Innenministerin:Da war doch noch was

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Hat der Vorschlag zu den Clans auch etwas mit dem Umstand zu tun, dass Nancy Faeser sich im hessischen Landtagswahlkampf profilieren will? Manche in ihrer Partei vermuten das. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

In den Ländern wundern sich manche über Nancy Faesers Vorschlag zu den Clans. Sie wollen, dass die Ministerin mehr für schnellere Rückführungen nicht anerkannter Asylbewerber tut.

Von Georg Ismar

Für Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) muss es wie eine Höchststrafe wirken, aber Hans-Georg Maaßen (CDU) schätzt nun einmal das Spiel mit der Provokation. Er, der auf Druck der SPD seine Beförderung vom Verfassungsschutz-Chef zum Staatssekretär nicht bekam, schrieb auf der Plattform X (früher Twitter): "Faesers Vorschlag, Familienmitglieder von kriminellen Clan-Mitgliedern abzuschieben, auch wenn sie sich nicht selbst strafbar gemacht haben, kommt einer Sippenhaft gleich." Deshalb sei das verfassungswidrig und verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

In den Bundesländern ist man erstaunt, dass Faeser argumentiert, ihr Clan-Vorstoß sei ja auf Hinweise aus den Ländern erfolgt. Eine Rolle spielt dabei sicher der große politische Druck, dem AfD-Höhenflug irgendetwas entgegenzusetzen. Aber auch in der SPD gibt es, gerade beim linken Flügel, manche, die den Kopf schütteln. Das Ganze sei wohl auch dem Wahlkampf für die Landtagswahl im Oktober in Hessen geschuldet, heißt es. Faeser ist dort SPD-Spitzenkandidatin und versucht sich in einer Doppelrolle mit dem Berliner Ministeramt; am Freitag absolviert sie mit Kanzler Olaf Scholz fast ein halbes Dutzend Termine in Hessen, vom Besuch des Frankfurter Flughafens bis zur Visite in einer Schreinerei.

Doch in den Ländern würden sie derzeit vor allem gerne sehen, dass Faeser als Ministerin bei den ganz akuten Problemen liefert, "statt Ideensammlungen auf einer Homepage zu veröffentlichen", wie Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) süffisant zu ihrem Vorstoß in Sachen Clan-Mitglieder anmerkt. Die NRW-Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul (Grüne), betont auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung: "Wir brauchen endlich mehr Bemühungen seitens des Bundes bei der Umsetzung von Migrationsabkommen, die einerseits legale und sichere Migrationswege eröffnen, andererseits aber die Rücknahmebereitschaft von Herkunftsländern erhöhen." Allein NRW habe mehr als 230 000 Menschen aus der Ukraine aufgenommen. "Darüber hinaus fliehen auch Menschen aus anderen Krisen- und Kriegsregionen wieder vermehrt zu uns."

Zum Stichtag 30. Juni waren nur in Nordrhein-Westfalen 67 099 Personen ausreisepflichtig. Aber fast 57 000 davon hatten noch eine Duldung. Paul sagt, NRW komme an seine Grenzen. Das wesentliche Hindernis für schnellere Rückführungen bleibe die fehlende Kooperationsbereitschaft von Herkunftsländern bei der Rücknahme ihrer Staatsangehörigen. In Pauls Ministerium wird betont, hier sei die Bundesregierung gefordert, mit den Staaten "gerade in den wichtigen Bereichen Passersatzbeschaffung und Flugabschiebung" Übereinkünfte zu erreichen.

Was macht eigentlich der Sonderbevollmächtigte für Migrationsabkommen?

Auch Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) fordert dringend solche Abkommen, vor allem mit Tunesien. Darum müsse sich auch Kanzler Olaf Scholz persönlich kümmern. Tunesien sei eines der Hauptherkunftsländer, "wo wir auch die größten Probleme haben mit Kriminellen, die dringend abgeschoben werden müssten", sagte er im Deutschlandfunk. Das Innenministerium hatte Anfang August ein Diskussionspapier veröffentlicht, das unter anderem härtere Abschieberegeln vorsieht. Faeser will, dass Widerspruch und Klagen gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Zudem hat sie vorgeschlagen, den Ausreisegewahrsam, mit dem Ausreisepflichtige festgesetzt werden können, damit sie sich einer Abschiebung nicht entziehen, von zehn auf 28 Tage zu verlängern.

Aber Hauptkritikpunkt bleiben die fehlenden Abkommen mit Staaten zur Rücknahme von Ausreisepflichtigen. Unter Druck steht hier nicht nur Faeser, sondern auch der NRW-Amtsvorgänger von Josefine Paul, der FDP-Politiker Joachim Stamp. Der ist seit Februar Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen - und kann bisher kein einziges Abkommen auf seiner Habenseite verbuchen. Wie zu hören ist, liegen große Hoffnungen in Abschlüssen mit Georgien und Moldawien. Denn zehn Prozent der abgelehnten Asylanträge seien 2022 auf Menschen aus diesen Ländern entfallen, die Anerkennungsquote liege bei unter einem Prozent. Aber allein schon die Abstimmung in der Bundesregierung ist komplex. Neben dem Innenministerium sind das Auswärtige Amt beteiligt, das Arbeitsministerium pocht auf mehr ausländische Fachkräfte, das Kanzleramt redet mit und das Entwicklungshilfeministerium. Bei einigen Staaten sind die Verhandlungen strikt geheim, weil Regierungen Protest fürchten, andere pokern um höhere finanzielle Zusagen Deutschlands.

Einerseits will man mehr und schneller abgelehnte Asylbewerber abschieben, zugleich aber soll der neue Sonderbevollmächtigte Stamp auch Ausschau halten nach mehr Fachkräften. So sind derzeit Usbekistan und Kirgistan interessant, was Fernfahrer betrifft - um die immer enger getakteten Logistikketten aufrechtzuerhalten. Die Branche sieht in Deutschland einen Bedarf von 50 000 Lkw-Fahrern.

Stamp ist auch für Faeser eine Schlüsselfigur, er selbst versucht sich in Erwartungsmanagement. So sagte er in einem Regierungs-Podcast: "Es bringt jetzt nichts zu glauben, man hat jetzt hier einen Sonderbevollmächtigten und der schnippt jetzt mit dem Finger und in ein paar Monaten sind die Probleme in Luft aufgelöst." Es sei vielmehr ein sehr, sehr langwieriger Prozess.

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