Politiker im Gespräch:Sommerliches Fernseh-Ritual

In den "Sommerinterviews" mit Spitzenpolitikern wird Lockerheit inszeniert - und dabei nichts dem Zufall überlassen. Beispiele in Bildern.

Von SZ-Autoren

Schwierig, einen klaren Gedanken zu fassen in einer Zeit, da "alles schmachtet und lechzt unter der Wucht drückender Jahresglut". So hat der Dichter Alkaios 600 vor Christus den Sommer beschrieben, und es stimmt ja auch: Am besten verbringt man die Hundstage daheim, dösend unter dem kühlenden Baldachin seiner Hollywoodschaukel. Es sei denn, man ist Politiker und gibt noch schnell ein Sommerinterview. Sommerinterviews sind eine Erfindung aus den 1980er-Jahren: Schau mal, wollten uns die Damen und Herren vom ZDF-Magazin "Bonn direkt" schon damals sagen, Politiker sind auch nur Menschen und im Urlaub total normal. Genau hier kommt der Outdoor-Journalist ins Spiel. Unter der Wucht drückender Jahresglut nämlich sagen Politiker auch mal etwas, das sie sonst nicht sagen würden. Da ist es immer gut, das Mikrofon eingeschaltet zu haben. Horst Köhler auf Usedom, Joschka Fischer in der Toskana, Gerhard Schröder im Zoo von Hannover - sommerinterviewt wird immer und überall. Und in der heißen, eher nachrichtenarmen Zeit schaut und hört jeder, der nicht gerade Urlaub macht, gerne zu. Wer sich wo wie befragen lässt, das ist kein Zufall. Vordergrund, Hintergrund - das alles hat schon seinen Grund. Martin Zips

Am Tümpel

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(Foto: Wolfgang Lehmann/AP-SZ)

Der Vordergrund: Angela Merkel, damals zwar schon CDU-Chefin, aber noch nicht Bundeskanzlerin, widmet sich im Sommer 2003 den wohltemperierten Fragen des ZDF-Youngsters Peter Frey. Der Hintergrund: Städtische Grünanlage. Das Sommerinterview findet gefährlich nah am Ufer eines Tümpels statt. Der Grund: Das lockere Setting lässt die spröde Merkel bukolisch wirken. So füllt die Aura des Mediterranen das Fernseh-Sommerloch. Nur zwei Jahre später ist Merkel Bundeskanzlerin, und Frey steigt bald auch zum ZDF-Chefredakteur auf. Die Sache hätte natürlich auch ganz anders ausgehen können, hätte jemand die beiden während ihres Tête-à-Têtes samt Klappstuhl ins Wasser geschubst. Ist zum Glück nicht passiert. Martin Zips

Im Sturm

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(Foto: picture alliance / dpa)

Der Vordergrund: Christian Wulff, damals noch Schlossherr im Bellevue, empfängt im Sommer 2011 ZDF-Moderatorin Bettina Schausten nahe seiner Sommerfrische auf Norderney. Der Hintergrund: Die stürmische See, die jemandem wie Wulff natürlich nichts anhaben kann. Eine Woche nach Ausstrahlung des Interviews bestätigt das Bundespräsidialamt, Wulff habe sich während des Gesprächs eigentlich gar nicht im Urlaub befunden. Aber gut. Für Bundespräsidenten ist quasi jede Plauderei erstattungsfähig. Der Grund: Blauer Himmel, blaue Jacke, blaues Hemd - so trotzt Wulff den Naturgewalten. Ein halbes Jahr später plaudert Wulff dann noch einmal. Diesmal mit dem Emir. Danach ist er wie fortgeblasen. Martin Zips

Unter Glas

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(Foto: Astrid Schmidhuber/dpa)

Der Vordergrund: Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer wird im Sommer 2017 vom ZDF-Journalisten Thomas Walde interviewt. Der Hintergrund: Technische Hochschule Ingolstadt. Puristischer Neubau. Für ein fröhliches Seniorengespräch ausreichend klimatisiert. Das Mobiliar - Barhocker und Hochtisch aus undefinierbarem Material - wurde wohl kurzerhand aus der Mensa geklaut. Der Grund: Im Jahr 2015 ging es noch weitaus hitziger zu, beim Sommerinterview mit Seehofer und Walde im Altmühltal. Die Höflichkeiten waren schnell dahin, trotz dösendem Dackel und schaukelnden Geranien. Zu viel Hemdsärmligkeit kann eben auch mal ausarten. Deshalb bleibt diesmal das Sakko an. Michaela Schwinn

Auf Holz

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(Foto: SZ Photo/ZDF)

