Typisch deutsch:Scheidung für alle

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Die Ich-Erzählerin Amelie hat sich vorgenommen, alle Orte noch einmal aufzusuchen, an denen sie wegen ihres Ex-Freundes unglücklich war. (Foto: Imago/Christian Ohde)

Unsere Autorin war jahrzehntelang überzeugt von der ungebrochenen Ehe. Inzwischen lebt sie in München und fragt sich: Würde sie überhaupt noch heiraten?

Kolumne von Lillian Ikulumet

Hier in München wirkt es ziemlich normal, sich gegen ein Familienleben zu entscheiden und nicht ein halbes Dutzend Kinder und Enkel zu haben. Nicht zu heiraten, ist eine häufig genutzte Option. Ich selbst hatte das gut drei Jahrzehnte in Uganda ganz anders erlebt. Wie jedes Mädchen, das mit einem afrikanischen Hintergrund aufwächst, stand ich unter sozialem und familiärem Heiratsdruck. Die Folge war, dass ich selbst unbedingt heiraten wollte. Meine Überzeugung war, dass man alles geben muss, um zusammen zu bleiben. Selbst wenn Gewalt im Spiel sei, Beratung von Nöten oder andere Probleme auftreten.

Nicht jeder trifft die beste Wahl, wenn er sich entscheidet zu heiraten. Menschen ändern sich ständig. Gefühle ändern sich. Erkenntnisse ändern sich. Eine Ehe muss sich all dem anpassen, um gesund zu sein. Persönlich habe ich in meinem Leben nur sehr wenige gesunde Ehen gesehen. Wenn zwei Personen zusammen sind, wird in den meisten Fällen davon ausgegangen, dass die Ehe funktioniert. Aber nur weil zwei Menschen nicht geschieden sind, heißt das nicht, dass ihre Ehe gut ist. In Ländern, in denen Scheidungen tabu sind, lassen sich die Menschen grundsätzlich nicht scheiden. Das allein verleiht ihnen aber keine außergewöhnlichen Beziehungsfähigkeiten.

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Ich kenne viele Frauen in Afrika, die in Slums leben, die jeden Tag verprügelt werden und nicht einmal an eine Scheidung denken können, weil das keine Option ist. Die Männer gelten als Ernährer der Familie. Einige Familien stehen sogar vor der verzweifelten Entscheidung, ihre Töchter im Alter von nur zwölf Jahren zu verheiraten, um zu überleben, da die vom Klimawandel verursachte Dürre Wasserquellen versiegen lässt und Vieh tötet. Hinzu kommen die Folgen des Krieges in der Ukraine und die steigenden Lebensmittel- und Kraftstoffpreise. Also werden Mädchen verheiratet, um sich die Mitgift zu sichern, um den Rest der Familie zu ernähren, um einen Mund weniger zu füttern, oder um der Braut zu helfen, in einen besser gestellten Haushalt einzutreten. In Situationen wie dieser ist eine Scheidung keine Option, egal was in der Ehe alles geschieht.

Auf der anderen Seite: Deutschland mit seiner hohen Scheidungsquote. 2021 lag sie bundesweit bei 40 Prozent. Die Scheidung ist nicht tabu, sondern en vogue. Sie gehört fast schon dazu. Man muss nicht einmal einen Scheidungsgrund angeben. Heute "Ja, ich will" und am anderen Tag "Ich bin fertig". Jeder hat das Recht, Frauen und Männer gleichermaßen, dieses Land ist egalitär. Ich denke, es wird immer einen Zusammenhang zwischen Frauenrechten und Scheidungsraten geben. Korrelation, nicht Kausalität.

Und wieder andere verzichten auf feste Partnerschaften oder gar Heirat. In den alten Tagen war es für Menschen ungewöhnlich, Single zu bleiben. Die Ehe war das Erstrebenswerte, es gab strenge Gesetze und Bräuche, und so wurden viele unglücklichen Paare zusammengehalten. Viele frustrierte und verbitterte Menschen. Dann kam die sexuelle Befreiung und unglückliche Paare konnten sich endlich trennen, ohne sich gegenseitig umzubringen. Heute ist München eine Stadt der Singles.

Meine Überzeugung von der Ehe erhielt erste Risse, noch in Uganda. Mir fiel auf, wie wenig die meisten Männer zur Hausarbeit beitrugen. Dass sie für einen innerhäuslichen Einsatz außergewöhnliche Dankbarkeit erwarten. Als ob es von Gesetzes wegen her nicht ihre Aufgabe wäre, sich um den eigenen Haushalt zu kümmern, selbst wenn die Frau Vollzeit arbeitet. Von Gleichberechtigung keine Rede. So fing ich an, über den Zweck der Ehe nachzudenken. Und jetzt, bei den vielen Scheidungen in meinem Umfeld in diesem Teil der Welt macht mir die Ehe sogar eher Angst. Ich weiß, dass die Scheidungsrate kein Maßstab ist, um gesunde und gute Ehen zu überprüfen. Es ist nur eine Statistik. Nur, ob ich zu dieser Statistik beitragen möchte, darüber bin ich zunehmend im Zweifel.

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