Nachruf:Eine Frage des Willens

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Mit seiner nordischen Beharrlichkeit hat er viel erreicht: Martti Ahtisaari (1937 - 2023). (Foto: Roni Rekomaa/dpa)

Geduldiger Verhandler, Europäer, Staatsmann: Der frühere finnische Präsident und Friedensnobelpreisträger Martti Ahtisaari ist im Alter von 86 Jahren gestorben.

Von Alex Rühle, Stockholm

Die Welt könnte Menschen wie ihn momentan dringend brauchen: uneitle Strategen, die mit zäher Geduld und ruhiger Hand über Jahre hin Friedensverhandlungen führen und dabei immer beide Seiten im Blick behalten; überzeugte Europäer, die sich in internationale Konflikte einschalten, aber das Machtgefälle zwischen Nord und Süd als problematische Schieflage erkennen und daraus eher eine moralische Verpflichtung ableiten als einen Freibrief zur weltweiten Belehrung; Staatsmänner, die in der großen Welt zu Hause sind, aber die Nöte der kleinen Leute kennen, ohne sich das je populistisch zunutze zu machen.

Wie unkonventionell und mutig dieser Mann war, kann man schon aus einer Anekdote aus seinen frühen Jahren erkennen: Martti Ahtisaari hatte 1959 gerade erst seine Zulassung zum Grundschullehramt bekommen, als er in einer Zeitung eine Stellenanzeige las. Ein mit Mitteln der schwedischen Entwicklungszusammenarbeit finanziertes Schulinternat suchte einen Direktor in Pakistan. Und so leitete Ahtisaari kurz darauf eine Schule in Karatschi, statt im nordfinnischen Oulu Grundschüler zu unterrichten.

Er vermittelte zwischen Milošević, Russland und den USA

Er lernte dann früh den Maschinenraum der internationalen Politik kennen, war mit 37 Jahren Botschafter in Tansania, wurde stellvertretender UN-Generalsekretär, UN-Untergeneralsekretär, Sondergesandter des UN-Generalsekretärs - und um all die großen Posten, deren diplomatischer Glitzer ihm so herzlich wenig bedeutete, in einem Aufwasch abzuhandeln: Von 1994 bis 2000 war Martti Ahtisaari finnischer Präsident.

Während andere aber nach solch einem Würdenamt nur noch Golf spielen und die Autobiografie polieren, ging es bei ihm erst richtig los: Ahtisaari führte als Beauftragter der EU im Kosovo-Krieg ab Mitte Mai 1999 die bis dahin als ausweglos geltenden Verhandlungen zwischen dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević, Russland und den USA. Er sorgte für ein Ende der Nato-Bombardements, konnte Serbien dafür zum Rückzug bewegen und tüftelte danach den Kosovo-Friedensplan der G-8-Staaten aus. Die New York Times konnte sich das damals, sichtlich beeindruckt, nur mit "sturer nordischer Geduld" erklären.

Danach vermittelte Ahtisaari in Nordirland, half der EU, aus dem Österreich-Boykott auszusteigen und wurde von Kofi Annan beauftragt, die Massaker in den Flüchtlingslagern von Jenin zu untersuchen. Auf die Frage nach seiner wichtigsten Station aber antwortete er jedes Mal "Namibia", weshalb man doch noch mal kurz zurückschalten muss nach Afrika, wo er ab Mitte der Siebzigerjahre sehr geschickt zwischen der namibischen Unabhängigkeitsbewegung und den damaligen weißen Protektoratsherren in Südafrika vermittelte.

Ahtisaari blieb drei Tage lang in der Lobby sitzen, dann gab der Präsident nach

Im Nachhinein wirkt es selbstverständlich, dass Namibia ein unabhängiges Land ist, damals zeigten sich die Südafrikaner so arrogant wie hartleibig und die Nachbarländer eher desinteressiert. Eine Begebenheit aus dieser Zeit zeigt, was gemeint sein könnte mit Ahtisaaris sturer Geduld. Als der angolanische Präsident José Eduardo dos Santos sich weigerte, ihn zu empfangen, setzte sich Ahtisaari mit einem großen Stapel Zeitungen in die Lobby des Präsidentenpalastes. Nach dreitägiger ununterbrochener Lektüre gab dos Santos klein bei und empfing den penetranten Finnen zum Gespräch.

Kofi Annan, von 1997 bis 2006 UN-Generalsekretär, mit dem Ahtisaari eine langjährige Freundschaft verband, trug ihm das Amt des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge an. Ahtisaari lehnte ab mit dem Argument, es gebe zwar viele Menschen, die dazu bereit seien, internationale Ämter zu übernehmen, aber wenige freie Friedensmitarbeiter wie ihn. So gründete er die Crisis Management Initiative (CMI), eine Organisation, die bis heute auf die Entwicklung des Krisenmanagements spezialisiert ist.

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2005 schaffte er es zur allgemeinen Überraschung, die indonesische Regierung und die Guerillabewegung von Aceh nach dreißig Jahren Bürgerkrieg zu einem Friedensabkommen zu bewegen. Erst im Nachhinein kam heraus, dass er jahrelang mit Hilfe der CMI zwischen den verfeindeten Parteien vermittelt hatte.

Wyborg, die einstmals finnische Stadt, in der Ahtisaari 1937 geboren wurde, gehört heute zu Russland. Nach dem Überfall der Sowjetunion mussten seine Eltern mit ihm im Winterkrieg 1940 fliehen, was ihn offenbar sehr geprägt hat. Als er 2008 den Friedensnobelpreis bekam, sagte er in seiner Dankesrede: "Zusammen mit 400 000 karelischen Landsleuten wurde ich für viele Jahre zu einem Vertriebenen in Finnland. Diese Erfahrung, die Millionen Menschen auf der Welt durchgemacht haben, hat mich mit Empfindlichkeit versehen, was meinen Wunsch erklärt, den Frieden zu fördern und dadurch anderen zu helfen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich." Er sagte da auch den großen Satz, dass "Frieden eine Frage des Willens" sei.

Am Montag ist Martti Ahtisaari im Alter von 86 Jahren gestorben.

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