München und das nähere Umland waren zu Zeiten des Kalten Krieges neben Berlin und Wien ein Hotspot für Geheimdienste aus aller Welt. Der Bundesnachrichtendienst (BND) mit seinem Hauptstandort in Pullach kommt einem da zuerst in den Sinn. Darüber hinaus gibt es aber eine Vielzahl an kleinen, geheimen Standorten des deutschen Auslandsnachrichtendienstes sowie dessen Vorgänger, der sogenannten Organisation Gehlen. Auch die Amerikaner, in Gestalt der CIA, waren nicht untätig im Raum München. Der Journalist Finn Overdick widmet sich schon länger der Geschichte der Geheimdienste im Großraum München und hat ehemalige Dienststellen aufgedeckt. Mehr als 200 davon sind ihm mittlerweile bekannt.
"Man spricht immer über die Geheimdienste aus dem Osten, über die Stasi und den KGB. Es wird Zeit, dass man sich auch mit denen im Westen auseinandersetzt. Auch da war nämlich nicht alles koscher", sagt Overdick. Er recherchiert dazu in Archiven und Presseberichten, spricht mit Historikern und erhält Tipps von Akteuren. Tarn- und Scheinfirmen, Verstecke, Geheimdienstschulen, Depots und beliebte Treffpunkte der Agenten - all das hat der Münchner Publizist zusammengetragen und jetzt in einem Vortrag in Kooperation mit der Gemeindebibliothek Ismaning und der Volkshochschule (VHS) im Norden des Landkreises München präsentiert.
Auf dem Stundenplan standen Geheimschriften und Schlösser knacken
Das "Institut für Nachrichtentechnik" in der Wasserburger Straße in Haar etwa ist eine der mehr als 200 Dienststellen gewesen, über die Overdick recherchierte. Bei der noch von den Nazis gebauten Kasernenanlage handelte es sich um eine Schule für den gehobenen nicht technischen Dienst. Rund 200 Schüler erlernten hier das Spionage-Handwerk: geheime Schriften, Observationstechniken, Fremdsprachen, Schlösser knacken. Die Einrichtung, die aktuell als Corona-Impf- und Teststation verwendet wird, diente zudem als Funkstelle und bot Kfz-Garagen für das BND-Observationskommando.
Im Fliegerhorst Neubiberg, dem heutigen Gelände der Bundeswehruniversität München, wurden Material und Flugzeuge für eine mögliche Evakuierung wichtiger Einrichtungen gelagert. Das Depot fungierte zudem als Koordinationsstelle. Im Falle eines Angriffs des Warschauer Paktes hätte man von hier aus das Ausfliegen wichtiger Personen und Daten über Frankreich nach Spanien gestartet. Das Objekt "Klause" in der Hubertusstraße in Grünwald wiederum beherbergt heute einen Kindergarten. Bis in die 1990er Jahre jedoch diente es deutschen Spionen vermutlich als kleines Pkw-Depot. Auf dem Flugplatz Schleißheim war dagegen eine Abhörstation mit riesigen Antennen installiert, um Funkverkehr und Radio aus dem Osten abzuhören. Dem Bau einer noch größeren Anlage zwischen München und Augsburg kam die Wende zuvor.
Die BND-Zentrale in Pullach stellt die größte Geheimdienststelle in der Region dar. Intern "Camp Nikolaus" getauft, aufgrund des ursprünglichen Einzugs an einem 6. Dezember, koordinierte man hier die Ostaufklärung. München bot sich aufgrund seiner geografischen Lage für Operationen hinter dem Eisernen Vorhang an. BND und CIA schickten etwa Untergrundkämpfer, ausgebildet in psychologischer Kriegsführung, nach Albanien oder über die baltischen Staaten nach Russland, um dort für Destabilisierung zu sorgen. Die meisten von ihnen wurden laut Overdick jedoch enttarnt und getötet.
Nach der Arbeit trafen BND-Mitarbeiter ihre Kollegen von der CIA im Biergarten - die Stasi hörte mit
Den Tausenden Mitarbeitern in Pullach, gerade in der Anfangszeit nicht selten mit NS-Vergangenheit, standen Tennisplätze und bis vor 15 Jahren sogar ein Pool zur Verfügung. Externe Freizeitaktivitäten stellten ein Sicherheitsrisiko dar. Den Mitarbeitern war es daher lange Zeit untersagt, sich in den nahegelegenen Wirtschaften und Biergärten zu treffen - das Verbot wurde laut Overdick aber größtenteils ignoriert. So trafen sich oft Gruppen von BND-Mitarbeitern, teilweise auch mit Kollegen der CIA. Der Alkohol lockerte die Zunge und so wurde über Privates und die Arbeit gesprochen. Nicht selten saß die Stasi am Nebentisch und sammelte fleißig Informationen. "Gehlen war ein Chaosladen", sagt Finn Overdick über die Anfangsjahre. Und: "In vielen Bereichen war der BND gläsern für die Stasi."
Schaden möchte Overdick den Geheimdiensten mit seinen Recherchen nicht. Im Gegenteil: Er befürwortet deren Existenz. Geheimdienste im In- und Ausland hätten schon viele Terroranschläge verhindert, sagt er. "Ich bin auch überzeugt davon, dass der BND in Afghanistan gut informiert war und immer noch ist. Fehler liegen da eher an der langen Informationskette, bis die Erkenntnisse tatsächlich im Kanzleramt ankommen." Auch heute gibt es noch aktive Geheimdienststandorte in München und dem Umland. Um die dort beschäftigten Mitarbeiter zu schützen, behält Overdick diese aber für sich.