2-G-plus-Regel und 25 Prozent Auslastung:"Es ist ein faktischer Kultur-Lockdown"

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Der Vorhang im Kleinen Theater Haar bleibt zunächst noch für die ein oder andere Vorstellung mit Präsenzpublikum offen - drei Viertel der Stühle werden allerdings leer bleiben (Foto: Claus Schunk)

Die neuen Vorgaben sind für die Bürgerhäuser und Theater kaum einzuhalten. Obwohl theoretisch noch Veranstaltungen möglich sind, werden Konzerte, Kabarettabende und Aufführungen im Landkreis München reihenweise abgesagt.

Von Udo Watter, Landkreis

Unkontrollierte Wutausbrüche entsprechen eigentlich nicht dem Wesen Volker Böhms. Der Oberhachinger Kulturamtsleiter ist ein freundlicher Mensch, der stets mit sanftem Timbre spricht. Als am vergangenen Freitag Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die neuen, verschärften Corona-Regeln verkündete, war seine Reaktion indes durchaus impulsiv: "Ich hätte am liebsten in die Schreibtischkante gebissen", sagt er. Nicht nur dass die Vorgaben - 2G plus und eine maximale Besucherauslastung von 25 Prozent - dem Veranstaltungsbereich massiv zusetzen würden, es musste auch noch ausgerechnet der Mittwoch, 24. November, sein, an dem die neuen Regeln in Kraft tretet sollten.

Der Auftritt des Kabarettisten Philipp Weber im Oberhachinger Bürgersaal, der genau für diesen Tag geplant war, ist damit schon wieder der Pandemie zum Opfer gefallen. Mehr als 150 Leute hatten bereits im Vorverkauf Karten geordert. Und bei 25-prozentiger Auslastung hätte es nur Platz für knapp 90 gegeben. "Hätten wir das per Los entscheiden sollen, wen wir reinlassen?", fragt Böhm. "Oder die, die später gebucht haben, einfach vertrösten?" Nein, natürlich nicht. Auch, um die Veranstaltung kurzfristig noch auf zwei Vorstellungen zu splitten, war der organisatorische Vorlauf zu knapp. Neuer Termin ist jetzt der 13. Juli.

Wie zahlreiche seiner Kollegen im Landkreis - Kulturamtsleiterinnen, Theaterchefs, Kinobetreiber - fühlt sich Böhm von der Politik durchaus allein gelassen, die Vorgaben werden als wenig hilfreich empfunden. "Es wird viel auf uns abgeschoben", sagt Böhm. Ob der Konzertabend von Bernd Lhotzky - der in Oberhaching aufgewachsene Jazz-Pianist gibt am 11. Dezember traditionell sein beliebtes Geburtstagskonzert - zu realisieren ist? Vielleicht, wenn er zweimal am Abend spielte. Aber generell ist es schwierig zu planen, auch für die kommenden Monate, die Regeln und die Situation können sich ja quasi jederzeit wieder ändern. "Es ist zum Verrücktwerden", sagt Böhm.

Unsichere Perspektiven machen Planungen fast unmöglich

Die unsichere Perspektive, die Tendenz der Politik, Entscheidungen auf die Veranstalter abzuwälzen und keine klare Aussage zu treffen, ärgert auch den Garchinger Kulturreferenten Thomas Gotterbarm. "Es ist ein Quasi-Lockdown. Und ich finde es peinlich, dass man es auf diese Weise macht, nur um sagen zu können: Es gibt ja keinen Lockdown." Größere , gut verkaufte Veranstaltungen wie das Musical "Anatevka" (5. Dezember) und wohl auch der Kabarettabend mit Martin Frank (15. Dezember) werden ausfallen und verschoben. Gotterbarm rechnet ohnehin damit, dass sich die Lage noch zuspitzen dürfte und bald gar keine kulturellen Veranstaltungen mehr stattfinden können, auch die Planungen für die kommenden Monate litten ob des Mangels an Perspektive. "Für uns ist es schwer, aber für die Künstler und Kulturschaffenden ist es erst recht richtig bitter."

