100 Jahre Vicco von Bülow:"Ach was!"

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Schulen und Straßen sind nach ihm benannt, zum Hundertsten ehrt ihn die Bundesregierung nun mit einer Sammlermünze und einer Briefmarke. Vicco von Bülow (1923-2011) hätte all das Gewese um seinen Geburtstag wahrscheinlich mit einem Schmunzeln quittiert. Doch wie gern hätte man seine eigene Laudatio auf Loriot gehört, denn als Festredner war er unübertroffen. (Foto: imago stock&people)

Moooment, es gibt was zu feiern: den 100. Geburtstag von Loriot, dem begnadeten Humoristen und Jodeldiplom-Erfinder, der gottlob heute immer noch allgegenwärtig ist. Im Theater, im Konzertsaal, in Büchern und natürlich im Film. Ein Überblick.

Von Jutta Czeguhn, Josef Grübl und Barbara Hordych

Hatten die Deutschen je etwas zu lachen, bevor Loriot, dieser Cartoonist von Adel, sie von seinem grünen Sofa aus mit kultiviertem Lächeln zur Humorfähigkeit therapierte. Zur Selbstironie, ohne dass sie es gleich merkten, wenn er ihren bundesrepublikanischen Verklemmtheiten und Gemütlichkeiten den Spiegel vorhielt, mit Dr. Müller-Lüdenscheidt, den Hoppenstedts oder Erwin Lindemann, mit all seinem gepflegten Hang zur Anarchie. Jetzt gilt es, Vicco von Bülow, der am 12. November 100 Jahre alt geworden wäre, inbrünstig und würdevoll zu feiern, mit dem ein oder anderen Gläschen Klöbener Krötenpful, mit Theater, Klassik, Filmen und Dîners.

"Die Ente bleibt draußen!"

"Holleri du dödel di diri diri dudel dö": Wie schwierig es ist, beim "Jodeldiplom" die richtigen Töne zu treffen, demonstrieren Leon Sandner, Marina Granchette und Christopher Theussl (von links). (Foto: Veronika Eckbauer/Hofspielhaus München)

Eine Loriot-Hommage, die sich gleichermaßen für Einsteiger wie für Auskenner eignet, bietet die hinreißend absurde Inszenierung "Loriots dramatische Werke" im Hofspielhaus: Bekannte (aber auch unbekanntere) Sketche wie "Das Jodeldiplom", "Liebe im Büro" oder "Die Nudel" wechseln sich in rasanter Folge ab, es treten legendäre Gestalten wie Opa Hoppenstedt und die zwei Herren im Bade, Herr Müller-Lüdenscheidt und Dr. Klöbner auf; auch die zungenbrecherischen Verwicklungen um die englischen Serienhelden Lord und Lady Heskerth-Fortescue in North Cothelstone Hall samt ihrer Verwandtschaft aus Nether Addlethorpe kommen zur Sprache. Im dynamischen Zusammenspiel gelingt es den drei Darstellern Marina Granchette, Leon Sandner und Christoph Theussl Loriots "zutiefst menschlichen Humor" zu treffen, wie ihn Regisseur Georg Büttel anlässlich der Premiere in diesem Sommer charakterisierte: "Loriot lacht niemals über seine Figuren, sondern wir lachen mit ihm über unsere eigenen Schwächen."

So muss keine der Figuren das Meer der kommunikativen Dysbalancen ohne Sympathie und Empathie durchschwimmen, präzise, aber liebevoll werden die Abgründe zwischenmenschlicher Beziehungen ausgelotet. Frei nach Vicco von Bülows Devise "Komik entsteht meist da, wo Würde misslingt, wo beabsichtigter Ernst aus menschlichen Gründen in sein Gegenteil umschlägt", demonstriert etwa Granchette im Zusammenspiel mit Sandner beim Jodeldiplom, wie schwierig es ist, die richtigen "Holleri du dödel di diri diri dudel dö"-Töne zu treffen. Theussl und Sandner indes nutzen die irrtümlicherweise gemeinsam bestiegene Hotelbadewanne weniger zum Planschen als vielmehr zum Streit um die Zulassung eines Schwimmtiers - "Die Ente bleibt draußen!". Ach ja: Auch ein Mops fehlt in dieser Inszenierung nicht, er thront sogar sehr präsent auf dem stilprägenden grünen Biedermeiersofa. Denn wie sagte einst Vicco von Bülow so schön: "Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos." by

Loriots dramatische Werke, Hofspielhaus München, Falkenturmstraße 8, 11. November; 22. und 29. Dezember, 7.,11., 18. und 25. Januar 2024, hofspielhaus.de

Dîner mit Kosakenzipfel

Im Film "Pappa ante portas" lässt die bloße Erwähnung des Desserts "Birne Helene" bei Evelyn Hamann die Sicherungen durchknallen. (Foto: imago/United Archives)

Schmeckt's? In Loriots Welt kann selbst diese einfache, zugewandte Frage eines beflissenen Obers in absurdem Chaos enden. Etwa im gleichnamigen Sketch, wo der Verzehr einer Kalbshaxe Florida mit Prinzessböhnchen samt Papierschirmchen zum Ereignis wird ("Lassen Sie das Kind doch mal nach vorne!"). Ereignischarakter könnte auch das Jubiläums-Dîner zu Loriots 100. Geburtstag im Salon des Café Luitpold am 10. November haben.

