Angesichts der Probleme der Ukraine bei der Offensive gegen die russischen Besatzer wächst der Druck auf Kanzler Olaf Scholz (SPD), der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern zuzustimmen. "Da nun auch bei der SPD einige für eine Lieferung sind, sollten wir über eine Parlamentsinitiative nachdenken, um den Druck auf das Kanzleramt zu erhöhen", sagte der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter der Süddeutschen Zeitung. Union und Politiker der Ampelparteien SPD, Grüne und FDP könnten damit gemeinsam den Kanzler zur Lieferung der Waffen auffordern, mit denen Ziele in bis zu 500 Kilometern Entfernung angegriffen werden können.
Die hochmodernen Flugkörper könnten aus Sicht der Ukraine helfen, russische Stellungen weit hinter der Frontlinie anzugreifen und Versorgungswege abzuschneiden. "Es wird höchste Zeit, dass wir der Ukraine auch die Marschflugkörper Taurus liefern", sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), der SZ. "Eine Debatte, wie wir sie im vergangenen Jahr immer wieder hatten, sollte angesichts der Dramatik in der Ukraine aufhören." Sie bezieht dies auf die monatelangen Diskussionen, bevor die Bundesregierung letztlich die Lieferung von Kampf- und Schützenpanzern genehmigte.
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Bei einer Rede in Kopenhagen unterstreicht der ukrainische Präsident die Bedeutung der Verteidigung seines Landes für ganz Europa. Günstige Hypotheken sollen angeblich 300 000 Russen in die besetzte ukrainische Stadt Mariupol locken.
Die Sorge des Kanzlers gilt der Frage, ob mit deutschen Waffen russisches Staatsgebiet angegriffen wird
Die Bundeswehr soll rund 600 Taurus besitzen. Scholz hat die Lieferung von deutschen Marschflugkörpern nicht ausgeschlossen. Aus seiner Sicht steht aber die Frage im Mittelpunkt, ob verhindert werden kann, dass die Ukraine mit den deutschen Waffen russisches Staatsgebiet angreifen könnte. Deshalb dürfte eine Lieferung davon abhängen, ob Scholz technische Lösungen für überzeugend hält, die das verhindern, etwa über die Programmierung der Zieleingaben oder die Begrenzung der Reichweite, die nach Angaben aus der Industrie durch entsprechende Änderungen an der Software des Flugkörpers möglich wäre.
Solche Angriffe mit westlichen Waffen bergen nicht nur aus Sicht der Bundesregierung, sondern vor allem auch der USA die Gefahr, dass die Nato in den Krieg gezogen wird. FDP-Politikerin Strack-Zimmermann sieht in der Reichweite der Flugkörper dagegen kein Hindernis. "Es ist völkerrechtlich möglich und militärisch geboten, der Ukraine auch die Mittel zur Verfügung zu stellen, um auf russischem Territorium militärische Ziele anzugreifen und zu neutralisieren, von denen nachweislich jeden Tag Hunderte von Raketen auf die Ukraine abgeschossen werden", sagte sie.
Der CDU-Politiker Kiesewetter betont: "Die Zeit, die wir mit Diskussionen und Scheinargumenten verbringen, nützt Russland, langfristig nützt es China und es kostet in der Ukraine Menschenleben." Was viel zu wenig gesehen werde: "Wenn die Ukrainer keinen Glauben mehr an einen Sieg haben, aus dem Krieg ein jahrelanger Abnutzungskrieg wird, dann werden wir die Massenflucht und Vertreibung aus der Ukraine nicht mehr aufhalten können."
Kiesewetter fordert seit Monaten eine Taurus-Lieferung. "Es ist ein System, das die Überlebensfähigkeit der Ukraine erhöht und zum Erfolg der Befreiungsoffensive beitragen wird." Da Hunderte der Marschflugkörper erst instandgesetzt werden müssten, müsse jetzt bereits damit begonnen werden. Zuletzt hatten sich auch in der SPD mehrere Abgeordnete für eine Taurus-Lieferung ausgesprochen und sich Forderungen des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), angeschlossen.
Befürworter einer Lieferung auch in der SPD verweisen darauf, dass Frankreich und Großbritannien ähnliche Waffen geliefert haben. Es sei falsch, sich immer nur an den USA zu orientieren und vor der Eskalationsgefahr zu warnen. Strack-Zimmermann betonte, nur aus der Stärke heraus werde die Ukraine eine Friedensperspektive bekommen und ihre territoriale Integrität sichern können. Sollte dagegen Russland mit seinem völkerrechtswidrigen Angriff Erfolg haben, "dann wird es in Europa auf Dauer keinen Frieden geben".
Der SPD-Haushalts- und Verteidigungsexperte Andreas Schwarz sagte der SZ: "Die ukrainische Offensive braucht eine Luftunterstützung, um die Minenfelder zu überwinden." Daher unterstütze er die Taurus-Lieferung ausdrücklich. "Die Panzer allein schaffen es im Moment nicht, wegen der großen verminten Flächen." Die Ukraine habe bereits auch von Deutschland Waffen bekommen, mit denen russisches Gebiet erreicht werden könnte. Aus Sicht von Schwarz ist das Argument gegen eine Taurus-Lieferung daher nicht tragfähig: "Es gibt keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Ukraine, dass sie sich daran halten, nicht russisches Gebiet anzugreifen."
Der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid sagte der SZ: "Eine Lieferung in der Zukunft ist nicht ausgeschlossen." Die Eskalationsrisiken könne man heute wesentlich besser abschätzen. Bei Taurus seien aber zwei Bedingungen noch nicht erfüllt. Die Amerikaner würden bisher kein vergleichbares System liefern, und die Ausbildung sei ungeklärt. "Was nicht geht, dass die Zieleingabe durch deutsche Soldaten erfolgt, das wäre eine Kriegsbeteiligung."
Bisher verfügt die Ukraine über von Großbritannien und Frankreich gelieferte Marschflugkörper vom Typ Storm-Shadow und Scalp. Nach Einschätzung in Berlin würde die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern der Ukraine kurzfristig allerdings nur bedingt helfen, weil ihre Kapazitäten an Kampfjets bisher begrenzt sind, um solche Waffen auch abzufeuern. Daher setzt das von Russland angegriffene Land auch auf die Lieferung westlicher Kampfjets.