Wahlrecht:Warum der Bundestag so groß ist wie noch nie

Lesezeit: 2 Min.

Zukünftig wird es noch mehr Plätze im Bundestag brauchen. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Das Parlament wächst weiter. So schlimm wie befürchtet ist es allerdings nicht gekommen. Die Ursachen dafür liegen vor allem in Bayern.

Von Christopher Schrader

Ein XXL-Bundestag schlimmster Ausprägung ist dem deutschen Steuerzahler bei der Bundestagswahl am Sonntag erspart geblieben; dafür immerhin haben die Wählerinnen und Wähler gesorgt, auch wenn die Regierungsbildung noch kompliziert werden wird.

Eine Woche vor der Wahl hatte es so ausgesehen, dass der Bundestag weit mehr als 800 Sitze bekommen könnte. In der Wahlnacht berechnete der Bundeswahlleiter die Größe mit 735 Abgeordneten. Der größte Bundestag aller Zeiten.

Laut Wahlgesetz umfasst das Parlament 299 Direkt- und mindestens ebenso viele Listenmandate, zusammen also 598. Schon in der gerade beendeten Wahlperiode saßen allerdings 709 Volksvertreter im Plenum.

Die beiden wichtigsten Ursachen dafür, dass der Bundestag deutlich kleiner bleibt als befürchtet, liegen in Bayern. Erstens hat die CSU dort mehr Stimmen bekommen als Umfragen eine Woche vor der Wahl zeigten. Diese hatten die Partei bei 30 Prozent der Zweitstimmen des Bundeslandes oder darunter gesehen, bekommen hat sie aber 31,7 Prozent. Zweitens werden im Freistaat diesmal außergewöhnlich viele Stimmen bei der Mandatsverteilung nicht berücksichtigt, weil sie für Parteien abgegeben wurden, die an der bundesweit berechneten Sperrklausel ("Fünf-Prozent-Hürde") scheiterten: 7,5 Prozent der Voten in Bayern entfielen auf die Freien Wähler und 6,4 weitere Prozent auf andere Parteien. Das wiederum bedeutet, dass sich das Gewicht des Stimmanteils der CSU erhöht hat. Statt ein knappes Drittel konnte sie ein gutes Drittel der Mandate beanspruchen: insgesamt 34.

Gewonnen hat die CSU aber 45 der 46 Direktmandate in Bayern. Sie hat also elf sogenannte Überhangmandate bekommen. Laut Wahlgesetz muss ein solcher Vorteil einer Partei weitestgehend ausgeglichen werden, um den Proporz der Zweitstimmen wiederherzustellen; es dürfen höchstens drei Mandate ohne Kompensation bleiben. Das allein erlaubt eine Abschätzung der Bundestagsgröße per Dreisatz: Wenn 42 CSU-Sitze (also 45 minus 3) dem Proporz entsprechen sollen, dann lässt sich die Bedingung nur bei insgesamt 739 Sitzen erfüllen. Die genaue Berechnung des Bundeswahlleiters indes ist deutlich komplizierter - und vor allem gesetzeskonform - und ergab 735 Sitze.

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Die CSU ist aber nicht einmal die Partei mit den meisten Überhangmandaten: Die CDU in Baden-Württemberg hat zwölf errungen. Bei ihr war aber eine faktische Verrechnung mit anderen Landeslisten möglich, so dass ihr Ergebnis die Größe des Bundestages nicht bestimmt hat. Das Gleiche gilt für SPD (insgesamt zehn Überhangmandate in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Hessen, Niedersachsen und dem Saarland) und AfD (eines in Sachsen). Alle drei unausgeglichenen Überhangmandate verbleiben damit bei der CSU. Hätten auch sie kompensiert werden müssen, dann wären vermutlich etwa 790 Volksvertreter ins Parlament kommen.

Bremen geht bei Ausgleichsmandaten leer aus

Von den 137 Mandaten, um die der Bundestag über seine Normgröße hinauswächst, sind demnach 34 Überhang- und 103 Ausgleichsmandate, auch wenn das Wahlgesetz keinen dieser Begriffe kennt. Die 103 Sitze gehen an alle Parteien außer der CSU: 17 an die CDU, 26 an die SPD, 24 an die Grünen, 16 an die FDP, 13 an die AfD und sieben an die Linke. Regional gesehen profitiert Nordrhein-Westfalen am stärksten, das 28 Abgeordnete mehr als ursprünglich vorgesehen nach Berlin schickt. Fünf Länder erhöhen ihr Kontingent durch den Ausgleich um ein Fünftel oder mehr: Berlin, Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Bremen geht als einziges Land leer aus.

Den größten Einfluss darauf, den Bundestag gegenüber seiner Größe zwischen 2017 und 2021 sogar noch zu verkleinern, hätten übrigens die Wähler in den Wahlkreisen München-Nord und -West/Mitte gehabt. In beiden Gebieten haben die Grünen die relativ meisten Zweitstimmen gewonnen, aber bei den Erststimmen lagen jeweils die CSU-Kandidaten vorn. Hätten alle Wähler der Grünen mit beiden Stimmen Grün gewählt, dann hätte die Partei beide Wahlkreise gewonnen - und der Bundestag hätte genau 700 Sitze haben können. Außer Bernhard Loos und Stephan Pilsinger von der CSU hätten zwei Linke, vier AfD-Politiker, fünf FDP-Abgeordnete, fünf Grüne, sieben CDU-Mitglieder und zehn Sozialdemokraten weniger an den Fraktionssitzungen in Berlin teilgenommen.

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