Die Menüfolge jedenfalls hört sich nach einem spektakulär gepflegten Gelage an (zu Pirol-Gezwitscher, da Wappenvogel derer von Bülow): Geschälter Kullerpfirsich mit deutschem Sekt, Bouchée à la reine avec du ragoût de veau à la Ödipussi (Königinnenpastetchen gefüllt mit Kalbsragout). Zu gastrosophischen Betrachtungen von Peter Peters speist man sodann Falsches Nilpferd nach Forstadjunkten-Art. Der Höhepunkt kommt zum Dessert: pro Gast ein halber Kosakenzipfel. Auf Wunsch reicht das Servicepersonal gegen eine symbolische Gebühr von 10,01 Euro gern das hauseigene Maßband zum Nachmessen. Herunterspülen kann man all die Köstlichkeiten entweder mit Hupfheimer Jungferngärtchen oder Klöbener Krötenpful.

Zur Abrundung des Dîner-Abends trägt auch Susanne Wess bei, die Münchner Journalistin zeigt Lieblingsstücke aus ihrer Loriot-Kollektion. Im Alter von neun Jahren hatte Wess ihre Liebe zu Loriot entdeckt, als ihr bei einem der ermüdenden Sonntagsbesuche bei den Großeltern das Bändchen "Der gute Ton: Das Handbuch feiner Lebensart in Wort und Bild" in die Hände fiel und sie es, als trotzige Maßnahme gegen die Langeweile, fortan auswendig lernte. Eine umfangreichere Schau ihrer "Kindheitssammlung" zeigt sie ab 9. November auch beim Optiker Freudenhaus am Odeonsplatz (neben dem Café Tambosi) und Ende Januar im Café Nini in der Borstei. czg

100 Jahre Loriot, Jubiläumsdîner im Salon des Café Luitpold, Fr., 10. November, 19 Uhr, Brienner Straße 11, ab 85,35 Euro, www.eventbrite.de

Loriots Rezepte zum Nachkochen

Empfehlenswerte Konservierungszusätze wie Zyankali werden dem Lesepublikum nicht vorenthalten im Band "Kochen & Geniessen mit Loriot", erschienen im Züricher Diogenes Verlag. (Foto: Diogenes Verlag)

Kosakenzipfel, nun ja, um political correctness, Gender- und Diversity-Fragen oder auch um den Artenschutz hat man sich in früheren Zeiten humormäßig keinen allzu großen Kopf gemacht. Dessen sollten sich ironiefreie Leser des Büchleins "Kochen & Genießen mit Loriot" (Diogenes) gewahr sein. Laut Verlag führt uns Loriot in über 150 Zeichnungen "in die Geheimnisse der bürgerlichen Küche ein, lehrt uns gehobene Tischmanieren, das richtige Verhalten im Restaurant und den verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol und anderen Genussmitteln." Zum Nachkochen für alle, die es nicht zum Dîner ins Luitpold geschafft haben, gibt's ambitionierte Rezepte wie "Elefantencreme", "Stachelschweinkaltschale", "Walfisch Tiroler Art" und ein Bauernomelette, bei dem zwei zarte Landwirte durch ein feines Sieb gestrichen werden. Zudem wird vorgeführt, wozu strenge Tischdekoration führen kann, und wie man eine aus Versehen zurückbehaltene Bratengabel unauffällig entsorgt. czg

"Kochen & Genießen mit Loriot", herausgegeben von Susanne von Bülow, Peter Geyer, O. A. Krimmel, Diogenes Verlag, wo vom gleichen Herausgeber-Trio auch ganz aktuell der Band "Der ganz offene Brief" erschienen ist. Weitere Publikationen zu Loriot: "Er lebe hoch! Loriot zum 100. Geburtstag", von Denis Metz und Steffen Gumpert (Hrsg.), Carlsen Verlag; Loriot, Text+Kritik , Heft 230, April 2021, 96 Seiten, 24 Euro

Bitte nicht husten!

(Foto: Manfred Neubauer)

Wir wissen nicht, ob nun endlich die Krönungsmesse B-Dur des achtjährigen Heinz Klemke zu hören sein wird beim Galakonzert zu Loriots 100. Geburtstag der Münchner Symphoniker am Sonntag, 12. November, in der Isarphilharmonie. Er selbst hatte die Bedeutung dieses vollständig vergessenen Werkes für die Musikgeschichte ja schon in seiner berühmten Festrede zum 100. Geburtstag der Berliner Philharmoniker 1982 herausgestrichen.

