Verbrechen:Mehr Straftaten und mehr Gewalt

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Etwa 2,2 Millionen Tatverdächtige hat die Polizei 2023 ermittelt, 7,3 Prozent mehr als im Jahr davor. (Foto: Monika Skolimowska/DPA)

Die Polizeiliche Kriminalstatistik 2023 weist mehr Kinder und Jugendliche als Tatverdächtige aus als im Jahr zuvor - und mehr Menschen ohne deutschen Pass. Welche Schlüsse lässt das zu? Darüber streiten Kriminalisten und Parteien.

Von Ayça Balcı, Constanze von Bullion und Henrike Roßbach, Berlin

Die Ministerin lässt es nicht an Deutlichkeit fehlen. Und doch. Es gibt zu den unerfreulichen Zahlen immer auch ein Aber. 5,5 Prozent mehr Straftaten im vergangenen Jahr, steigende Gewaltkriminalität in Deutschland, deutlich mehr Straftaten von Kindern und Jugendlichen und dazu ein starker Zuwachs von Tatverdächtigen ohne deutschen Pass - die Bilanz der Polizeilichen Kriminalstatistik 2023 ist nicht ermunternd. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will gegen Straftäter nun härter durchgreifen lassen - aber auch gegen die Perspektivlosigkeit, die Straftaten begünstigt.

"Deutschland ist weiterhin eines der sichersten Länder der Welt", sagte Faeser am Dienstag bei der Präsentation der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik 2023 in Berlin. "Gleichzeitig gibt es aber Entwicklungen, die wir deutlich benennen müssen." Im Vergleich zu 2022 stieg die Zahl der Tatverdächtigen, die einer Gewalttat beschuldigt wurden, überproportional um 8,6 Prozent. Mehr als 13 Prozent der Tatverdächtigen waren minderjährig, also auffällig viele. Der Anteil ausländischer Tatverdächtiger hat um 2,5 Prozentpunkte zugenommen und lag bei 34,4 Prozent, ohne ausländerrechtliche Verstöße. Allerdings ist auch die Zahl Nichtdeutscher in der Wohnbevölkerung deutlich gewachsen und migrationsbedingt auch die Zahl der Kinder und Jugendlichen.

Innenministerin Faeser setzt auf "null Toleranz"

"Es gibt eine gestiegene Gewaltkriminalität, es gibt mehr Ausländerkriminalität. Deshalb geht es heute um das notwendige, aus meiner Sicht harte Durchgreifen des Rechtsstaates", sagte Faeser am Dienstag. Nötig sei aus ihrer Sicht "null Toleranz" und konsequente Strafverfolgung. Gleichzeitig müsse Deutschland aber auch "bei den sozialen Ursachen ansetzen, die sich hinter Kriminalität und Gewalt verbergen." Dazu gehöre neben Schulbildung und Integrationskursen auch der Kampf gegen Kinderarmut. In schwieriger Zeit dürfe "hier niemand die Axt anlegen".

Die Polizeiliche Kriminalstatistik verzeichnet Tatverdächtige, nicht aber verurteilte Straftäterinnen und Straftäter. Ob die Vorwürfe zutreffend sind, kann die Polizei nicht feststellen. Der Trend allerdings lässt wenig Zweifel, dass gerade Gewalttaten 2023 zugenommen haben. Vorsätzliche und einfache Körperverletzung waren demnach um 7,4 Prozent häufiger als im Vorjahr, Messerangriffe um knapp 10 Prozent, Raubdelikte sogar um 17,4 Prozent. Ungefähr ein Drittel aller Straftaten waren Diebstähle, in Läden wuchs ihre Zahl um mehr als 23 Prozent.

Besonders stark nahm aber auch die Zahl der Straftaten im Internet zu, Hinweise kommen hier meist von Geheimdiensten anderer Staaten. Bei Erwerb, Besitz oder Produktion jugendpornografischer Schriften gab es ein Plus von 31,2 Prozent. Die Verbreitung von Kinderpornografie nahm erneut um 7,4 Prozent zu - das Dunkelfeld dürfte weit größer sein.

