München 1972:Warten auf die Wahrheit

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Zeichen der Versöhnung: Die Sprecherin der Angehörigen, Ankie Spitzer, und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier umarmen sich nach seiner Rede im September 2022. (Foto: Guido Bergmann/Bundesregierung/dpa)

Schnell hatten sich Bund und Land im Herbst 1972 von jeder Verantwortung freigesprochen. Nun beginnt die erste umfassende und ernsthafte Aufarbeitung des Attentats und seines Nachhalls.

Von Roman Deininger und Uwe Ritzer

Viel hat nicht gefehlt im vergangenen Sommer, und der als Signal der gemeinsamen Erinnerung und des Trauerns angelegte Staatsakt zum 50. Jahrestag des Münchner Olympia-Attentats wäre von einem peinlichen Eklat überschattet worden. Noch wenige Tage zuvor sah es so aus, als würden die Hinterbliebenen der elf ermordeten Israelis das Zeremoniell im Fliegerhorst Fürstenfeldbruck am 5. September 2022 boykottieren. In diesem Fall hätte wohl auch der israelische Staatspräsident Isaac Herzog der Einladung des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier kaum folgen können. Erst unmittelbar vor der Gedenkfeier renkte sich alles ein, als die Bundesregierung und die Angehörigen der israelischen Opfer sich doch noch auf Entschädigungszahlungen einigten.

So markierte der Staatsakt in Fürstenfeldbruck damals das Ende eines langen Weges. Fünfzig Jahre hatten die Familien der ermordeten Israelis auf eine offizielle Entschuldigung von deutscher Seite warten müssen - für das Versagen der hiesigen Sicherheitsbehörden 1972, die den palästinensischen Terroristen beinahe ohnmächtig gegenübergestanden hatten. Und für das zweite deutsche Versagen, vielleicht sogar das schlimmere: die schäbige Behandlung der Angehörigen der Opfer in den Jahrzehnten danach.

"Ich bitte Sie um Vergebung", sagte Steinmeier in Fürstenfeldbruck zu den Hinterbliebenen in den ersten Reihen. Als der Bundespräsident nach seiner Rede zu seinem Platz zurückkehrte, nahm er Ankie Spitzer in den Arm, die Witwe des ermordeten Fechttrainers Andrei Spitzer und Sprecherin der Angehörigen. Es war ein großer Moment der Versöhnung, den dann auch der israelische Amtskollege Herzog würdigte. Er dankte Steinmeier für eine "mutige, historische Rede, die unsere Herzen berührt hat".

Ein Schuldeingeständnis hat die deutsche Seite lange vermieden

Zur Versöhnung gehörte freilich auch die Entschädigungszahlung von 28 Millionen Euro, zu der sich die Bundesrepublik erst unter dem enormen Druck der israelischen Verhandlungsführerin Spitzer bereiterklärte. Zu Beginn des Gedenkjahres 2022 hatten weder die Bundesregierung noch die bayerische Staatsregierung oder die Landeshauptstadt München den Eindruck erweckt, dass sie eine neuerliche Finanzleistung für nötig oder möglich hielten. Die deutsche Seite hatte den israelischen Hinterbliebenen ja schon 1972 und 2002 insgesamt 4,6 Millionen Euro gezahlt - allerdings nur als humanitäre Hilfe, weil mit dem Begriff Entschädigung ein Schuldeingeständnis verbunden gewesen wäre.

Wie ernst es den Angehörigen mit ihren Forderungen war, bekam dann im Sommer 2022 der neue deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, zu spüren. Er überbrachte ein Angebot über 5,4 Millionen Euro, das Ankie Spitzer empört als "Trinkgeld" und "beleidigend" zurückwies. Die Deutschen hatten den anhaltenden Zorn der israelischen Witwen und Waisen zunächst unterschätzt. Dabei sind die deutschen Fehler und Versäumnisse im Zusammenhang mit dem Olympia-Attentat zweifelsfrei belegt.

Schnell hatten Bund und Land im Herbst 1972 die Akten geschlossen und sich selbst von jeder Mitverantwortung am Tod der elf Israelis und des deutschen Polizisten Anton Fliegerbauer freigesprochen. Wohlwissend, dass die zuständigen Behörden vor den Spielen konkrete Warnungen vor dem Anschlag fahrlässig ignoriert hatten. Auch die mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen im Olympischen Dorf und der teilweise stümperhafte Polizeieinsatz hatten den palästinensischen Terroristen ihr mörderisches Tun erleichtert. Vor allem aber bezog sich die Wut der Angehörigen auf die Weigerung der deutschen Verantwortlichen, sich zu entschuldigen und die zahlreichen offenen Fragen zum Tathergang und den Hintergründen aufzuklären.

Ankie Spitzer erhielt keinen Zugang zu den Ermittlungsakten und wurde sogar über deren Existenz belogen. Ein beteiligter Münchner Polizeiführer verstieg sich zu der Bemerkung, die Israelis seien angesichts ihrer Politik gegenüber den Palästinensern doch selbst schuld gewesen am Attentat. Die drei überlebenden Terroristen wurden von den Sicherheitsbehörden erstaunlich schnell wieder freigelassen, als Luftpiraten dies forderten; sie hatten am 29. Oktober 1972 eine Lufthansa-Maschine gekapert. Bis heute steht der Verdacht im Raum, die Entführung könnte fingiert gewesen sein. Die Bundesregierung von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD), so die These, habe sich mit der Freilassung die Verschonung von weiterem palästinensischen Terror erkauft.

Acht Wissenschaftler arbeiten die Vorgänge nun erstmals umfassend auf

Ist da was dran? Die Antwort soll nun die internationale Historikerkommission geben, die das Bundesinnenministerium im September 2022 angekündigt hatte und die Ende Mai ihre Arbeit aufnahm. Ihr obliegt die erste umfassende und ernsthafte Aufarbeitung des Olympia-Attentats und seines Nachhalls - ihr Erfolg mag davon abhängen, ob sie nicht nur in Deutschland, sondern auch in Israel alle relevanten Akten einsehen kann.

Acht Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, Israel, den USA und Großbritannien werden sich jedenfalls drei Jahre lang dem Thema in allen Facetten widmen. Der Bundestag hat ihnen dafür ein Budget von drei Millionen Euro genehmigt, 2026 sollen sie ihren Abschlussbericht einer möglichst großen Öffentlichkeit präsentieren. Demnächst findet die erste Tagung der Kommission statt, sie trifft sich von 5. bis 7. September am Münchner Institut für Zeitgeschichte. Während der 50. Jahrestag des Olympia-Attentats im Zeichen der Versöhnung stand, steht der 51. ganz im Zeichen der Arbeit.

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