Garchings Kulturreferent Thomas Gotterbarm wird demnächst wohl nicht allzu oft die Tür zum Bürgerhaus für Besucher öffnen. (Foto: Stephan Rumpf)

Im Wolf-Ferrari-Haus in Ottobrunn geht die Tendenz dahin, dass alle Veranstaltungen der kommenden Wochen abgesagt beziehungsweise verschoben werden. Das Musical "Tarzan" am 7. Dezember fällt sicher aus und auch weitere Veranstaltungen wie das Klavier-Festival in der Reihe "Ottobrunner Konzerte" (17. und 18. Dezember) oder der ausverkaufte Kabarettauftritt von Max Uthoff am 21. Dezember sind im Prinzip nicht mehr vorstellbar. Der Leiter des Wolf-Ferrari-Hauses Horst Frank findet die Vorgaben teilweise "wenig durchdacht". Er hält die Kombination aus Maskenpflicht am Platz, 25-prozentiger Auslastung und Testpflicht für Geimpfte nicht zumutbar für das Gros der Besucher. Dass der Kulturgenuss unter solchen Rahmenbedingungen suboptimal ist, scheint in der Tat klar. Neben der Unlust, sich als Geimpfter extra dafür testen zu lassen, kommt inzwischen bei einigen die mittlerweile wieder gestiegene Angst hinzu, sich anzustecken.

Die Unterhachinger Kulturamtsleiterin Ursula Maier-Eichhorn musste bereits die Aufführung des sogenannten Germanicals "Götterschweiß und Heldenblut" an diesem Freitag absagen. "Wir haben öfter das Problem, dass viel mehr Karten verkauft sind, als wir Zuschauer zulassen dürften", sagt Maier-Eichhorn. Den spontanen Versuch, den gut verkauften Kabarettabend am 4. Dezember mit Sissi Perlinger mit reduzierter Besucheranzahl zu organisieren, haben sie und ihr Team aufgegeben, auch er wird erneut verschoben, auf kommenden Herbst. Der Samstagsauftritt von Kabarettist Comedian Christoph Brüske findet dagegen statt. "Die Heilkräfte des Kabaretts braucht es mehr denn je", so Marion Brück vom Unterhachinger Kulturteam. Noch ist nicht ganz Schluss mit lustig.

Rasmus Kleine, Leiter des Kallmann-Museum in Ismaning, hat sozusagen das Glück, dass in dieser Woche die aktuelle Ausstellung "Entgrenzungen - von öffentlichen und privaten Sphären" ohnehin ausläuft und danach zwei Wochen Umbaupause ist. Die Eröffnung der neuen Ausstellung mit Werken des aktuellen Kallmann-Preisträgers Chris Bierl ist für 10. Dezember geplant. Freilich sei auch die Frage, wie sich bis dahin die Lage entwickle, in Kreisen mit einer Inzidenz über 1000 gilt ja etwa ein kompletter Lockdown. "Es ist wahnsinnig mühsam", sagt Kleine. Am 3. Dezember veranstaltet das Museum im Rahmen seiner Konzertreihe ein Jazz-Konzert im Kulturzentrum Seidl-Mühle - ob das aber noch wirklich stattfindet, wer weiß?

"Der Ball liegt im falschen Spielfeld", sagt der Haarer Theaterchef

Einer, der im Landkreis München bisher wohl der Rekordveranstalter während der gesamten Pandemie war - nicht zuletzt dank eines ambitionierten Live-Stream-Angebots während des zweiten Lockdowns - ist Matthias Riedel-Rüppel, Chef des Kleinen Theaters Haar. Er hätte also auch jetzt wieder Möglichkeiten, Vorstellungen in diversen Formaten anzubieten, und spielt mit dem Gedanken, hybride Vorstellungen zu realisieren - teils mit Präsenzpublikum, teils mit Live-Streaming. Generell ist der Intendant unzufrieden mit der Politik und ärgert sich darüber, dass keine klare Aussage getroffen wurde. "Der Ball liegt im falschen Spielfeld. Wir wissen nicht, wie die Leute unter diesen nicht-attraktiven Bedingungen unser Angebot annehmen. Es ist ein faktischer Kultur-Lockdown." Einige Veranstaltungen in Haar sind auch schon abgesagt, der Auftritt von Michael Fitz am Freitag findet indes statt und am Samstag dürfen sich wenigstens die jungen Besucher auf Grooves und Moves von "Schlawindl" freuen, das Weihnachtsprogramm (Christmas Move) wird jetzt kurzfristig zweimal gezeigt, damit möglichst alle kleinen (und großen) Kartenbesitzer rein können, Beginn ist um 14 Uhr und 16 Uhr. "Wir wollten vermeiden, dass schon wieder die Kinder, die eh so viel in dieser Pandemie leiden mussten, besonders betroffen sind", sagt Theaterchef Riedel-Rüppel.

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