Ein Mann in der S-Bahn niest - die Frau neben ihm setzt sich schnell weg. So wie ihr geht es wohl vielen, wenn sie dieser Tage nicht ohnehin schon husten. Bloß nicht krank werden, so kurz vor den Feiertagen. Das Gefühl, dass gerade sehr viele erkältet sind, untermauert das Robert-Koch-Institut (RKI) gern mit Zahlen: Etwa jeder Zehnte in Deutschland hat gerade eine sogenannte akute Atemwegserkrankung.
Das bayerische Landesgesundheitsamt (LGL) beobachtet über das sogenannte "Bayern Influenza Sentinel", ein Netzwerk von Allgemein-, Haus- und Kinderärzten, wie sich welche Viren in Bayern verbreiten. In der vergangenen Woche wurden bei 8,9 Prozent der untersuchten Proben Influenzaviren gefunden, bei 10,9 Prozent wurde RSV festgestellt, und 37,6 Prozent der Proben wiesen Corona-Viren auf. Damit dominieren diese drei Erreger immer mehr das Infektionsgeschehen. Zum Vergleich: Zwei Wochen vorher wurden in bloß 24,4 Prozent der Proben Corona-, und in nur 2,4 Prozent Influenzaviren gefunden.
Im Münchner Abwasser werden gerade auch wieder verstärkt Covid-Genome nachgewiesen. Die Kurve steigt steil nach oben - und ist beinahe auf einem Niveau wie zum Ende des Oktoberfestes. Der Trend auf der Seite des Monitorings Bay-VOC ist seit Ende November dunkelrot, das steht für "ansteigend".
Diese Zahlen manifestieren sich in der Hausarztpraxis von Georg-Eike Böhme im Lehel in Krankschreibungen. Seine Kollegen und er stellten gerade viele aus. Die Möglichkeit, dies telefonisch zu tun, helfe sehr, sagt Böhme. "Dadurch ist das Wartezimmer nicht so voll mit Patienten, die husten und schniefen und andere gefährden."
Nach seiner Beobachtung seien im Moment eher die Jüngeren erkältet. Die älteren Menschen hielten sich möglicherweise mehr zurück, noch aus der Pandemie-Erfahrung, so der Hausarzt. Persönlich würde er allen dazu raten, sich in den Tagen vor Weihnachten zurückzuziehen und etwa eine Feier kurz vor den Feiertagen zu meiden. "Dafür kann man dann entspannter mit der Familie an Weihnachten zusammensitzen", so Böhme.
Der Infektiologe Clemens Wendtner, der die ersten Corona-Fälle in Deutschland behandelt hat, sieht das Weihnachtsfest durch die Infekte zwar nicht gefährdet. Jedoch appelliert er an die Menschen, so "fair und vernünftig" zu sein, bei Symptomen einen Schnelltest zu machen. "Ein Werkzeug, das wir uns buchstäblich aus der Tasche ziehen können, ist ja die Maske", fügt Wendtner hinzu.
Die gute Nachricht: "Es bricht nichts zusammen und wir kommen da durch."
Die München Klinik meldet aktuell einen deutlichen Anstieg der Covid-Patienten, aktuell lägen 104 Patienten mit positivem Befund bei ihnen, davon neun auf Intensiv- oder Überwachungsstationen. Am LMU-Klinikum versorgen sie gerade 50 Patienten mit Covid-19. Wobei nicht alle daran erkrankten oder aber nur leichte Symptome hätten, sagt Johannes Bogner, Leiter des neuen interdisziplinären Zentrums für klinische Infektiologie am LMU-Klinikum. Und nicht alle seien deswegen in der Klinik.
Eine Belastung ist die Infektionswelle trotzdem: Je mehr Viren grassieren, desto mehr Personal fällt auf den Stationen aus. Nicht nur, weil sie selbst krank sind. Es kann auch ihre Kinder treffen, oder die Erzieher, die ihre Kinder betreuen. Die Infektionswelle, sie ist auch eine Personalausfall-Welle, die sich quer durch die Branchen zieht. "Dass gerade so viele krank sind, belastet das gesamte System", sagt deshalb Bogner. Man stehe immer wieder vor der Schwierigkeit, Schichten zu besetzen. Deshalb müsse man manchmal Betten sperren, wenn Pflegepersonal fehlt. "Bei den Ärzten müssen dann die anderen einspringen."
Trotzdem möchte der Infektiologe klarstellen: "Wir sprechen zwar von einer Zunahme respiratorischer Erkrankungen, aber es ist im Grunde wie jedes Jahr im Winter. Es bricht nichts zusammen und wir kommen da durch." Bei den Patientenzahlen liege man aktuell zwar ein wenig oberhalb des Durchschnitts, so etwa bei der Zahl der Lungenentzündungen. "Aber es ist alles machbar", so Bogner. Und auch auf den Intensivstationen sei es eher ruhig. "Die Leute erkranken nicht mehr so stark an Covid-19." Dazu passt auch Böhmes Eindruck aus der Hausarztpraxis: "Corona ist zu einer normalen Infektionskrankheit unter anderen geworden, und das ist auch gut so."
Gefährdet sind vor allem die vulnerablen Gruppen, etwa ältere Menschen. Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) hat jüngst wieder alle Menschen über 60 zur Auffrischungsimpfung aufgerufen, am besten gleichzeitig gegen Grippe und Corona. Im Oktober wäre es zwar schon angezeigt gewesen, "aber es ist jetzt kurz vor Weihnachten trotzdem nicht zu spät", so eine Sprecherin.