Viele Täter sind Ausländer, viele Opfer auch

"Es ist für mich ein unerträglicher Zustand, dass wir in diesem Bereich nicht unsere Möglichkeiten, die wir haben könnten, ausschöpfen, um Kinder vor solchen schrecklichen Verbrechen zu schützen", sagte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) am Dienstag. Die Innenministerkonferenz, der Stübgen vorsitzt, erwarte ein "Umdenken" der Bundesregierung und ein Gesetz, das die Speicherung von IP-Adressen vorübergehend erlaube, um Straftäter im Netz zu identifizieren. Faeser fordert diese Speicherung, die FDP lehnt sie ab.

Die größte Aufmerksamkeit richtete sich am Dienstag auf die wachsende Zahl nicht deutscher Tatverdächtiger. Mit 34,4 Prozent lag sie 2023 laut Statistik deutlich über dem Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung in Deutschland. Diese wird auf etwa 15 Prozent geschätzt. Allerdings lasse sich daraus nicht schließen, dass Nichtdeutsche mehr als doppelt so häufig kriminell würden wie Deutsche, sagte der Präsident des Bundeskriminalamts Holger Münch. "Wir haben reisende Täter, wir haben Touristen, die auch Straftaten begehen." Dieser "Verzerrungseffekt" lasse die Zahl ausländischer Straftäter in der Statistik "immer deutlich höher aussehen als sie eigentlich ist".

Festzustellen sei aber ein höheres Risiko der Straffälligkeit bei jungen, männlichen Migranten. Zu den Gründen gehörten Gewalterfahrungen und eine schlechte wirtschaftliche Situation. Zudem sei die Lebenssituation in Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber schwieriger geworden. Die meisten Opfer von Straftaten Nichtdeutscher sind laut Statistik ebenfalls Ausländer. Der Zuwachs lag hier mit 15,2 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei deutschen Opfern. Laut BKA ist Kriminalität beim Menschen ohne deutschen Pass "nicht primär mit dem Verbleib von Migrantinnen und Migranten verknüpft, sondern mit den Bedingungen eines akut sehr umfangreichen Wanderungsgeschehens". Bleibe die Migrationsdynamik hoch, wüchsen auch die Probleme.

Ein Instrument für den vorsichtigen Umgang

Aus der Wissenschaft kamen am Dienstag Warnungen, keine voreiligen Schlüsse aus der Polizeilichen Kriminalstatistik zu ziehen. Sie sei "ein Instrument, mit dem man sehr vorsichtig umgehen muss", sagte Hartmut Aden, Professor für Öffentliches Recht aus Berlin. Die Aufstellung spiegle das Anzeigeverhalten von Bürgerinnen und Bürgern und das Kontrollverhalten der Polizei - also "Wahrnehmung", aber nicht unbedingt Realität.

Ähnlich äußerte sich Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag. Der Anstieg der Fallzahlen sei "besorgniserregend", erklärte sie. Allerdings dokumentiert die Statistik nicht, ob die Tatverdächtigen auch angeklagt und verurteilt wurden. "Hier brauchen wir eine solidere Grundlage, auch um uns mit der Entwicklung bestimmter Phänomene auseinanderzusetzen und die Prävention zu verbessern." CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kritisierte, es gehöre zu dem "immer wieder gleichen Reflex der Grünen", solche Statistiken mit einer "vermeintlichen Ausländerfeindlichkeit" zu begründen. "Das ist der übliche grüne Umgang mit der Thematik: schönreden, leugnen und vertuschen."

Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, warf der Ampel vor, in zweieinhalb Jahren keine Gesetze auf den Weg gebracht zu haben, die für mehr Sicherheit sorgten. "Da finden Sie bislang auf der Habenseite nichts." Innenministerin Faeser wies die Vorwürfe zurück. Mit Grenzkontrollen, verschärften Abschieberegeln und deutlich mehr Integrationskursen seien wichtige Erfolge erzielt worden. Die Asylbewerberzahlen seien 2024 um 20 Prozent zurückgegangen.

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