Feuershow-Platz und Garküchen:Diese Besonderheiten gibt es auf dem Tollwood

Lesezeit: 6 min

Heiß wie die Hölle soll die Zirkus-Show "Limbo unhinged" im Spiegelzelt werden. (Foto: Nathaniel Mason)

Das Winter-Festival lässt in diesem Advent die Theresienwiese großflächig in Flammen aufgehen. Die heißesten Tipps aus dem Zirkuszelt, vom Feuershow-Platz und aus den Garküchen.

Von Michael Zirnstein

Tollwood verzichtet im Winter 2023 nicht nur wieder auf die beiden Zelte "Mercato" und "Weltsalon", sondern auch auf einen griffigen Slogan (wie den Klassiker "Gut geht besser" von 2018). Stattdessen steht über allem ein Bonmot von Picasso: "Kunst wäscht den Staub des Alltags aus der Seele." Mit Kunst ist nicht nur bildende Kunst gemeint, die die Gäste heuer sogar verstärkt selbst anfertigen sollen. Sondern alles von Zirkus über Konzerte und Straßentheater bis zur Indio-Tasche aus Kolumbien und Teigtäschchen aus Indien. In dem Sinne: Kunst kann alles sein, und alle können Künstler sein. Man muss also nur wissen, welches Programm für einen das passendste ist in der Seelen-Waschmaschine. Hier eine Gebrauchsanweisung.

Limbo unhinged

Die australische Show "Limbo unhinged" ist speziell für die Nähe in Spiegelzelten erschaffen worden. (Foto: Daniel James Grant)

Wer dem geordneten Alltag entfliehen möchte, der komme zur Show "Limbo unhinged", empfiehlt der australische Regisseur Scott Maidment. Denn wer einmal die Schwelle zum 300 Personen fassenden Spiegelzelt übertreten habe, den "beamen" seine Künstler in eine andere Welt. Wie geht es da zu? Ein wenig wie im Cabaret der Zwanziger und in einem Berliner Sado-Maso-Club von heute, wild, dunkel, voller Rauch, und Samt, und Feuer, irgendwie aus den Angeln gehoben - "unhinged" eben. Ohne diesen Zusatz gastierte das Varieté schon 2014 auf Tollwood, das Maidment damals als "eines der besten Festivals der Welt" kennenlernte, wie er nun bei seiner Rückkehr erzählt.

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In den zehn Jahren seit damals hat er "Limbo" zusammen mit den Artisten, den Musikern um den New Yorker Komponisten Sxip Shirey weiterentwickelt, aber noch immer ist es die Hölle hier. Oder besser: Das Fegefeuer, denn man bezieht sich nicht auf den Stangentanz Limbo, sondern auf den Limbus der Katholiken: "Hier gelten weder die Gesetze der Physik noch der Moral!"

"Wenn das die Vorhölle ist, will man da unbedingt hin", urteilte die SZ-Kritikerin damals. Beängstigend erotische Tänzer, Artisten mit Muskeln aber scheinbar keinen Gelenken, eine voll tätowierte Schwert- und Feuerschluckerin - sie alle pendeln, wirbeln, schlängeln durcheinander und miteinander um die Laufstegbühne mitten im Publikum, angestachelt von einer betörenden Musik. Die hat Shirey speziell für den nahen Klang in Spiegelzelten komponiert, gespielt wird sie auf teils seltsamen Instrumenten wie Sirenenpfeifen oder der Polymba: 15 Kalimbas, deren Klangzungen zusammen wie ein Fender Rhodes Piano klingen sollen, sagt Shirey, also "sinnlich und fies" gleichzeitig.

Wenn das die lüsterne Hölle verkörpert, dann verheißt das zubuchbare Menü (das vor der Show verspeist wird, nicht währenddessen) eher himmlische Genüsse: vom Salat aus im Starnberger Land gezogenen Linsen über Blumenkohl mit Kirschen bis zum Triangle von der Schokolade mit Amaretto-Überzug.

