G7-Treffen in Liverpool:Krisensitzungen statt Weihnachtsfrieden

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Die britische Außenministerin Liz Truss neben ihrer neuen Kollegin Annalena Baerbock am ersten Tag des G7-Gipfels der Außen- und Entwicklungsminister in Liverpool. (Foto: WPA Pool/Getty Images)

Kanzler Scholz und Außenministerin Baerbock wollen dazu beitragen, eine Eskalation zwischen Russland und der Ukraine abzuwenden. Doch die Ampel-Regierung gerät massiv unter Druck.

Von Daniel Brössler und Paul-Anton Krüger, Berlin/Liverpool

Im Museum of Liverpool spielt die Blaskapelle der Heilsarmee Liverpool Walton in ihren blauen Uniformen Weihnachtslieder zur Begrüßung. Am River Mersey, wo Besucher sonst in einem spektakulären Neubau der Geschichte der Stadt nachspüren können, hat die britische Außenministerin Liz Truss ihre G7-Kolleginnen und -Kollegen versammelt. Vom Frieden auf Erden allerdings, der in "Hark! The Herald Angels sing" besungen wird, ist nichts zu spüren. Ernste Gesichter unter Masken spiegeln die Anspannung angesichts der möglichen Eskalation um den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine.

Wortlos verschwinden die neue Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und ihre Kollegen über die spiralförmige Treppe zur ersten Arbeitssitzung. Dass die Gefahr eines russischen Einmarsches auch dieses Treffen dominieren wird, hatte die Gastgeberin schon vor Beginn klar gemacht: "Was wir tun müssen, ist, Russland von dieser Vorgehensweise abzuschrecken", sagte Truss. Es gehe um eine "Demonstration der Einheit" zwischen den gleichgesinnten größten Volkswirtschaften der Welt, dass wir "in unserer Haltung gegen eine Aggression gegenüber der Ukraine absolut stark sein werden".

Russland drohte sie mit "schwerwiegenden Folgen", eine Formel, die von Washington über Paris bis Berlin in allen westlichen Hauptstädten verwendet wird. Dahinter verbergen sich vor allem einschneidende Wirtschaftssanktionen, aber auch politische Maßnahmen - Kiew im Falle des Falles militärisch beizuspringen hatte US-Präsident Joe Biden zumindest für den Moment und ohne eine Beteiligung europäischer Nato-Staaten ausgeschlossen.

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Biden und Scholz haben schon telefoniert

Baerbock dürfte in eine besonders unangenehme Lage kommen, denn Truss sagte auch, dass sie "zweifellos" die umstrittene russische Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 ansprechen werde. Mit ihr traf sich Baerbock bereits am Freitagabend, ebenso mit US-Außenminister Tony Blinken. Baerbock hat das Projekt immer abgelehnt, muss jetzt aber die gemeinsame Haltung der Bundesregierung vertreten, dass es ein geregeltes Verfahren zur Zertifizierung der Leitung bei der Bundesnetzagentur gebe, und die Bundesregierung nicht eingreift - wohl auch aus Sorge vor Schadenersatzforderungen des russischen Staatskonzerns Gazprom.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zwingt die Lage zu einem Kaltstart in die Weltpolitik. Nach einem hektischen Tag der Antrittsbesuche bei Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sowie bei der EU und der Nato erreichte ihn in Brüssel am Freitagabend ein Anruf von US-Präsident Joe Biden.

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Biden habe dem neuen Kanzler gratuliert, teilte das Weiße Haus später mit. Es sei aber auch um das "ganze Spektrum globaler Herausforderungen" von Pandemie über den Klimawandel bis zum russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine gegangen. Tatsächlich dürfte Letzteres im Mittelpunkt des Telefonats gestanden haben. Biden braucht Scholz für seine Pläne zur Entschärfung der Ukraine-Krise, weswegen schon sehr konkret über die nächsten Schritte gesprochen worden sein dürfte.

