Krisendiplomatie:"Wir sehen dieses Leid"

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Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mit ihrem libanesischen Kollegen Abdallah Bou Habib am Freitag in Beirut. (Foto: Bilal Hussein/AP)

Bei ihren Besuchen in Israel und Libanon warnt Außenministerin Baerbock vor einem "Flächenbrand" - und versucht, jeweils einen Funken Verständnis für die andere Seite zu wecken.

Von Paul-Anton Krüger, Tel Aviv/Beirut

Krisendiplomatie im Nahen Osten erzwingt manchmal Umwege. So ist es auch bei Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Sie besucht vier Länder in weniger als 48 Stunden, zum zweiten Mal binnen einer Woche ist sie in die Region gereist. Am Freitagmorgen trifft sie in Tel Aviv ein, wo sie noch am Flughafen mit Israels Außenminister Eli Cohen zusammenkommt. Doch damit sie zu ihrem nächsten Stopp nach Beirut gelangen kann, muss der graue Luftwaffen-Airbus A321 weit aufs Mittelmeer hinausfliegen, bis kurz vor Zypern die griechische Luftraumkontrolle Flug GAF 711 übernimmt und die Maschine wieder Richtung Küste abdreht. Legal kann sie nicht von Israel direkt in den Luftraum des Nachbarlandes Libanon einfliegen.

Im Grenzgebiet hätte Baerbock vielleicht noch den Truppenaufmarsch erahnen können; auch im Norden muss Israel mit einem Angriff rechnen. Die Spannungen mit der von den iranischen Revolutionsgarden gesteuerten schiitischen Hisbollah-Miliz hatten am Vortag einen Höhepunkt erreicht. 30 Raketen und drei Panzerabwehrraketen feuerte sie aus dem Südlibanon auf israelisches Gebiet. Es ist einer der Gründe, warum Baerbock nach Beirut reist: Sie warnt hier, wie auch an den anderen Stationen, vor einer Eskalation des Krieges, der die ganze Region "in einen Flächenbrand verwandeln" könne.

In Tel Aviv redet sie öffentlich dem Regime in Teheran ins Gewissen

In der libanesischen Hauptstadt trifft sie Außenminister Abdallah Bou Habib und Premier Najib Mikati, die beide seit Juni 2022 nur geschäftsführend im Amt sind, und den Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Joseph Aoun. Sie kann nur warnen und hoffen, dass die Botschaften Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah erreichen. Mindestens beim Armeechef kann man davon ausgehen.

In Tel Aviv, nach einem Gespräch mit Benny Gantz, Mitglied im dreiköpfigen Kriegskabinett von Premier Benjamin Netanjahu und früher Verteidigungsminister, redete sie öffentlich dem Regime in Teheran ins Gewissen. "Hisbollah darf den Libanon nicht in diesen Konflikt hineinziehen", sagt sie. "Ich warne Iran, ich warne schiitische Milizen im Irak, ich warne Houthis in Jemen davor, zu zündeln und auf das Trittbrett des Terrors zu springen." Wieviel Eindruck sie und andere westliche Politiker mit derlei Botschaften machen, wird sich womöglich in den nächsten Tagen schon zeigen.

Dann wird Israel noch mehr als jetzt auf politische Unterstützung angewiesen sein, wie Baerbock in Tel Aviv sie nochmals bekräftigt. Israel habe das Recht und die Pflicht, seine Bürger zu verteidigen, sagt sie nach dem mehr als einstündigen Gespräch mit Gantz in der deutschen Botschaft - sie hat es wortgleich am Abend zuvor in Jordanien gesagt. Zugleich hat sie auch die Gewalt von Siedlern im Westjordanland gegen Palästinenser in der Unterredung mit Gantz angesprochen - wie am Abend zuvor in Amman in der Pressekonferenz mit ihrem Kollegen Ayman al-Safadi.

Der Grenzübergang Rafah müsse so rasch wie möglich geöffnet werden, fordert sie

Die Außenministerin war nach Jordanien gereist, um zu demonstrieren, dass Deutschland, dass der Westen die notleidenden Palästinenser im Gazastreifen nicht vergessen hat, ungeachtet der Unterstützung für Israel. "Wir in Europa, wir in Deutschland, wir sehen dieses Leid", sagt sie, "ich als Außenministerin und Mensch sehe dieses Leid." Groß ist die Sorge, dass sich die arabischen Partner des Westens in der Region notgedrungen abwenden, getrieben vom Druck der eigenen Bevölkerung.

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Und so spricht Baerbock davon, dass sie sich Tag und Nacht dafür einsetze, dass humanitäre Hilfe zu den Menschen gelangt, Wasser und Nahrung, Medikamente und Treibstoff, der so wichtig ist, um medizinische Versorgung leisten zu können und um Strom für die Wasserpumpen zu haben. Auch in Israel dringt sie wieder darauf, dass die Regierung humanitäre Hilfe zulässt, dass es in Gaza sichere Plätze geben muss, an denen Zivilisten Schutz finden, in Schulen und Krankenhäusern etwa.

50 Millionen Euro Soforthilfe zusätzlich kündigt Baerbock in Amman an, um das Leid zu mindern. Geld für internationale Organisationen wie das Welternährungsprogramm, das UN-Kinderhilfswerk Unicef und vor allem UNRWA, das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge, damit "unschuldige Frauen, Männer und Kinder im Gazastreifen" versorgt werden können, sagt Baerbock. Der Grenzübergang Rafah nach Ägypten müsse so rasch wie möglich geöffnet werden, damit die Hilfe "die Palästinenserinnen und Palästinenser, die auch Opfer dieses terroristischen Angriffs der Hamas geworden sind", erreichen könne.

Noch ein Thema in allen Gesprächen: die verschleppten deutschen Geiseln

Und noch ein Thema begleitet sie in allen Gesprächen: der Versuch, die von der Hamas, dem Islamischen Dschihad und womöglich anderen, teils kriminellen Gruppen in den Gazastreifen verschleppten deutschen Geiseln freizubekommen. Sie berichtet in Amman von einem Vater, den sie bei ihrem Besuch in Israel vor eine Woche getroffen hat, dessen Frau mit den beiden kleinen Töchtern verschleppt worden ist. Und sie spricht in Tel Aviv von der Mutter in Gaza, die kein sauberes Trinkwasser für ihre durstigen Kinder mehr findet. Es ist der Versuch, einen Funken Verständnis für die andere Seite zu wecken.

Wie groß die Bereitschaft dazu auf arabischer Seite ist, dürfte sich an diesem Samstag in der neuen Verwaltungshauptstadt Ägyptens zeigen, wo Präsident Abdel Fattah al-Sisi einen Friedensgipfel ausrichtet. Baerbock vertritt dort die Bundesregierung und hat ihre Nahostreise um einen Tag verlängert.

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