Russlands Krieg:EU unterstützt Getreide-Exporte

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Die Ukraine gehört zu den größten Agrarexporteuren: Mähdrescher auf einem Weizenfeld nahe Odessa. (Foto: Friedrich Bungert)

Brüssel will den Transport ukrainischer Agrarprodukte auf dem Landweg mitfinanzieren. Polen drängt auf eine Ausweitung der Einfuhrverbote, um die heimischen Bauern zu schützen.

Von Jan Diesteldorf und Viktoria Großmann, Brüssel, Warschau

Die Europäische Kommission hat im Streit um ukrainische Agrarexporte zusätzliche Investitionen und Finanzhilfen angekündigt, um nach dem Ende des Getreideabkommens zwischen Russland und der Ukraine die Ausfuhren über den Landweg zu erleichtern. Er werde sich dafür einsetzen, die Transportkosten mit EU-Mitteln zu unterstützen, sagte der polnische Agrarkommissar Janusz Wojciechowski am Dienstag in Brüssel nach einem Treffen der EU-Agrarminister. "Die Ukraine könnte in eine dramatische Situation geraten, wenn sie nicht mehr in der Lage ist, ihr Getreide zu verkaufen", sagte Wojciechowski. Der Transport über Land ist ungleich teurer als auf dem Seeweg. Russland spekuliert bereits darauf, als großer Agrarexporteur vom Wegfall der ukrainischen Ausfuhren zu profitieren. Deshalb sei es "absolut notwendig, dass wir eine Finanzierung hinbekommen", sagte Wojciechowski. Wie viel das kosten könnte, sei aber noch nicht klar.

Eine Entscheidung darüber, ob das vorübergehende Importverbot für Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumensaat über den 15. September hinaus bestehen bleibt, wurde auf die Zeit nach der Sommerpause vertagt. Weitere Analysen zu der Frage würden im September vorgenommen, sagte Wojciechowski. Polen hatte sich vorige Woche im Namen von Ungarn, Rumänien, Bulgarien und der Slowakei dafür eingesetzt, die Importbeschränkungen "mindestens bis Ende des Jahres" zu verlängern, wie es in einem an den Rat verschickten Positionspapier hieß. "Alles, was der polnischen Landwirtschaft schadet, muss blockiert, ersetzt oder kompensiert werden", hatte Polens Premier Mateusz Morawiecki zuvor erklärt. Aus polnischer Sicht gehören dazu neuerdings auch Himbeeren und Erdbeeren, deren Einfuhr aus der Ukraine den polnischen Obstbauern die Preise kaputtmacht.

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Die Gefahr von Angriffen auf zivile Frachtschiffe ist gestiegen

Die Ukraine gehört wie Russland zu den weltweit größten Agrarexporteuren. Insbesondere gelten ukrainischer Weizen, Mais und anderes Getreide als elementar für die globale Ernährungssicherheit. Vor Kriegsbeginn stammte fast die Hälfte des weltweit verkauften Sonnenblumenöls aus der Ukraine. Am Montag voriger Woche kündigte Russland das im Juli 2022 von der Türkei und den UN vermittelte Getreideabkommen auf. Die Gefahr von Angriffen auf zivile Frachtschiffe ist gestiegen. Einstweilen bleibt der Landweg als einzige Möglichkeit, ukrainische Agrarerzeugnisse auf den Weltmärkten zu verkaufen. Das hat den Druck auf die von der EU zugesagten, sogenannten "Solidaritätskorridore" - alternative Exportrouten - und die an die Ukraine angrenzenden EU-Staaten zusätzlich erhöht.

Nach EU-Angaben wurden zuletzt noch 40 Prozent des Getreides über die ukrainischen Häfen am Schwarzen Meer exportiert. Der Rest gelangte über Land und Wasserstraßen in die EU und von dort, sofern er nicht innerhalb der Staatengemeinschaft festhing, über Häfen an der Ostsee und der Adria sowie vom rumänischen Konstanza aus in die Welt. Kurzfristig reichen die EU-Kapazitäten aber nicht aus, um den Ausfall der Schwarzmeerroute zu kompensieren. Seit Inkrafttreten des Getreideabkommens bis Mitte Mai dieses Jahres verließen mehr als 1080 Schiffe und mehr als 30 Millionen Tonnen Nahrungsmittel die ukrainischen Häfen.

Als Teil einer Lösung schlug Litauen vor dem Treffen der EU-Agrarminister per Brief an die Kommission vor, die Zollverfahren und Hygienekontrollen für ukrainisches Getreide in den Ostseehäfen der baltischen Länder zu erledigen. Die Transporte aus der Ukraine hingen dadurch nicht an der polnischen Grenze fest und könnten beschleunigt werden. Die Ostseehäfen von Litauen, Lettland und Estland verfügten über eine große Umschlagskapazität, insgesamt 25 Millionen Tonnen Getreide im Jahr könnten bearbeitet werden.

Im Frühjahr hatte es in Polen Proteste von Landwirten gegeben, weil Rohstoffe aus der Ukraine nicht weitertransportiert worden waren. Stattdessen blieben sie im Land, Silos waren belegt, die Preise fielen, polnische Waren konnten mit den günstigeren Einfuhren nicht konkurrieren. Polen, Ungarn, die Slowakei und Bulgarien hatten daraufhin zunächst eigenmächtig die Einfuhr von ukrainischem Getreide blockiert; Rumänien hatte erwogen, sich dem anzuschließen. Die Kommission verständigte sich im Mai mit den fünf Ländern auf einen Kompromiss, sagte ihnen 100 Millionen Euro Soforthilfen für die Landwirte zu und verhängte bis zum 15. September die Importbeschränkungen. Nur der Transit blieb gestattet.

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Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij tat am Montag seinen Unmut über das Einfuhrverbot kund. "Jede Verlängerung dieser Einschränkungen ist absolut inakzeptabel und klar nicht europäisch", sagte er in seiner abendlichen Videobotschaft. Angeführt von Polen beharrten die fünf besonders betroffenen EU-Staaten am Dienstag im Agrarministerrat indes darauf, die Maßnahmen zu verlängern. Polens Premier Morawiecki hatte zuletzt angekündigt, notfalls wieder eigenmächtig ukrainische Agrarprodukte auszusperren.

EU will auch in Aufbau der Logistik investieren

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir kritisierte das als Wahlkampfmanöver. "Das ist kein Wünsch-dir-was, wo man sich raussucht, was einem gerade gefällt, Geld aus Brüssel nimmt, gleichzeitig aber die Grenze schließt", sagte der Grünen-Politiker in Brüssel. Es könne nicht sein, "dass aufgrund eines heimischen Wahlkampfes die Solidarität mit der Ukraine untergraben wird". Jetzt gelte es, die alternativen Exportrouten zu stärken, und dabei käme es auf die EU-Kommission an.

Die ließ über einen Sprecher ausrichten, die Solidaritätskorridore funktionierten bereits sehr gut; allein im Mai und Juni seien mehr als drei Millionen Tonnen ukrainischen Getreides exportiert worden. Außerdem seien bereits "sehr umfangreiche Investitionen" in die benötigte Infrastruktur in der EU vorgesehen. Denkbar wäre zum Beispiel, Häfen zu ertüchtigen. Das kann man auch als Reaktion auf den polnischen Landwirtschaftsminister Robert Telus verstehen, der am Dienstag auf finanzielle Hilfen für die betroffenen EU-Länder zur Verbesserung des Transits drängte. Die EU müsse beim Aufbau der Infrastruktur helfen, sagte Telus.

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