Hexenkessel

Spontan-Chor im Hexenkessel: Beim "Go Sing Choir" studieren die Gäste gemeinsam und mehrstimmig einen Pop-Hit ein. (Foto: Tollwood)

Bei Hexenkessel dachten viele lange an das Bernabéu-Stadion, andere an einen blubbernden Pott voller Spinnenspucke, Aalaugen und Lurchlüngerl, was nicht recht zum Tollwood passen mag, weil einerseits zu fanatisch, andererseits zu wenig vegetarisch. Seit aber das Hexenkessel-Zelt die Tief-im-Wald-Bar abgelöst hat, passt das sehr gut zum Winterfestival: Hier im "musikalischen Herz" des Festivals brodelt es jeden Tag bei zwei, drei Konzerten, die die Veranstalterinnen-Legende Niko Strnad vor allem bunt und stimmungsfördernd zusammenstellt.

"Wir sind die Löwen": "Lustfinger", die Haus-Punk-Kapelle des TSV 1860 München, tritt im Hexenkessel auf. (Foto: Tollwood)

Ob nun bei Cover-Spezialisten (wie Deeper Purple, 24.11., Austria Ei, 2.12., Austria Project, 15.12., Claudia Cane, 4.12., Gerry & Gary, 16.12.) oder absoluten Originalen wie Kiko Pedrozo (Latin-Folk, 12.12.), Chris Aaron (Rock'n'Roll, 3.12.), Fenzl (Indie-Ska-Rock, 19.12.) oder die Punk-Pioniere Lustfinger (4.12.) ; ob bei Alt-Rockern wie Oberbürgermeister Dieter Reiter und seinen Folk-Rockern The Monks (Benefizkonzert am 13.12. zugunsten von Helferschwein e.V.) oder am "Go-Lokal-Day" mit Newcomern wie der amerikanisch-münchnerischen Songwriterin Caro Kelley (28.11.) - hier kann sich jeder verzaubern lassen, und das nicht nur vom "Voodoo-Blues" von Dr. Will & The Wizards zum Auftakt am 23. November. Und wer sich etwa beim stets überrannten Spontan-Chor Go Sing Choir am 3.12. einreiht, der kann selbst aktiv mitköcheln (muss aber bestimmt eine gewisse Enge zu schätzen wissen).

Kunstraum

Hinter den Flammen sieht man - kein Zelt, sondern ein Kunstwerk von Andrey von Schlippe, das das eingesparte Mercato-Zelt nachbildet. (Foto: Alexander Scharf)

Kunst macht Tollwood zu dem, was es ist: ein Künstlerfestival, ein begehbares Kunstwerk. Sie ist dekorativ, verbindend, manchmal missionarisch, etwas geheimnisvoll wie der Glitzer-Pegasus im Zauberwald - diesmal ist sie aber vor allem partizipatorisch. Jeder ist ein Künstler, "Kunst können alle" gilt im neuen Kunstraum, dem von Tollwood-Chef-Künstler Andrey von Schlippe gestalteten Pavillon. Hier dürfen alle "Profil zeigen" und persönliche Scherenschnitte gestalten (zeichnen, collagieren), nicht nur eine Instagram-Sonnenseite, sondern auch das vielleicht echtere andere Ich. Alle zusammen sollen ein Gesamtprofil des Tollwoodpublikums ergeben.

Auch die "Zukunft gestalten" kann man: auf transparenten Fensterbildern mit Ideen und Wünschen für die Welt. Außer den offenen Kunstaktionen bietet Petra Kühnholz Workshops im Kunstraum: Mal werden Köpfe aus Ytong-Blöcken gehauen, mal abstrakte Gesichter mit Klebeband auf Karton gepappt - Tapeart, die dann an Picasso oder Braque erinnern könnte.

