Antisemitismus:Zwei Vorfälle beunruhigen jüdische Gemeinde

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Der verurteilte Neonazi Karl-Heinz Statzberger wurde im Januar am Rande einer Kundgebung in der Nähe des Jüdischen Zentrums festgenommen. (Foto: Leonhard Simon/imago)

Hakenkreuze an der Baustelle eines jüdischen Pflegeheims, eine verhinderte Neonazi-Versammlung am Rande der Corona-Demo: "Die ganze Gesellschaft muss eine Reaktion zeigen", fordert Kultusgemeinde-Präsidentin Knobloch.

Von Martin Bernstein

Zwei judenfeindliche Vorfälle der vergangenen Tage beunruhigen die Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in München. Betroffen sind Einrichtungen, die bereits in der Vergangenheit Ziele antisemitischer Terroranschläge waren. In Bogenhausen wurde die Baustelle eines jüdischen Altenheims mit Hakenkreuzen, Siegrunen und anderen Symbolen beschmiert, in der Münchner Altstadt wurde am Rande der Anti-Corona-Demonstrationen am Mittwochabend ein Rechtsextremist aus dem Landkreis München festgenommen, als er nach Polizeiangaben in der Nähe des jüdischen Gemeindezentrums dazu aufrief, eine Versammlung abzuhalten. Der 41-Jährige soll passiven Widerstand gegen seine Festnahme nahe dem Hochbunker an der Blumenstraße geleistet haben.

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Nach Augenzeugenberichten war der Mann in Begleitung von etwa 20 Personen. Es soll sich - das zeigen auch Bilder - um den verurteilten Rechtsterroristen Karl-Heinz Statzberger handeln. Statzberger hatte sich 2003 an der Planung des Sprengstoffanschlags auf die Grundsteinlegung des Jüdischen Gemeindezentrums auf dem Sankt-Jakobs-Platz beteiligt und als verurteiltes Mitglied einer rechtsterroristischen Vereinigung um Martin Wiese eine mehrjährige Gefängnisstrafe verbüßt. Derzeit ist er als führendes Mitglied des oberbayerischen Ablegers der Neonazipartei "Der Dritte Weg" aktiv. Die Gruppierung beteiligt sich seit zwei Wochen an den unangemeldeten Kundgebungen in der Innenstadt. "Wir verteilen Flugblätter und sind einfach ein Teil des gewaltigen Stromes", berichtet einer der Neonazis im Internet. "Wir sind dabei, egal ob das jedem passt oder nicht. (...) Der Widerstand wächst! Erwartet uns!"

Der Staatsschutz ermittelt, die Polizei schließt aber auch jugendliche Täter nicht aus

Wenige Stunden zuvor waren an einem Rohbau im Prinz-Eugen-Park mehrere Schmierereien entdeckt worden. Neben Nazi-Symbolen waren laut Polizei auch ein Penis und ein "Antifa-Symbol" an die Wände geschmiert worden. Der Staatsschutz ermittelt, die Polizei will aber auch Jugendliche als Urheber nicht ausschließen. Die Israelitische Kultusgemeinde plant in Bogenhausen die Zaidmann-Seniorenresidenz, ein modernes Pflegeheim mit Pflegeplätzen für 108 Bewohnerinnen und Bewohner, Tagespflege und betreutem Wohnen. Auch eine Synagoge soll entstehen.

Bilanz nach Corona-Demo
:"Wir haben gut reagiert"

Rund 3000 Demonstrierende gingen am Mittwoch gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße, doch die Polizei löste die unangemeldeten Proteste schnell auf. Ein mit einem Messer bewaffneter 44-Jähriger wurde dem Haftrichter vorgeführt.

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Der Rohbau sei nicht als jüdische Einrichtung zu erkennen, sagt die Polizei. Das spricht eher dafür, dass die Täter gezielt vorgingen und mit ihren Schmierereien eine Drohung an die künftigen Bewohner hinterlassen wollten. Bei einem Brandanschlag auf ein IKG-Altenheim an der Reichenbachstraße am 13. Februar 1970 waren sieben jüdische Hausbewohner, alle Überlebende der Shoah, getötet worden. Bis heute ist nicht abschließend geklärt, ob damals Neonazis, radikale Palästinenser oder aber antisemitische "Tupamaros", eine linksextreme Gruppierung, die Morde verübt haben. Im November 2017 stellte der Generalbundesanwalt die Ermittlungen ein, weil sie "keine Aufklärung der Tat erbracht" hätten.

Die Unsicherheit in der Israelitischen Kultusgemeinde wächst

Seitens der IKG will man sich zu den aktuellen Vorfällen noch nicht abschließend äußern und die Ermittlungen abwarten. Für IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch ist aber klar: " Jeder derartige Vorfall vergrößert die Unsicherheit innerhalb der jüdischen Gemeinschaft noch weiter." Gerade in der aktuell aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung bereite das große Sorge, die sich auch in den Schutz- und Sicherheitskonzepten der jüdischen Gemeinschaft widerspiegle. "Die Antworten auf solche Vorfälle dürfen aber nicht nur wir geben", fordert die 89-jährige Münchnerin. "Die ganze Gesellschaft muss eine Reaktion zeigen."

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