CO₂-Emissionen:Klima-Experten warnen Regierung

CO₂-Emissionen: Im Bereich Verkehr stieg die Menge der ausgestoßenen Treibhausgase statt zu sinken.

Im Bereich Verkehr stieg die Menge der ausgestoßenen Treibhausgase statt zu sinken.

(Foto: Christoph Hardt/IMAGO/Panama Pictures)

Deutschland könnte seine Klimaziele bis 2030 weit verfehlen, prognostizieren Berater des Bundes. Sie kritisieren die Pläne der Koalition, das entscheidende Gesetz aufzuweichen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Auf den ersten Blick läuft alles nach Plan: Deutschland hat 2022 seine Klimaziele eingehalten, die Emissionen sanken gegenüber dem Vorjahr um knapp zwei Prozent. Doch nun zeichnet der Expertenrat für Klimafragen, ein fünfköpfiges Wissenschaftler-Gremium im Regierungsauftrag, ein anderes Bild: Sondereffekte haben die Emissionen so stark sinken lassen, kaum ein Bereich der deutschen Wirtschaft ist wirklich auf Kurs. Und ändert sich das nicht, könnte das Land sein Klimaziel für 2030 krachend verfehlen.

Am Montag hat der Rat seinen Bericht zur jüngsten Emissionsbilanz des Bundes vorgelegt, so verlangt es das Klimaschutzgesetz. Demnach waren die Emissionen 2022 zwar um 14 Millionen Tonnen zurückgegangen. Davon gingen aber allein neun Millionen auf eine schwächere Wirtschaftsleistung infolge des Kriegs in der Ukraine zurück. Die Industrie habe zwar auch sparsamer mit Energie gewirtschaftet. Das aber wohl nur temporär - wegen hoher Energiepreise. Ähnlich verhalte es sich bei der Wärme. "Wir haben die Ziele im letzten Jahr vor allem krisenbedingt eingehalten", sagt Brigitte Knopf, die stellvertretende Vorsitzende des Gremiums.

Im Verkehr stiegen die Emissionen trotz hoher Spritpreise und Neun-Euro-Ticket

Der Abschied vom "fossilen Kapitalstock" dagegen gehe zu langsam vonstatten, warnen die Wissenschaftler - und dies vor allem in Heizungskellern und auf der Straße. So stiegen im Verkehr die Emissionen, statt zu sinken - und das in einem Jahr hoher Spritpreise und ungeachtet des Neun-Euro-Tickets im Nahverkehr. "Nur marginal" habe sich der Bestand an Verbrennerfahrzeugen reduziert. Auch in Gebäuden setze sich die klimafreundliche Wärmepumpe bisher zu langsam durch.

Beide Sektoren, Gebäude und Verkehr, haben wiederholt ihr sogenanntes Sektorziel gerissen. Nach der Logik des Klimaschutzgesetzes verlangt dies bis Mitte Juli ein Sofortprogramm der zuständigen Ministerien. "Und wir gehen davon aus, dass das Gesetz Gültigkeit hat", sagt Hans-Martin Henning, der Vorsitzende des Expertenrates.

Ende März hatten sich die Spitzen der Koalition darauf verständigt, das Klimaschutzgesetz zu ändern. "Zukünftig werden alle Sektoren aggregiert betrachtet", hielten sie fest. Dies könnte vor allem Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) entlasten, der bisher ein wirksames Sofortprogramm schuldig geblieben ist. Der Expertenrat sieht diesen Plan der Koalition kritisch. Sollte dies die Verantwortung der Ressorts aufweichen, erhöhe dies "das Risiko für zukünftige Zielverfehlungen", warnt Vize-Vorsitzende Knopf.

Und die bahnen sich an. Bleibe es beim bisherigen Tempo im Klimaschutz, werde das Ziel für 2030 um etwa 40 Prozent verfehlt, prognostizieren die Experten: Statt der angepeilten 438 Millionen Tonnen Treibhausgase würde das Land dann 628 Millionen Tonnen emittieren - fern der Vereinbarung von Paris, fern auch der Forderungen des Bundesverfassungsgerichts. Der Bericht sei eine "höflich formulierte, aber schallende Ohrfeige für die Klimapolitik der Bundesregierung", sagt Greenpeace-Chef Martin Kaiser. Jene Spielräume in anderen Sektoren, auf die die Koalition mit ihrer "aggregierten" Betrachtung spekuliere, gebe es schlicht nicht.

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