Damals hatte er auch noch den Dirigierstab von "Herrmann" von Karajan übernommen. Ein wohlkalkulierter Lapsus, denn eigentlich war Vicco von Bülow ein höchstbewanderter Musikconnaisseur, der selbst Opern inszenierte (am Gärtnerplatztheater etwa Flotows "Martha" oder Bernsteins "Candide" am Prinzregententheater). Sein "Kleiner Opernführer" ist selbstverständlich unverzichtbar. Beim Münchner Festkonzert nun wird Olivier Tardy am Pult stehen, der ist auch Soloflötist des Bayerischen Staatsorchesters, was jetzt keine Aufforderung ans Publikum sein sollte, denn anders als in Loriots Sketch "Das Flötenkonzert" gilt es, das Sitzplätze-Tauschen tunlichst zu unterlassen. Auch die Hustensymphonie ("Ases Not") steht unseres Wissens nicht auf dem Programm. czg

100 Jahre Loriot - Festkonzert, So., 12. November, 11 Uhr, Isarphilharmonie, Karten unter www.muenchenticket.de

Wotan und Mime

Caruso aus Ratingen am Flügel: Mopscasting für Loriots "Der Ring an einem Abend" im Aalto-Theater Essen 2019. Für das Münchner Konzert ist solches unseres Wissens nicht vorgesehen. (Foto: Christof Koepsel/imago/Funke Foto Services)

"Wenn die Rheintöchter dem Alberich etwas mehr Entgegenkommen gezeigt hätten, hätte man sich drei weitere aufwendige Opern sparen können". Hat er natürlich recht gehabt, der Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow, aber es wäre doch immens schad gewesen um "Die Walküre", "Siegfried" und "Die Götterdämmerung", also um den ganzen wunderbaren Wagner-Wahnsinn. Und Loriot selbst hätte der Welt dann auch nicht seinen "Ring an einem Abend" schenken können, der am 31. Januar, in der Isarphilharmonie wieder voll umfänglich zu erleben ist. Mit der Staatskapelle Weimar, Solisten und Jan Josef Liefers als Erzähler. Dass der Wagnerianer Loriot (sein entfernter Ahne Hans von Bülow war der erste Mann von Wagners zweiter Frau) seine berühmten Mops-Hunde nach Figuren aus Wagners Ring benamste, ist übrigens kein Witz. Sie hießen Mime und Wotan, letzterer wurde allerdings später in Wutz umgetauft. czg

Wagner / Loriot: Der Ring an 1 Abend, Mi., 31. Januar 2024, 19 Uhr, Isarphilharmonie, Karten unter www.muenchenmusik.de

Der Trick mit den Filmen

Natürlich sind auch die "Herren im Bad" vertreten in "Loriots große Trickfilmrevue", einer digital aufpolierten Zusammenstellung von 31 Klassikern aus den Jahren 1967 bis 1993, die heuer auf der Berlinale vorgestellt wurde. (Foto: Studio Loriot)

Dass er Interviews nicht besonders schätzte, wurde in den seltenen Gesprächen, die Vicco von Bülow mit Journalisten geführt hat, oft thematisiert. Über seine Filme hat er trotzdem gesprochen, unter anderem im (kurzen) Bonusmaterial, das seinen beiden Kinohits "Ödipussi" und "Pappa ante portas" auf DVD und Blu-ray beiliegt. Da steht er auf der Bühne eines Ostberliner Kinos und gibt Auskunft - und ermahnt die werktätigen Premierengäste, die einen halben Tag für seinen Film anstanden: "Dass mir das nicht einreißt...".

Die zwei Loriot-Spielfilme wurden von mehr als acht Millionen Menschen in den Kinos gesehen - kein Wunder also, dass Produzent Horst Wendlandt gerne noch einen dritten Film mit ihm gemacht hätte. Daraus wurde aber nichts. Dafür fand auf der Berlinale 2023 die Premiere von "Loriots große Trickfilmrevue" statt, einer digital aufpolierten Zusammenstellung von 31 Trickfilmen aus den Jahren 1967 bis 1993, mit Klassikern wie "Herren im Bad" oder "Das Frühstücksei".

Der runde Geburtstag ist auch im Fernsehen Thema: Die ARD zeigt am 6. November den neuen Dokumentarfilm "Loriot 100", der aufzeigen soll, wie allgegenwärtig der Humorist heute noch ist. Zu Worte kommen dabei Bewunderer wie Hape Kerkeling, Helge Schneider oder Olli Dittrich. Im Anschluss an diese 90-minütige Doku wird "Pappa ante portas" gezeigt. grü

Ödipussi, Pappa ante portas & Loriots große Trickfilmrevue gibt es als DVD, Blu-ray und Stream. Themenabend "Loriot 100", Das Erste , Montag, 6. November, 20.15 Uhr

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