Klimaschutz:Wie aus einem Riss ein Graben wurde

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In der EVP, der Partei von Manfred Weber und Kommissionschefin Ursula von der Leyen, will man vor allem die Zumutungen der Klimapolitik begrenzen. (Foto: Elyxandro Cegarra/Imago)

Die Klimapolitik spaltet die politischen Kräfte in Brüssel. Die Konservativen schwächen grüne Gesetze ab - und beide Seiten rüsten sich für den Wahlkampf.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Sie war bestürzt, fast außer sich, als sie nach der Abstimmung über ihr wichtigstes politisches Projekt in Straßburg vor die Presse trat. Monatelang hatte Sarah Wiener, Spitzenköchin, Bio-Bäuerin und Grünen-Europaabgeordnete, für ein Gesetz gekämpft, das dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft enge Grenzen setzen sollte - und verloren. Die Konservativen schwächten das Gesetz mit Änderungsanträgen im Plenum des Europäischen Parlamentes so weit ab, dass die Befürworter aufseiten der Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen es am Ende frustriert ganz ablehnten. Wiener sprach von einem "schwarzen Tag" für die Natur und für Landwirtinnen und Landwirte in Europa.

Während sie ihre große Niederlage beklagte, atmeten andere auf. Diesmal hatte die christdemokratische EVP nicht mehr laut Stimmung gegen die Verordnung gemacht, so wie im Frühsommer gegen das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, sondern gleich auf das Plenum abgezielt. Dort bildete sich je nach Änderungsantrag eine konservative bis rechte Mehrheit, bis von den Vorstellungen des Umweltausschusses nicht mehr viel übrig war. Es sei "ein guter Tag" für die Landwirte und alle die glaubten, "dass sich die Europäische Union in der jetzigen schwierigen Weltlage mit neuen Belastungen zurückhalten muss", sagte der CDU-Europaparlamentarier Peter Liese.

Das lagerübergreifende Bündnis steht vor dem Ende

Aus einem Riss mitten durchs Parlament ist ein Graben geworden, der sich so schnell nicht mehr wird zuschütten lassen. Vier Jahre sind vergangen, seitdem die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen (CDU), getragen von einer demokratischen Mehrheit aus Christ- und Sozialdemokraten sowie der liberalen Renew-Fraktion, den "Green Deal" auf den Weg brachte: konsequenter Klimaschutz, ein klimaneutraler Kontinent bis 2050; Energie-, Agrar-, Verkehrswende, alles auf einmal, gepresst in eine einzige Legislaturperiode. Doch an deren Ende hat sich vom Bauernhof in Niederbayern bis in die Abgeordnetenbüros in Brüssel Erschöpfung breitgemacht.

Mehr als 70 Umweltgesetze hatte sich diese Kommission vorgenommen, 34 sind schon beschlossen, die restlichen stehen noch aus oder wurden bislang nicht vorgelegt. Spätestens im vergangenen Frühling, gut ein Jahr vor der Europawahl, wurde es offensichtlich: Das lagerübergreifende Bündnis, flankiert von den Grünen, den größten Fans des grünen Deals, würde nicht bis zum Ende der Legislaturperiode durchhalten. Im März stritten sie in Brüssel über das längst beschlossene Verbrenner-Aus, die Sanierungspflicht jagte Hauseigentümern Angst ein, die Diskussion um die Verpackungsverordnung wurde erstmals emotional.

Mit dem Naturschutzgesetz eskalierte im Juni der Streit zwischen jenen, die bis zum Wahlkampf im kommenden Jahr möglichst viele Green-Deal-Gesetze beschließen wollen, und jenen, die auf die Bremse treten und vor Überforderung warnen und Europas klimapolitische Ambitionen den Interessen der Landwirte und Industriebetriebe unterordnen. Hier die Grünen und die meisten Sozialdemokraten, dort die EVP, die sich zugleich neu positioniert und von anderen konservativen bis nationalistischen Kräften abzugrenzen sucht. Die liberale Renew-Fraktion: aufgeteilt auf beide Lager.

Es ist ein Richtungsstreit, der längst auch die Hauptstädte erfasst hat und den Boden bereitet für die Europawahl am 9. Juni nächsten Jahres. Schon im Frühling sprach Frankreichs Präsident Emmanuel Macron von einer "Regulierungspause", damit die Industrie mal durchatmen kann - andere Staats- oder Regierungschefs schlossen sich dem an. Der politische Rechtsdrall auf nationaler Ebene, zu sehen in Schweden, Finnland, der Slowakei oder ganz aktuell in den Niederlanden, tut sein Übriges.

Gehen Klima- und Industrieschutz zusammen?

Der Zielkonflikt besteht zwischen einer Industriepolitik mit Fokus auf Europas Wettbewerbsfähigkeit einerseits und einem ambitionierten Klimaschutz andererseits, der mit Grenzwerten, Pflichten und Verboten daherkommt - und den viele als erdrückend bis bedrohlich empfinden. Darin liegt eines der zentralen Dilemmata für Europa: Kann die - gesetzlich verankerte - Klimaneutralität bis 2050 gelingen, wenn die EU ihre wirtschaftliche Stellung in der Welt behalten will, dabei soziale Verwerfungen verhindern und Haushaltsdisziplin wahren muss?

Die Grünen werden mit der Botschaft in den Wahlkampf ziehen, dass der Schlüssel gerade in einer konsequenten Fortschreibung der Klimapolitik liegt. Inklusive ihrer Zumutungen. "Der Handlungsdruck ist enorm, und den Menschen weiterhin vorzugaukeln, es würde irgendwie alles vorbeigehen, ist unverantwortlich", sagt Grünen-Fraktionschefin Terry Reintke, frisch gekürte Spitzenkandidatin ihrer Partei, mit Blick auf die Klimakrise. "Die EU und die Fortschreibung des Green Deal sind der Rahmen, in dem wir die nötigen Weichenstellungen treffen müssen, um unsere Industrie wettbewerbsfähig zu halten, gute Jobs und unseren Wohlstand zu sichern."

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In der EVP, der größten Fraktion und politischen Heimat der Kommissionschefin, sind nunmehr vor allem warnende Stimmen zu vernehmen. Die Partei hat das Klimaprogramm stets mitgetragen, ist angesichts der immer lauteren Klagen aus den Wahlkreisen und der Erfolge von Populisten aber umgeschwenkt. Es gehe keinesfalls darum, den grünen Deal zu ruinieren, heißt es aus der Partei. Sondern darum, das Schlimmste zu verhindern, Politik mit den Bauern, den Unternehmern, den Hausbesitzern zu machen, nicht gegen sie. Die Zumutungen zu begrenzen, mit dem Ziel, ihnen die Lust darauf zu nehmen, ihr Kreuz weiter rechts zu machen.

In ihrer Rede zur Lage der EU sprach von der Leyen Mitte September bereits von der "nächsten Phase" des grünen Deals, von Unterstützung der Industrie, von einem "fairen und gerechten Übergang". Sie hat ihrer Partei offenbar zugehört.

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