Der Vordergrund: Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber macht im August 2001 mit Peter Hahne einen Ausflug auf zwei Baumstümpfe im Oberallgäu. Der Hintergrund: Wiesen, Berge, Bayern. Der Grund: Berg, wem Berg gebührt. Auf 1500 Metern sei es "trotz der romantischen Abendstimmung vor überwältigendem Bergpanorama hart zur Sache" gegangen, analysierte das ZDF damals - dass sich das nicht mit den Analysen aller Zuschauer deckte: geschenkt. Auch, dass der Stoiberedmund sich mit dem Helikopter hat rauffliegen lassen wie a Preiß. Wenn der Prophet zum Berg kommen muss, damit der Wähler nicht vergisst, warum er in Bayern ohne lästige Opposition leben darf, dann ist das halt so. Michael Neudecker

Im Trümmerhaufen

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(Foto: ZDF)

Der Vordergrund: Cem Özdemir, Chef der Partei Bündnis 90/Die Grünen, verrät Kinderreporterin Mia im "Logo!"-Sommerinterview 2016, dass er in der Schule immer ziemlich faul war. Der Hintergrund: Die Burgruine Hohenurach, die noch älter aussieht als Özdemirs Partei. Der Grund: Özdemir setzt sich als Grünen-Politiker natürlich für die Umwelt ein, logisch. Also stellt er sich vor die Überreste der menschlichen Zivilisation (Burgruine!), die Mutter Natur gerade wieder mit Brennnesseln überzieht und wo Efeu spielend den alten Wehrturm umrankt. Das ist echt romantisch und ein ökologisches Vanitas-Motiv gleich mit dazu. Fehlt nur noch Heimat: Özdemir kommt aus dem Dorf nebenan. Hannes Vollmuth

Auf der Alm

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(Foto: Thomas R. Schumann/ZDF)

Der Vordergrund: Horst Köhler, damals Bundespräsident, empfängt 2008 Hofberichterstatter Peter Hahne, der sein Pastellhemd auf die Tischblumen abgestimmt hat. Der Hintergrund: Die Stie-Alm in Lenggries-Brauneck, eine halbstündige Tour vom Lift entfernt. Klar sind die beiden gewandert, sieht man ja an der Marscherleichterung. Niemand wandert im Sakko. Der Grund: Die Männer mögen im Rentenalter sein, aber sie streben weiter nach oben. Das demonstriert man am besten auf 1150 Metern Höhe. Und das Sternenfenster im Hintergrund verleiht der Gipfelbegegnung etwas Erlöserhaftes. Eine Erfolgskulisse? Oder blockieren die Männer bloß eine Toilettentür? Im Jahr darauf jedenfalls wird Köhler wiedergewählt. Laura Hertreiter

Im Spukschloss

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(Foto: Karsten Socher/ZDF)

Der Vordergrund: Sigmar Gabriel, damals zwar schon Vizekanzler, aber immer noch Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzender, lässt sich 2016 von Thomas "Red Socks" Walde befragen. Der Hintergrund: Schloss Oelber am weißen Wege in Gabriels Wahlkreis Wolfenbüttel, optisch aufgemöbelt durch zwei Garten-Tablets am Allwetter-Tisch. (Bereits 2015 gab Gabriel Herrn Walde ein Garteninterview. Damals war im Tisch noch ein riesiger Touchscreen eingelassen. Lächerlich.) Der Grund: Regionalität und Universalität sind kein Widerspruch. Das Gemäuer im Hintergrund kennt man natürlich noch aus der Filmklamotte "Das Spukschloss im Spessart". Doch Lilo Pulver heißt heute Siggi Pop und fürchtet von Ankara bis Washington gar kein Gespenst. Martin Zips

Im Abseits

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(Foto: ZDF)

Der Vordergrund: Gregor Gysi, damals Linken-Fraktionschef, trifft sich fürs ZDF mit Bettina Schausten 2013 im Stadion des Zweitligisten Union Berlin. Der Hintergrund: Sehr, sehr viel leere Sitzplätze. Der Grund: Die Fans von Union Berlin gefielen ihm, sagt Gysi zu Beginn des Interviews, "die sind immer so treu". Man fragt sich, warum noch kein anderer Politiker auf diese Idee gekommen ist (Seehofer in der Allianz-Arena! Kretschmann in der Mercedes-Benz-Arena!). Okay, nach Gysis Auftritt im Stadion mitten in seinem Wahlkreis Treptow-Köpenick gab es ein bisschen Aufregung, die Lokalpresse schrieb: "Union-Fans laufen Sturm gegen Gysi", aber bitte, das muss man nicht so ernst nehmen. Behauptet doch niemand, dass Fußball und Politik etwas miteinander zu tun hätten. Michael Neudecker

© SZ vom 03.08.2017/zip/misc/min/fzg/muth/hert - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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