Geschichten

Wann sind Sie das letzte Mal von einem Christbaum angequatscht worden? Na, dann wird es aber Zeit: Bei Tollwood unterhält sich die Tanne beim Haupteingang mit den Besuchern. Also, wenn sie nicht gerade schnarcht. Dann erscheint ein Gesicht auf den Nadeln, und es beginnt zu plaudern. Ein Weihnachtswunder? Künstliche oder botanische Intelligenz? Nein, es verstecken sich improvisierende Schauspieler des Fastfood Theaters hinter dem Zauber. Manchmal singt der Wunderbaum auch. Und täglich um 18 und 20 Uhr erzählt er Weihnachtsgeschichten, aber bei Tollwood natürlich nicht einfach so, sondern gerne auch auf Ukrainisch, Arabisch oder Englisch.

Tollwood ist ja immer voll von Geschichten: Im Kinderzelt wird nach getaner Bastelarbeit jeden Abend (nur nicht sonntags) um 18 Uhr eine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen - und manchmal auch vorgesungen oder vorgetanzt. Und im Bazar-Zelt gibt es die neue "Leselounge". Die Besucher können sich hier ein Buch aus dem Tauschregal nehmen und schmökern. Dreimal ist die Schriftstellerin Sabine Magnet da, lässt sich von den Gästen drei Stichwörter zurufen und reimt daraus ein ganz persönliches Spontan-Gedicht (die "Poetry to go" kostet zehn Euro, am 1., 2. und 3.12.). Und an zwei Dienstagen macht Achim Sonntag die Leselounge zum Mitmach-Theater und erzählt "Gereimtheiten und Ungereimtheiten" (28.11. und 19.12.).

Was dann noch nicht gesagt wurde, das können sich die Gäste immer dienstags und sonntags in einer Schreibwerkstatt im neuen Kunstraum von der Seele schreiben und an die "Wand des Ungesagten" pinnen (12 bis 21 Uhr).

Außen-Performances

Reichlich abgemagert streifen diese Vogelwesen übers Tollwood-Gelände: Die riesenhaften "Birdmen" des niederländischen Close-Act Theatre suchen aber nicht nach Futter, sondern "nach anderen Spezies aus der Vergangenheit". (Foto: ClickRickPhotography)

Advent ist die Zeit der Lichter, und besonders schön lassen es die Künstler auf dem Tollwoodgelände funkeln. Und strahlen. Und brennen: Dafür gibt es wieder einen eigenen Feuershow-Platz, den manche Pyro-Mannen wie der Feuer-Philosoph Andrea Salustri mit seiner Show "As Long As It Burns" (31.11. - 3.12.) großflächig in Flammen aufgehen lassen. Die zündende Idee von Mirjam Meine hingegen ist ihr intimer Feuertanz zur Musik von Anna Rehker, die live auf dem Cello spielt (und es hoffentlich nicht - wie Jimi Hendrix seine Gitarre - abfackelt; 6. - 8.12.).

Zum Fürchten schön: 30 Perchten versetzen das Tollwood-Publikum wieder in Angst und Schrecken. (Foto: Alexander Scharf)

Auch die Performances hypnotisieren die Gäste mit leuchtender Kunst: The Dream Engine zeigen Luftakrobatik in elf Metern Höhe unter einem leuchtenden Diamanten-Gebilde (23. - 25.11.). Irina Titova malt mit Licht vergängliche Bilder (23. - 25.11.). Der Slackline-Weltrekordhalter und Abenteurer Friedi Kühne tanzt weit über den Köpfen des Publikums auf einem illuminierten Wackelseil (30.11. - 3.12., 7. - 10.12 und 14. - 17.12.). Und auch der Jonglier-Virtuose Jan Daumin hat seine Keulen mit LEDs bestückt, um Farbwirbel in die dunkle Nacht zu schleudern (9.12., und 19. - 21.12.).

