Corona in München:Sonne, Lockdown, und Gewissensbisse

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Einsatz im Englischen Garten: Regelmäßig kontrollieren Polizisten nahe dem Monopteros, ob die Menschen die vorgeschriebenen Abstände einhalten. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Überall ist die Sehnsucht nach Lockerung der Corona-Auflagen zu spüren. Auch der Stadtrat ringt um Freiräume und mehr Mitbestimmung. Oberbürgermeister Reiter will erreichen, dass sich die Münchner bald für jeweils 24 Stunden "freitesten" können.

Von Heiner Effern, Julian Hans, Anna Hoben und Christiana Swann, München

"Ich halte es nicht mehr aus, daheim zu sitzen", sagt Anna Fink. Sie sonnt sich am Montagnachmittag mit ihrer Freundin Annika Wülk an einem Pfeiler der Reichenbachbrücke. "Manchmal muss man einfach raus." Die Flugbegleiterin ist in Kurzarbeit, ihre Wohnung hat keinen Balkon. Wütend wird sie, wenn sie sieht, wie andere Menschen die Kontaktbeschränkungen handhaben. "Letzte Woche saßen hier Gruppen, die waren teilweise zu zehnt." Ihre Freundin stimmt ihr zu. "Ich finde es nicht verwerflich, sich draußen zu zweit zu treffen. Wenn alle Auflagen eingehalten werden. Sonst wird man ja depressiv."

Auch am Gärtnerplatz herrscht reges Treiben. Es sind vor allem junge Menschen, die hier die Sonne suchen. "Ich trage die Maske überall dort, wo es Pflicht ist", sagt Dominik Riegler. Er sitzt mit seinem Freund Daniel Bürk auf dem steinigen Weg. Sie halten Abstand, aber auch wenn sie die Auflagen einhalten, der Unmut über die Politik ist groß. "Ich hab' die Schnauze dermaßen voll. Wenn ich mich anstecke, dann stecke ich mich eben an."

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Die Sonne, der Frust, die Lust am Treffen mit Freunden im Freien, sie ist überall in der Stadt zu spüren. Am Mittwoch versammeln sich im Löwenbräukeller 80 Menschen, die sich mit der anderen Seite der Corona-Krise beschäftigen werden. In ihrer Vollversammlung werden sich die Stadträte anhören, wie sich die Pandemie in München entwickelt, was der Chef des Krisenstabs zu sagen hat. So mancher Stadtrat erwartet sich mehr von der demokratisch gewählten Vertretung der Münchner und auch von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Der hielt sich bisher aus Debatten weitgehend heraus, wartete das Ende ab und sprach ein Schlusswort.

CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl etwa würde sich vom Stadtoberhaupt mal eine Art Regierungserklärung und eine städtische Strategie im Umgang mit Corona wünschen. Darüber sollte man zuvor auch im Stadtrat diskutieren. Auch wenn die Vorgaben von oben eng gesteckt seien, dürfe die Stadt ruhig eigene Ideen entwickeln, sagt Pretzl. Er könnte sich ein eigenes Schnelltest-Programm der Stadt vorstellen, mehr eigenständige Hilfe für die Wirtschaft. Oder wie es CSU-Vize Hans Theiss formuliert: Der OB verstecke sich zu sehr "hinter dem breiten Rücken von Markus Söder".

Dominik Riegler (links) und Daniel Bürk versuchen, im regen Treiben auf dem Gärtnerplatz Abstand von anderen zu halten. (Foto: Florian Peljak)

Auch die ÖDP wünscht sich mehr Offenheit in den Corona-Debatten. Stadtrat Tobias Ruff vermisst eine demokratische Aufarbeitung, wie denn die Bewältigung der Pandemie in der Stadt läuft. Er sieht keinen Grund, sich zurückzulehnen. "So rosig läuft es nicht." Die Stadt hinke beim Impfen hinterher. Auch beim Schutz der Alten- und Seniorenheime hätte sich Ruff viel schneller eine städtische Teststrategie gewünscht. Zudem hält er die Regeln für Treffen im Freien für überzogen. Für solch harte Einschränkungen müsse man schon belegen, dass die Ansteckungsgefahr draußen eine wesentliche Rolle spiele.

Er verstehe die Kritik, dass sich der Stadtrat zu wenig eingebunden fühle, sagt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Deshalb gebe es seit Monaten in jeder Vollversammlung eine zwei- bis dreistündige Aussprache zu den Corona-Themen, außerdem einen von der Gesundheitsreferentin geleiteten runden Tisch. Letztlich müssten aber in dieser Pandemie Entscheidungen sehr kurzfristig getroffen werden, und das werde auch künftig der Krisenstab und letztverantwortlich er selbst als Oberbürgermeister tun.

