Jagdrecht kontra Tierschutz:Angst vor dem Wolf

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Landwirt Georg Niedermair aus Aying kämpft für den Abschuss des Raubtiers, weil es seine Rinder und Pferde bedrohen könnte. Bislang steht er im Landkreis weitgehend alleine da.

Von Michael Morosow, Aying

Georg Niedermair wird jene Nacht im Juli dieses Jahres nicht vergessen. Eine Stute und ihr Fohlen waren plötzlich in Panik durch alle Zäune gerannt, dabei brach sich die Stute ein Bein und musste eingeschläfert werden. Was ihn jetzt schlecht schlafen lässt, ist die Tatsache, dass seine Weiden in dem Ayinger Ortsteil Spielberg keine 50 Kilometer Luftlinie entfernt von Sachrang im Chiemgau liegen, wo im Oktober ein Wolf gesichtet wurde und eine Bäuerin von einem ähnlichen Erlebnis berichtet hatte. Nach ihren Schilderungen ist ihre Mutterkuhherde nachts aus der Weide ausgebrochen und sieben Kilometer weggerannt. "Die haben einfach den Elektrozaun runter getrampelt und sind davon. Die waren außer Rand und Band," wurde die Bäuerin in einer Lokalzeitung zitiert.

Nachdem im Jahr 1882 im Kemnath (Oberpfalz) der letzte Wolf in Bayern geschossen worden war, tauchte das Raubtier bis vor wenigen Jahren nur noch zusammen mit den sieben Geißlein und dem Rotkäppchen im Märchenbuch der Brüder Grimm auf. Inzwischen ist ein neues Kapitel aufgeschlagen, sind in Deutschland 105 Wolfsrudel, 29 Wolfspaare und elf residente Einzelwölfe bekannt, die nach den nationalen Monitoringstandards erfasst wurden. Nach dem Mauerfall haben viele in den Alpen einen neuen Lebensraum gefunden und versetzen Schafhalter und Almbauern seither in Angst und Schrecken. Einzelne Exemplare wandern auf der Suche nach einem Territorium in Richtung Norden - also in Richtung des Zuchtbetriebs von Georg Niedermair, der Angusrinder und wertvolle Rennpferde aufzieht.

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Als am Dienstagabend die Dämmerung über den Weiler Spielberg im Kupferbachtal hereinbricht, setzt Georg Niedermair ein Fanal in Form dreier Feuerkörbe, die er auf die Weide stellt und in denen er Holz entzündet. Niedermair ist der einzige Viehhalter im Landkreis München, der sich an der deutschlandweiten Aktion der Weideviehhalter "Lichter gegen das Vergessen" beteiligt, mit der diese ihrer Forderung nach einer Aufhebung der Schutzstellung des Wolfes Nachdruck verleihen wollen.

Bis dato ist der Wolf nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union sowie nach dem Bundesnaturschutzgesetz streng geschützt. Nach dem Willen der Weidetierhalter und des Deutschen Jagdverbands (DJV) soll der Wolf dagegen ins Jagdrecht aufgenommen werden. Lieber rechtzeitig Alarm schlagen, bevor der Wolf vor dem Gatter steht, lautet Niedermairs Devise.

In seinem Dienstgebiet sei der Wolf konkret kein Thema, sagt Georg Kasberger, Chef des Amts für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten (AELF) in Ebersberg. Die Sorgen der Viehhalter seien nicht so groß, weil die Gegend bis auf den Ebersberger Forst dicht besiedelt sei und Wölfe menschliche Ansiedelung mieden. Die Weiden von Georg Niedermair aber liegen abgeschieden am südlichen Zipfel des Landkreises. In erster Linie um seine sensiblen Pferde habe er Angst, weshalb er sie nachts nicht mehr auf die Weide lässt. Im Stall aber litten sommers die Tiere unter den vielen Mücken. Seiner Überzeugung nach untergräbt die Ausbreitung der Wölfe die ökonomische Basis der naturnahen Weidetierhaltung. "Wenn der Wolf kommt, dann kann ich meine Bewirtschaftungsform aufgeben", sagt der Züchter, der für die Aufnahme des Wolfes ins Jagdrecht kämpft.

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"Jagdrecht heißt nicht, dass ich alles abballern kann", sagt dagegen der Grünen-Landtagsabgeordnete Christian Hirneis. Nicht allen Jägern sei bewusst, dass das Jagdrecht zugleich auch Tierschutz sei. "Streng genommen müssten die Jäger den Wolf dann auch hegen und pflegen", sagt Hierneis. Im Übrigen denke er, dass zwar hie und da ein einzelner Wolf durch die Region ziehe, niemals aber ein Rudel sich niederlassen werde.

Die politische Diskussion darüber will der CSU-Landtagsabgeordnete Ernst Weidenbusch als Vorsitzender des Landesjagdverbandes Bayern begleiten. Ob er gewählt wird, zeigt sich am 10. Dezember, dem letzten Termin für die Briefwahl. Weidenbusch ist selbst passionierter Jäger, der Wolf schon länger Thema für ihn. Erst vor wenigen Wochen habe er sich von einem Berufsjäger die Situation im Veldensteiner Forst in Franken zeigen lassen. Das Rotwild werde scheuer, bilde größere Rudel. Demnächst werde er nach Nordspanien fahren und die riesige Wolfspopulation entlang des Jakobswegs anschauen. Aus dieser Gegend gebe es keine dokumentierten Probleme mit dem Wolf. Das könne freilich auch an illegalen Bejagungen liegen. Grundsätzlich sei er dafür, den Wolf ins Jagdrecht aufzunehmen. "Man muss sich überlegen, wo man sich den Wolf vorstellen kann und wo nicht", sagt er. Wo nicht, könnte ihm Georg Niedermair mitteilen.

© SZ vom 12.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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