Nymphenburger Schlosspark:"Es hat mich einfach nicht mehr losgelassen"

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Marco Schütte ist Jäger und passionierter Wildtier-Fotograf. Oft begleitet ihn sein Sohn Xaver beim Fotografieren seiner Motive im Nymphenburger Schlosspark. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Seit fünf Jahren fotografiert Marco Schütte die Rehe im Nymphenburger Schlosspark. Dabei entstehen preisgekrönte Bilder - und faszinierende wildbiologische Erkenntnisse.

Von Kirsten Wolf

Plötzlich steht er da. Ein Rehbock auf einer Lichtung nahe dem Schloss, wacher Blick, optimales Licht - aber leider mit Bagger im Hintergrund. Das Foto hat Marco Schütte auf dem Smartphone schnell parat, wenn man ihn fragt, wann es denn losging mit dem Reh-Fotografieren im Schlosspark. "Als meine Frau und ich in die Nähe des Parks zogen, wusste ich noch nichts von dem Schalenwildbestand hier. Aber dann hat es mich einfach nicht mehr losgelassen."

Der Kaufmann Marco Schütte, Jahrgang 1971, ist in seiner freien Zeit Jäger und Wildtierfotograf, das Fotografieren nimmt jedoch immer mehr Zeit in Anspruch. Als Kind begleitete der gebürtige Kölner den Vater häufig auf den Hochsitz, von der großen Schwester, einer Gesellschaftsfotografin, übernahm er irgendwann eine abgelegte Kamera und fotografierte damit, was er in Wald und Flur entdeckte. Als der Vater eines Tages ein "richtig gutes" Objektiv beisteuerte, wurde die Fotografie für den Grundschüler Marco zu einer anspruchsvollen Beschäftigung, zunächst analog und Schwarzweiß, mittlerweile mit digitaler Profi-Ausstattung.

Rehe sind scheue Tiere. Marco Schütte bekommt sie und andere Wildtiere im Nymphenburger Schlosspark doch immer wieder mit der Kamera zu fassen. (Foto: Marco Schütte/oh)

Seit der Begegnung mit dem "Residenzbock", wie Schütte ihn nennt, im Juli 2016 ist der Wildtierfotograf - einige seiner Bilder wurden in internationalen Fotowettbewerben ausgezeichnet - regelmäßig im Nymphenburger Schlosspark unterwegs. Was er in diesen knapp fünf Jahren alles mit der Kamera entdeckt hat, fasziniert nicht nur den Naturfreund. Wer beispielsweise nach dem Rehwild-Bestand fragt, bekommt von der Bayerischen Schlösserverwaltung und von Marco Schütte durchaus unterschiedliche Auskünfte. Von 15 bis 20 Tieren geht die Verwaltung aus, er selbst zählte bislang 50 bis 70 Exemplare, verteilt über den gesamten 180 Hektar großen Park. Um exakte Zahlen zu bekommen, müsste man wohl mit Drohne und Warmbildkamera über den Park fliegen, doch Schüttes Beobachtungen scheinen verlässlich zu sein. Ein befreundeter Fotograf, der ebenfalls oft im Schlosspark auf Motivjagd geht, kommt auf ähnliche Zahlen. Was ihn freut: Obwohl die Dichte für die Größe des Gebiets relativ groß ist, halte sich der Verbiss in einem akzeptablen Rahmen. "Das liegt womöglich an der hervorragenden Mischwaldkonstellation, die im Schlosspark vorherrscht."

Noch etwas fasziniert ihn: "Die Tiere leben hier vermutlich seit 150 bis 200 Jahren in einem geschlossenen Genpool." Seine vielen Bilder von den Nymphenburger Rehen zeigen möglicherweise Inzuchtfolgen: "Ein normaler Rehbock hat spätestens mit zwei Jahren in der Regel sechs Enden, auf jeder Seite drei. Hier gibt es nur ganz wenige Böcke, die ein Sechser-Gehörn schieben."

Im Nymphenburger Schlosspark sind auch einige Gänse unterwegs. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Dass der Bestand dennoch so lange recht gesund besteht, findet er erstaunlich. Die Nymphenburger Rehe werden meist sogar deutlich älter als sonst in freier Wildbahn üblich, zehn Jahre sind keine Seltenheit im Park. "Der derzeit Älteste ist vermutlich der ,Imkerbock', ich habe ihn allerdings seit zwei Monaten nicht mehr gesehen." Dieser Bock - der gewöhnlich in der Nähe der von einem Imker genutzten, ehemaligen Hofküche anzutreffen ist - fiel ihm schon früh wegen einer Besonderheit auf, seit der Geburt hat er einen verkürzten Kiefer - "ein Zeichen, das bei Wildtieren häufig auf Inzucht hinweist". Mit der Wildbiologin Christine Miller vom Verein "Wildes Bayern" ist er sich einig, dass hier ideale Rahmenbedingungen für ein wildbiologisches Forschungsprojekt vorliegen, "aber dafür braucht man Geld, da müssten sich Förderer finden".

Bis es vielleicht einmal so weit ist, bleiben passionierte Naturfreunde wie der Wildtierfotograf wichtige Dokumentare von Fauna und Flora im Park. Seit Kurzem hat er dabei einen begeisterten Mitstreiter: Sohn Xaver, acht Jahre, fotografiert mit einer abgelegten Profi-Kamera an Papas Seite. An einem Februar-Vormittag ist er derjenige, der einen Bock entdeckt, doch das Tier springt schnell davon. "Ich bekomme manchmal drei Wochen lang kein Reh richtig gut vor die Kamera", sagt Marco Schütte, und Xaver kommentiert cool: "Das gehört eben dazu." Xavers Fotos könnten sich wirklich sehen lassen, erzählt Marco Schütte stolz, "ich erkläre ihm gar nicht viel, er lernt von selber, learning by doing". Oft ist er mit seinen drei Buben im Park unterwegs, mit Xaver, dem fünfjährigen Carlo und dem zweijährigen Ludwig.

Der Eindruck täuscht: An vielen Tagen bekommen Fotografen-Vater und-Sohn kein einziges Reh zu Gesicht. (Foto: Marco Schütte/oh)

Nicht nur für sie will Marco Schütte mit der Kamera festhalten, warum es sich lohnt, viel mehr Zeit draußen zu verbringen: "Ich möchte mit meinen Bildern einem breiten Publikum die Vielfalt, Schönheit, aber auch Zerbrechlichkeit der Natur zeigen." Seine Fotos von den Schlosspark-Rehen will er bald als Bildband veröffentlichen. Vielleicht kommt auch die erste Aufnahme vom "Residenzbock" mit hinein. Denn zum Glück wanderte der bei der ersten Begegnung vor fünf Jahren noch ein Stück weiter, und das wurde dann ein wunderschönes Bild, ganz ohne Bagger im Hintergrund.

© SZ vom 20.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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