Bitte nicht schütteln: Publikumsliebling Bastian rollt wieder mit seiner Schneekugel durch die Tollwood-Gassen. (Foto: X21de Reiner Freese)

Dazu gibt es täglich auf der Außenbühne und dem Mercato-Platz viel zum Staunen und Entdecken - und manchmal auch zum Fürchten: etwa bei den "Rottaler Habergoaß, Hexn und Rauwuggl" und anderen 30 Perchten-Gestalten, die mit viel Getöse und Feuer böse Geister vertreiben wollen (9.12., 18 Uhr). Hoffentlich aber nicht die vier Meter hohen Monster von "Luminolife" (13. - 17.12.) und auch nicht die noch größeren archaischen Vogelskelett-Puppen "Birdmen" (28.11., 29.11., 1.12. - 3.12.), denn die sind friedlich - und leuchten ganz wunderbar.

Wintermarkt der Ideen

Nicht mit einer Glasbläserpfeife an der Esse sondern mit einer Glasbläserlampe, also einem Tischbrenner erzeugt Frank Liebmann seine nützlichen Kunstwerke. Beim Tollwood kann man ihm dabei zusehen. (Foto: Stephan Rumpf)

Für viele ist Tollwood eine Art Retter in der Not, denn der Markt der Ideen liefert an 180 Ständen die Inspiration für dringend benötigte Weihnachtsgeschenke - zumindest für Freunde, die auf handgefertigte Kunst, Mode, Kosmetik oder Schnickschnack aus aller Welt stehen. "Fair gehandelt", darauf besteht die Marktleitung. Vieles entsteht aber auch hier, wie die Gürtel aus Altmaterialien von B.M. Beltes, oder die Tische und Möbel aus Holz von Abbruchhäusern und Tennenböden im Ushu-Shop.

Einige Handwerker zeigen ihr Können direkt auf dem Markt, etwa ein sehr sympathisch und gelassen erklärender Drechsler. Oder heuer zum ersten Mal der Glasbläser Frank Liebmann (vielen bekannt aus dem Deutschen Museum), der mit einer Glasbläserlampe unter anderem filigrane Schreibfedern entstehen lässt (6. - 19.12.).

Und überall an 18 Bars und 50 Gastroständen wird geschmaust - eine "kulinarische Weltreise in Bio". Köstlichkeiten aus 21 Ländern gibt es, etwa Papa Rellena, eine Art Kroketten aus dem Kartoffelreich Peru. Oder Garknödel mit Jackfruit-Füllung aus Taiwan. Neu dabei ist die indische Gastrofamilie "Chutney on top", die Pani Puri nach München bringt: pralinenartige Teig-Eier mit Kartoffelmus in hauchdünner Schale, die durch eine Koriandersoße leicht aufknistert. Wer's weniger exotisch mag findet nun auch "Waffeln wie aus Omas Zeiten".

Seit mehr als 20 Jahren sind übrigens alle Imbisse hier bio, aber erstmals übernimmt das Tollwood-Team die Zertifizierung gesammelt für alle. Die Preise habe man gehalten: Der Bio-Glühwein kostet 4,50 Euro, ein Teller-Hauptgericht nicht mehr als 10,90 Euro.

Silvester

Alle Jahre gerne wieder: Die Reggae-Pop-Band "Jamaram" darf beim Tollwood-Silvester als Zugnummer nicht fehlen. (Foto: Julie Key)

Silvester auf dem Tollwood - da weiß man, was man hat: eine Zirkus-Gala mit Menü, die aber schon ausverkauft ist. Und eine große Party in allen Zelten, wieder mal mit bewährten Stimmungsmachern wie Jamaram, Express-Brass-Band, Raggabund, Hundling und den DJs Rupen und Dirk Wagner. Bei den Imbiss-Ständen findet jeder nach Belieben etwas. Und um Mitternacht tanzen alle zu "An der schönen blauen Donau" Walzer auf der Theresienwiese.

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