Reiter spürt aber auch an sich, dass es ihm immer schwerer fällt, die Regeln zu vermitteln - etwa warum jemand im Baumarkt einen Hammer, aber nicht im Kaufhof eine Schüssel kaufen dürfe. "Es muss jetzt differenzierte Vorgehensweisen geben", fordert er. Eine Kommune, die dauerhaft um einen Wert von 35 pendelt, brauche andere Lockerungen als eine, die bei 200 liegt. Vorstellbar sei etwa, dass an vielen Orten in der Stadt Schnelltests angeboten werden. Dort könnten die Menschen sich für etwa 24 Stunden "freitesten" und eine Zugangsberechtigung für verschiedene Orte und Einrichtungen bekommen - sozusagen als "Überbrückungshilfe" bis zum Sommer, wenn hoffentlich viele Münchner geimpft sind.

Den harten Kurs vom letzten Jahr will die Stadt vorerst nicht durchdrücken

Dies habe er am Dienstag Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vorgeschlagen. Der OB hält überdies an seiner Forderung fest, Grundschulklassen in den vollen Präsenzunterricht zurückzubringen. Auch dafür brauche es eine Teststrategie. Es sei genug theoretisch nachgedacht worden, "jetzt muss mal was gemacht werden". Auf den Schnelltests liegen auch die Hoffnungen von Bürgermeisterin Katrin Habenschaden. Die Menschen seien "nur noch bedingt bereit, sich weiteren Restriktionen zu unterwerfen", ganz anders als noch vor ein paar Wochen.

"Ich halte es nicht mehr aus, daheim zu sitzen", sagt Anna Fink, die mit Annika Wülk (rechts) die Sonne an der Isar genießt. (Foto: Florian Peljak)

Es zeichnet sich ab, dass die Stadt den harten Kurs des vergangenen Jahres gegen Menschen, die in der Coronakrise nach draußen drängen, vorerst nicht mehr durchdrücken will. OB Reiter hält vor diesem Hintergrund das Geschehen am Gärtnerplatz und anderen Hotspots zwar für "nicht sehr vernünftig", aber auch nicht für "akut regelungsbedürftig". Die Grünen wollen laut Fraktionsvize Dominik Krause vor einem erneuten Alkoholverbot andere Dinge probieren, etwa den sogenannten Füllstandsanzeiger für beliebte Plätze oder Raumteiler wie Blumenkübel. SPD-Fraktionschefin Anne Hübner steht voll hinter dem bisherigen Kurs von OB Reiter, wünscht sich von ihm da aber einen liberalen Ansatz. "Ich hoffe, dass die Stadt da ihre Spielräume nutzt." Man könne ja zu Schönwetterzeiten nicht jeden Tag den Gärtnerplatz räumen. In der Realität könne man es eh nicht verbieten, wenn sich Menschen träfen. Besser draußen als drinnen, so ist von allen Seiten zu hören.

Mehr Lockerung draußen wäre auch für die Polizei eine Erleichterung. Seit dem Wochenende steht ein Zollstock gewissermaßen symbolisch für das schwierige Verhältnis zwischen Staat und Bürger nach monatelangem Lockdown. Ein Foto war durch die sozialen Medien gegangen, wie Polizisten auf dem Monopteros mit Metermaß im Einsatz sind, um die Bürger an die Abstandsregeln zu erinnern. Angesichts der Empörung über dieses scheinbar kleinliche Vorgehen der Beamten platzte wiederum dem Landesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft in Bayern, Jürgen Köhnlein, der Kragen: "Vom Schreibtisch aus mit markigen Wahlkampfsprüchen Polizeiarbeit zu bewerten, damit ist niemandem geholfen!", schimpfte er per Pressemitteilung. "Mehr und mehr Menschen" würden den Konflikt suchen, wenn Polizisten sie auf die Regeln hinwiesen: "Die Polizei bekommt dann die Kritik an der Politik vor Ort direkt ab."

Werner Kraus, Sprecher im Polizeipräsidium München, bestätigte zwar, dass einige Kollegen einen Zollstock zu Kontrollen mitgenommen hätten - wohlgemerkt auf eigene Initiative und als Argumentationshilfe, "um das in Diskussionen mit uneinsichtigen Bürgern einmal demonstrieren zu können". Dass es jetzt wieder häufiger Diskussionen gebe, erklärt Kraus mit der guten Witterung. "Wenn viele Menschen unterwegs sind, wird es schwieriger, die Abstände einzuhalten." Aber das sei auch im vergangenen Jahr schon so gewesen.

© SZ vom 03.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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