Klimaschutzgesetz:Eine unendliche Geschichte

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Auf den Straßen werden die Klimaziele noch nicht erreicht. Das Verkehrsministerium muss eigentlich ein Sofortprogramm vorlegen. Es sei denn, das Klimaschutzgesetz wird vorher geändert. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Erst drei Wochen ist es her, da legte die Koalition ihren Klimastreit bei. Doch nun droht er wieder aufzuflammen - denn die Beschlüsse von einst interpretieren die Beteiligten unterschiedlich.

Von Markus Balser, Michael Bauchmüller und Claus Hulverscheidt, Berlin

Wenigstens ganz am Ende sollte es versöhnlich klingen: Als die Parteivorsitzenden der Ampelkoalition Ende März nach dem wohl längsten Koalitionsausschuss in der Geschichte vor die Kameras traten, war der Ton freundlich. "Man schweigt sich auseinander, aber man diskutiert sich zusammen", lobte FDP-Chef Christian Lindner.

Großes habe die Koalition beschlossen, führte Lindner aus. Etwa Aufweichungen beim Klimaschutz. Dass jeder Sektor starre Ziele einhalten müsse, sei zu "bürokratisch", befand der FDP-Mann und kündigte an: "Die reine Sektorbetrachtung überwinden wir." Es gehe künftig um eine langfristige, sektorübergreifende Perspektive.

Schon drei Wochen später diskutieren sich sich die Ampelparteien schon wieder auseinander. Die FDP rede von Beschlüssen, die so gar nicht beschlossen worden seien, monieren führende Grüne. Man sei "irritiert". Und Grünen-Chef Omid Nouripour verlangt eine "gemeinsame Kraftanstrengung". Auch künftig werde es "für jeden Sektor - Industrie, Gebäude, Verkehr - klare Benchmarks geben, an denen er sich messen lassen muss", sagt Nouripour der SZ. "Nur wenn alle liefern, kann es gelingen, das Land klimaneutral zu machen."

Vor allem zwei Bereiche hinken dem Ziel hinterher: der Verkehr und die Gebäude

Was technisch klingt, ist in Wahrheit das Herz des deutschen Klimaschutzgesetzes, jedenfalls bisher. Einmal jährlich erfährt das Land, ob es seine Klimaziele erreicht hat - und wo es, wenn nicht, hakt. Verkehr, Gebäude, Industrie, Landwirtschaft, Energie - sie alle haben eigene Vorgaben, eben Sektorziele. Von Jahr zu Jahr werden sie strenger. Am Ende soll Deutschland so erreichen, was auch das Verfassungsgericht verlangt: einen verlässlichen Pfad zur Klimaneutralität. Doch vor allem zwei Bereiche hinken dem Ziel hinterher: der Verkehr und die Gebäude. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Bauministerin Klara Geywitz (SPD) müssen nachlegen, so verlangt es das Gesetz.

Nur: Wie lange gilt das noch?

Bei jenem zähen Koalitionsgipfel, nach dem Lindner die Sektorenbetrachtung für überwunden erklärte, hatte die Koalition tatsächlich beschlossen, künftig "alle Sektoren aggregiert" zu betrachten. Das könnte mit dem bisherigen Prozedere aufräumen. Bei einer Verfehlung der Ziele sollten aber weiterhin "insbesondere" die Ministerien Abhilfe schaffen, "in deren Zuständigkeitsbereich die Sektoren liegen, die die Zielverfehlung verursacht haben". Das klingt ganz nach dem bisherigen Prozedere - und darauf pocht auch der von der Regierung eingesetzte Expertenrat für Klimafragen. "Gerade die Ressortverantwortung wird auch in Zukunft wichtig bleiben", betont Wirtschaftsstaatssekretär Stefan Wenzel. Die Hinweise des Expertenrats nehme man "sehr ernst".

Die Sache hat das Zeug zu einem ernsthaften Koalitionskrach. Schon bei den Verhandlungen über den Koalitionsvertrag hatte die FDP darauf gedrängt, die Sektorziele zu überwinden. Doch im Vertragswerk blieb nur die schwammige Formulierung, man wolle das Gesetz "konsequent weiterentwickeln". Die Einhaltung der Klimaziele wolle man "anhand einer sektorübergreifenden und (...) mehrjährigen Gesamtrechnung überprüfen". Das bedeutete, wie das Gipfelpapier von Ende März, alles und nichts.

Das Verkehrsministerium müsste ein Sofortprogramm vorlegen

Inzwischen ist der Leidensdruck der FDP aber noch gewachsen, denn kein Haus ist so säumig wie das von FDP-Minister Wissing. Statt zu sinken, sind die Emissionen im Verkehr 2022 erneut gestiegen. Das Ministerium müsste erneut ein Sofortprogramm vorlegen, das verlangt der Mechanismus des Klimaschutzgesetzes. Schon das letzte Programm hatte der Expertenrat für zu leicht befunden. Nachgelegt hatte Wissing nicht, die Causa beschäftigt mittlerweile die Gerichte.

Zu allem Überfluss tickt nun die Uhr. Bis zum 17. Juli, so verlangt es das Gesetz, müssen die neuen Sofortprogramme vorliegen. Es sei denn, das Gesetz wird vorher geändert. Und zwar so, dass diese Verpflichtung entfällt. Der Zeitplan ist straff. Während Kanzleramt und SPD sich wünschen, dass die Novelle schon am 3. Mai im Bundeskabinett verabschiedet wird, hält man das bei den Grünen für kaum machbar. Selbst vor der Sommerpause werde das "sehr ehrgeizig". Zu viele Fragen seien offen. Und dann müsste auch noch der Bundestag ran.

Es droht eine Konstellation aus Blockaden und Gegenblockaden

Zuständig für die Novelle wäre das Klimaschutzministerium des Grünen Robert Habeck, das aber offenbar gerade erst mit der Arbeit an einer Novelle beginnt. Und sollte die sich verzögern, bliebe eben erst einmal alles bei der alten Regelung. Allerdings droht damit erneut eine Konstellation aus Blockaden und Gegenblockaden, die doch der Koalitionsgipfel im März hatte auflösen sollen.

Das Verkehrsministerium versucht derweil, die Wogen zu glätten. Zwar baue man darauf, dass die Klimaziele künftig sektorübergreifend überprüft würden. Sollte das Gesetz aber nicht rechtzeitig geändert werden, lege man "selbstverständlich" ein Sofortprogramm vor. Letztlich sei es aber zweitrangig, "ob wir jetzt noch ein Klimaschutzsofortprogramm vorlegen oder nicht". Schließlich arbeite man so schon mit Hochdruck am Klimaschutz.

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