Analyse des Debakels ausstand. Sechs Wochen später ist die Frage aktueller denn je, die sportliche Zukunft der 55-Jährigen weiter offen.

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Aussagen von Hermann Tecklenburg, seine Frau sei "schon krank aus Australien wiedergekommen" sowie "mental und körperlich angeschlagen" gewesen, nährten Spekulationen, ob statt einer Rückkehr trotz des Vertrags bis 2025 und der angekündigten Fortsetzung der Zusammenarbeit nicht als Nächstes ein Rücktritt verkündet werden würde. Voss-Tecklenburg selbst hat sich bisher nicht zu ihrem Gesundheitszustand geäußert. "Wir wissen, dass Martina Voss-Tecklenburg derzeit krank ist, da gebieten es der Respekt und die Fürsorge, dass wir darüber nicht spekulieren", hatte DFB-Präsident Bernd Neuendorf im Rahmen der jüngsten Länderspiele der Männer gesagt. Auch am Dienstag hielt der Verband an dieser Linie fest und wollte keine weitere Auskunft geben.

Seit der Bekanntgabe der Erkrankung war erneut die Rede von Dissonanzen die Rede

Gleich zu Beginn der Pressekonferenz vor dem Nations-League-Auftakt gegen Dänemark am Freitag in Viborg (18 Uhr, ARD) hieß es in ähnlicher Wortwahl, dass diese Thematik nicht kommentiert werde, bis die Bundestrainerin zurückgekehrt sei und selbst öffentlich spreche. Die Analyse der bereits in der Gruppenphase für die DFB-Frauen beendeten Weltmeisterschaft soll fortgeführt werden, wenn Voss-Tecklenburg wieder genesen ist.

"Das ist für uns insgesamt eine ungewöhnliche Situation", sagte Chatzialexiou. Er hätte gerne schon eine Analyse durchgeführt, um den "Rucksack der WM" ablegen zu können. Aber der Abschluss sei nun einmal nicht möglich gewesen, weil noch Gespräche ausstünden. "Eine entscheidende Rolle spielt bei der Aufarbeitung auch Martina als Protagonistin", sagte der 47-Jährige. "Wir haben eine Fürsorgepflicht, und die Fürsorgepflicht ist es in der Zwischenzeit, dass Martina wieder gesund wird. Das ist unser Ziel. Alles andere folgt dann danach."

Von der Rückkehr der erkrankten Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hängt gerade einiges ab beim DFB. (Foto: Memmler/Eibner/Imago)

An diversen Stellen verwiesen die DFB-Vertreter auf das Eingangsstatement. Ganz ausblenden ließ sich die so entscheidende Personalie schließlich nicht. Zumal seit der Bekanntgabe der Erkrankung erneut die Rede von Dissonanzen zwischen Spielerinnen und Trainerteam war.

Berichte, wonach sie eine Umfrage unter den Nationalspielerinnen hinsichtlich der Bereitschaft zur Fortsetzung der Zusammenarbeit gestartet habe - mit dem Ergebnis eines Misstrauensvotums gegen Voss-Tecklenburg -, hatte Carlson in sozialen Medien bereits entschieden negiert. Die 45-Jährige sah darin ihre Integrität als Co-Trainerin infrage gestellt, die Behauptung sei "vollkommen haltlos". Vertrauliche Einzelgespräche seien vielmehr im Auftrag der Bundestrainerin geführt worden, gemeinsam mit Assistent Michael Urbansky. Nun dementierte Carlson zusätzlich Gerüchte, das Verhältnis zwischen ihr und Voss-Tecklenburg habe gelitten: "Wir hatten immer ein gutes Verhältnis, das wird auch in Zukunft so sein."

Die Nations League bietet trotz verpatzter WM eine Chance, 2024 bei Olympia die Reputation wiederherzustellen

Ob sie gegebenenfalls als Nachfolgerin bei den EM-Finalistinnen in Frage komme, verneinte Carlson. Im Verein könne sie sich eine Rolle als Cheftrainerin vorstellen, auf nationaler Ebene aus persönlichen Gründen nicht. Näher ging sie nicht darauf ein. Wie sich die Bundestrainerin-Aufmerksamkeit anfühlt, hat die frühere Nationalspielerin jedenfalls längst zu spüren bekommen. Was auch an der sportlichen Bedeutung der nächsten Partien liegt. Statt die immense Enttäuschung nach der WM locker abschütteln zu können, wird es direkt ernst. Von den Ergebnissen der Nations League hängt ab, ob sich die DFB-Frauen für die Olympischen Spiele 2024 qualifizieren - oder ob sie dieses im Vergleich zum Männerfußball für sie weit bedeutendere Turnier erneut verpassen werden. Durch das Viertelfinal-Aus bei der WM 2019, dem ersten Großereignis in der Verantwortung von Voss-Tecklenburg, hatten die Olympiasiegerinnen von 2016 bereits die Spiele in Tokio verpasst.

Insofern bietet sich dem Team durch die Einführung dieses Wettbewerbs trotz verpatzter WM eine Chance, im kommenden Jahr auf großer Bühne seine Reputation wiederherzustellen. Doch der Weg dorthin ist schwierig, nur zwei europäische Tickets werden in der Nations League für Paris 2024 vergeben. Die Deutschen müssen also ihre Gruppe gegen Dänemark, Island und Wales gewinnen und dann beim Vierer-Finalturnier voraussichtlich das Endspiel erreichen. Damit das gelingt, seien Abläufe und taktische Herangehensweisen angepasst worden, erzählte Carlson, sowie viele Gespräche mit den Spielerinnen geführt worden, der Austausch sei gut: "Das ist das, was es braucht für die Mannschaft, um dieses Selbstverständnis, diese Klarheit, die wir alle benötigen, zu kreieren."

Von den WM-Teilnehmerinnen sind Melanie Leupolz nach ihrem Rücktritt, Svenja Huth, deren Ehefrau kürzlich einen Sohn zur Welt gebracht hat, und Sara Däbritz aufgrund eines Trauerfalls nicht am Montag nach Frankfurt zum Nationalteam gereist. Giulia Gwinn und Linda Dallmann vom FC Bayern sind hingegen nach Verletzungen zurückgekehrt - unbelastet vom enttäuschenden Sommer.

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