Klimaaktivisten:Die harte bayerische Linie gegen die "Letzte Generation"

Lesezeit: 2 min

Als mutmaßlichen Kopf einer "kriminellen Vereinigung" bezeichnet die Generalstaatsanwaltschaft München die Klimaaktivistin Carla Hinrichs. (Foto: Paul Zinken/DPA)

Die Aktivisten wehren sich gegen den Vorwurf der "kriminellen Vereinigung", doch das Landgericht München bestätigt einen "Anfangsverdacht". Mit welchen Argumenten?

Von Ronen Steinke, Berlin

Dass die Klimaaktivisten der "Letzten Generation" regelmäßig Straftaten begehen, wird niemand bestreiten können, nicht einmal die Aktivisten selbst, die zuletzt wieder mit Pinsel und Farbe anrückten und das Brandenburger Tor - nun auch von seiner Westseite - frisch in Orange bemalten. Aber ist das ihr zentrales Ziel? Straftaten begehen? Ist das ihr Sinn und Zweck?

Strafjuristen streiten schon seit einigen Monaten über diese Bewertungsfrage - nur ganz vereinzelt haben Staatsanwaltschaften es bislang für richtig gehalten, die Sache sehr streng zu sehen und die "Letzte Generation" als eine "kriminelle Vereinigung" nach dem Paragrafen 129 des Strafgesetzbuchs zu bezeichnen, also auf einer Ebene zum Beispiel mit Rocker-Gangs oder der Mafia. Das eröffnet die Möglichkeit zu sehr hohen Strafen: bis zu fünf Jahre Haft. Nun hat das Landgericht München erkennen lassen, dass es diesen schweren Vorwurf gegen die Aktivisten durchaus für schlüssig hält.

Die Straftat zu begehen, müsse nicht der "Hauptzweck" der Aktionen sein

Am Donnerstag wurde bekannt, dass das Landgericht München eine Reihe von Beschwerden der "Letzten Generation" zurückgewiesen hat. Die Generalstaatsanwaltschaft München hatte im Mai mehrere Privatwohnungen und Büros bundesweit durchsuchen lassen und sich dabei auf den Vorwurf gestützt, man habe es womöglich mit einer "kriminellen Vereinigung" zu tun - ein Anfangsverdacht. Nach langem internem Zögern, über das die Süddeutsche Zeitung anhand interner Schriftsätze berichtete, hatten sich die bayerischen Strafverfolger damals entschieden, ihre Bedenken zurückzustellen und diesen harten Schritt zu gehen. Das Landgericht München hat ihnen nun recht gegeben.

Ein Anfangsverdacht sei in der Tat gegeben. Die Staatsschutzkammer des Landgerichts hob hervor, dass die Begehung von Straftaten nicht der "Hauptzweck" der Gruppe sein müsse. Es genüge strafrechtlich schon, wenn dies ein Zweck unter mehreren sei. Die entsprechenden Gerichtsbeschlüsse wurden bereits am 16. November gefällt.

Im Kern geht es um zwei Fragen. Die erste: Welches Gewicht kommt bei der "Letzten Generation" der Kriminalität zu - ist die nur ein Nebenprodukt des Protests? Im einschlägigen Paragrafen 129 heißt es, dass man von einer kriminellen Vereinigung nicht ausgehen könne, wenn das Begehen von Straftaten "nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung" sei. Das Landgericht sagt jetzt aber: Die Klimaaktivisten würden regelmäßig Sachbeschädigungen wie auch Nötigungen begehen, etwa durch das Festkleben auf Straßen - und davon werde das Erscheinungsbild der Gruppe jedenfalls "wesentlich mitgeprägt".

Zu erwarten ist, dass Carla Hinrichs und andere auf die Anklagebank müssen

Zweite Frage: Erzeugen die Taten der "Letzten Generation" auch eine "erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit"? Um dies zu bejahen, genüge es schon, wenn der gesellschaftliche Diskurs "durch illegitime Mittel verletzt wird", meint dazu das Münchner Landgericht. Die Gruppe strebe immerhin an, sich "gegebenenfalls moralisch überhöhend" über demokratische Abläufe hinwegzusetzen. Dies müsse man zurückweisen. Straftaten seien kein Mittel der Diskussion in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, sondern Ausdruck krimineller Energie und als solche juristisch nüchtern zu bewerten.

Womit die Frage allerdings offenbleibt: Ist eine solche politische Irritation schon dasselbe wie eine "Gefahr für die öffentliche Sicherheit", wie sie das Strafgesetzbuch verlangt?

Newsletter abonnieren
:Klimafreitag-Newsletter

Einmal pro Woche - immer freitags - schreiben SZ-Autorinnen und Autoren über Klimakrise, Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Kostenlos anmelden.

Ein Strafprozess mit öffentlicher Hauptverhandlung, Beweisaufnahme und so weiter hat zu dieser Frage noch nirgends in Deutschland stattgefunden. Auch jetzt ist die "Letzte Generation" nicht etwa verbindlich "eingestuft" als kriminelle Vereinigung. Sondern es geht bislang nur um einen Anfangsverdacht. Und: In anderen Städten wie Berlin, wo die "Letzte Generation" die weitaus meisten ihrer Aktionen begeht und auch für dieses Wochenende wieder umfangreiche Blockaden angekündigt hat, gingen die Strafverfolger zuletzt weiter davon aus, dass von einer "kriminellen Vereinigung" juristisch nicht die Rede sein könne.

Die Justiz in München steht bislang weitgehend isoliert da mit ihrer harten Linie - gemeinsam lediglich mit den Strafverfolgern im brandenburgischen Neuruppin. Zu erwarten ist, dass nun im kommenden Jahr Carla Hinrichs und andere Köpfe der "Letzten Generation" in München gemeinsam auf einer Anklagebank Platz nehmen müssen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKlimaaktivismus
:"Ich bleibe so lange auf der Straße sitzen, bis die Bundesregierung handelt."

Luis Böhling ist 19 Jahre alt und Mitglied der "Letzten Generation". Er hat sich schon in München auf der Straße festgeklebt und im September beim großen Aktionsmonat der Gruppierung auch in Berlin. Ein Gespräch mit einem jungen Mann, der genau weiß, was er tut.

Von Felix Krauser

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: