Drohende Auslieferung an die USA:Im Fall Assange verhält sich die Bundesregierung auffallend ruhig

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Dürfte bald an ihren früheren Aussagen zum Fall Assange gemessen werden: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. (Foto: Stringer/Reuters)

Als Oppositionspolitikerin forderte Annalena Baerbock die sofortige Freilassung des Wikileaks-Gründers und sprach von schwerwiegenden Verstößen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Doch jetzt ist sie Außenministerin.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Viel ist von Menschenrechten die Rede im Koalitionsvertrag der Ampel in Berlin. Sie sollen den Kompass bilden für die wertebasierte deutsche Außenpolitik und verteidigt werden in einer Welt, in der zentrale Akteure deren universelle Gültigkeit infrage stellen. Die Bundesregierung ist deutlich in ihrer Kritik an Russland und neuerdings auch China. Zum Test für ihre Glaubwürdigkeit avanciert gerade aber eine Haftsache in Großbritannien. Dort wehrt sich Wikileaks-Gründer Julian Assange gegen eine Auslieferung in die USA, wo ihm ein Spionage-Prozess bevorsteht und ein mögliches Strafmaß von bis zu 175 Jahren Haft.

Den engen Verbündeten gegenüber hält sich die Bundesregierung bislang zurück, auch wenn Assanges Angehörige um Unterstützung bitten, jüngst mit Blick auf den G-7-Gipfel, der am Sonntag im bayerischen Elmau beginnt. Bundeskanzler Olaf Scholz solle US-Präsident Joe Biden darum bitten, das Verfahren einzustellen, verlangt Assanges Bruder, Gabriel Shipton. Auf die Frage jedoch, ob sich die Bundesregierung bei den USA und Großbritannien für den Whistleblower einsetzen werde, verweist Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag auf das Auswärtige Amt, "das sich zu dieser Angelegenheit immer wieder geäußert hat".

Ressortchefin Annalena Baerbock steht besonders im Fokus, forderte sie doch vor dem Regierungswechsel die sofortige Freilassung Assanges und führte dafür "schwerwiegende Verstöße" an "gegen grundlegende Freiheitsrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention". Als sie bei ihrem Antrittsbesuch in Warschau, nur Tage im Amt, nach einem ersten britischen Urteil gefragt wurde, das eine Auslieferung zuließ, sagte Baerbock, sie kenne die Begründung noch nicht und könne zu dem, was sie in der Vergangenheit gesagt habe, nichts Weiteres sagen.

Seither beschränkt sich das Auswärtige Amt offiziell auf den Hinweis, dass es sich um ein laufendes Verfahren handele und Assange auch nach der Entscheidung der britischen Innenministerin Priti Patel, die Auslieferung zu genehmigen, noch Rechtsmittel in Großbritannien und der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) offenstehen. Dass Baerbock ihre Meinung geändert hätte, lässt sich daraus nicht schließen - geändert hat sich ihre Rolle. Appelle als Oppositionsabgeordnete sind das eine. Worte einer Außenministerin gegenüber einer anderen Regierung haben ein anderes Gewicht. Da beugt sich auch die Grünen-Politikerin bislang den diplomatischen Gepflogenheiten.

Das Auswärtige Amt betont freilich, dass Baerbock auch als Ministerin den Fall "weiterhin sehr eng verfolgt" und dazu auch mit ihrer britischen Kollegin Liz Truss in Kontakt sei. Ihr Staatsminister Tobias Lindner traf am Montag in Berlin Assanges Angehörige. Sowohl in die Richter des britischen High Court als auch jene in Straßburg setzt mancher in Berlin die Hoffnung, dass es dort zu einer umfassenden Abwägung aller Rechtsgüter kommt und bei dieser letztlich die Pressefreiheit und Assanges Grundrechte schwerer wiegen als berechtigte Interessen von Staaten an Geheimhaltung. So oder so - wenn die endgültige Entscheidung gefallen ist, wird Baerbock sich dazu verhalten müssen. Und das Kanzleramt nicht länger das Außenministerium vorschieben können.

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