Biden will mit einer kleinen Gruppe weiterer Nato-Staaten auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin zugehen und ihn so von einem Angriff auf die Ukraine abhalten. Im Blick hat er dabei die Länder des so genannten Quint-Formats, zu dem neben den USA die vier großen europäischen Nato-Staaten Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland gehören. Zwei Mal hat Biden zuletzt in Videokonferenzen mit der Quint über die Kriegsgefahr beraten, da war allerdings noch Angela Merkel Bundeskanzlerin. Nun ist es an Scholz, sich zu positionieren. Und das tut er, zumindest in öffentlichen Äußerungen, höchst vorsichtig.

Schon Merkel scheiterte daran, das Normandie-Format wiederzubeleben

Das Wichtigste sei nun, "wie wir die Sicherheit der Ukraine weiterhin gewährleisten können, dass sie nicht weiterhin gefährdet wird und dass sich die Menschen und Staaten in Europa auch auf das verlassen können, wozu man Vereinbarungen getroffen hat, nämlich dass keine Grenzen verändert und keine Aggressionen gegen andere Staaten durchgeführt werden", sagte er am Freitagabend nach einem Gespräch mit Generalsekretär Jens Stoltenberg im Nato-Hauptquartier.

Wie das aber konkret aussehen soll, ließ Scholz wie schon zuvor nach den Treffen mit Macron, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel offen. Eines aber wurde stets deutlich: Scholz teilt die Sorge, dass den Europäern vor ihrer eigenen Haustür das Heft des Handelns aus der Hand genommen werden könnte.

Immer wieder verwies er auf das Normandie-Format aus Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine, das die Umsetzung des Minsker Abkommens von 2015 zur Befriedung des Donbass voran bringen soll. Allerdings war schon Merkel daran gescheitert, das Format wiederzubeleben. Auch deshalb spricht einiges dafür, dass die Europäer Bidens Initiative nun unterstützen. Was allerdings immer noch die Frage offen lässt, was eigentlich dabei herauskommen kann.

Die polnische Regierung erwartet, dass Scholz Nord Stream 2 stoppt

Das russische Außenministerium veröffentlichte am Freitag eine Erklärung mit der Forderung, die Nato müsse eine auf dem Gipfel in Bukarest 2008 gemachte Zusage an die Ukraine und Georgien zurücknehmen. Beiden Ländern war eine Nato-Mitgliedschaft damals in Aussicht gestellt worden, allerdings auf Betreiben der damaligen Kanzlerin Merkel nur höchst vage.

Nato-Generalsekretär Stoltenberg wies die Forderung aus Moskau postwendend zurück. "Jede Nation hat das Recht, ihren eigenen Weg zu bestimmen", stellte er nach dem Gespräch mit Scholz klar. Ein souveräner, unabhängiger Staat habe das Recht, "seinen Weg zu bestimmen und zu entscheiden, welcher Sicherheitsvereinbarung es sich anschließen möchte". Das sei in einer Reihe von Dokumenten verankert, die auch Russland unterzeichnet habe, etwa in der Schlussakte von Helsinki 1975 und der Charta von Paris.

In den östlichen Nato-Staaten und in der Ukraine ist die Sorge dennoch groß vor einem unheilvollen Deal mit Putin. In einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij bemühte sich Biden bereits darum, solche Sorgen zu zerstreuen. Biden habe sehr deutlich gemacht, dass die Entscheidung, der Nato beizutreten, "allein eine Entscheidung des ukrainischen Volkes, eines souveränen unabhängigen Staates sei, und dass er nicht bereit sei, das Thema zu diskutieren", versicherte Selenskijs Sprecher Andrij Jermak.

Auch an diesem Sonntag, wenn Kanzler Scholz zu seinem Antrittsbesuch in Warschau eintrifft, wird es um die Ukraine-Krise gehen. Die polnische Regierung hat schon vorab wissen lassen, was sie vom neuen Kanzler erwartet: Er soll die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 sofort stoppen.

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