Wildtiere:Das zweite Rudel

Wildtiere: Der Wolf hat in Bayern keine natürlichen Feinde. Gefährlich wird ihm vor allem der Mensch.

Der Wolf hat in Bayern keine natürlichen Feinde. Gefährlich wird ihm vor allem der Mensch.

(Foto: Muffinman/imago/Panthermedia)

Eine Fotofalle liefert den Beleg dafür, dass sich die Wölfe in der Oberpfalz westlich von Weiden weiter ausbreiten.

Von Christian Sebald

Besser könnte die Wölfin nicht demonstrieren, dass sie Nachwuchs hat: Sie steht leicht schräg vor der Fotofalle, sodass man ihren ganzen Körper sieht. Deshalb fällt einem sofort ihr angeschwollenes Gesäuge auf. Das ist ein untrüglicher Hinweis, dass sie Junge geboren hat. Der Zeitpunkt, an dem das Foto entstanden ist, passt ebenfalls. Die Fähe ist am 27. Mai in die Fotofalle gelaufen. Ende April/Anfang Mai ist die Zeit, in der Wölfinnen ihre Jungen gebären.

Die Wolfsexperten am Landesamt für Umwelt (LfU) sind sich denn auch ziemlich sicher, dass es jetzt ein zweites Wolfsrudel in Bayern gibt. Das Foto stammt aus dem Manteler Forst, einem 3600 Hektar großen Wald in der Oberpfalz auf halber Strecke zwischen Weiden und dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr. Unter Naturschützern ist er bekannt für seine Artenvielfalt. An den naturnahen Seen und Mooren dort leben seltene Libellen, Heuschrecken und Amphibien.

Wildtiere: Am 27. Mai löste diese Wölfin eine Fotofalle im Manteler Forst aus. Offensichtlich hat sie in diesem Frühjahr Junge zur Welt gebracht.

Am 27. Mai löste diese Wölfin eine Fotofalle im Manteler Forst aus. Offensichtlich hat sie in diesem Frühjahr Junge zur Welt gebracht.

(Foto: Bayerische Staatsforsten)

Auch den übrigen Wölfen in Bayern geht es gut. Zwar gibt es aktuell keine neuen Nachweise in den oberbayerischen Bergen und den Allgäuer Alpen. Dort ist die Furcht der Bauern besonders groß, dass die Raubtiere Schafe und andere Nutztiere reißen. Deshalb sind die Proteste besonders stark, wenn auch nur ein junger Wolf auf seiner Wanderschaft durch Oberbayern oder das Allgäu zieht. Aber im Grenzgebiet zwischen dem Nationalpark Bayerischer Wald und dessen tschechischem Pendant Šumava, in der unterfränkischen Rhön und natürlich auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr haben sich die Wölfe fest etabliert. Vor allem in den Fotofallen dort hinterlassen sie so viele Spuren, dass das LfU sie auf seiner Homepage gar nicht mehr einzeln auflistet.

Auch das andere bayerische Rudel hat sich gut eingelebt. Es streift seit drei Jahren im Veldensteiner Forst herum, einem etwa 6000 Hektar großen Waldgebiet südlich der oberfränkischen Stadt Pegnitz. Es dürfte dieses Jahr zum dritten Mal Nachwuchs bekommen haben. Der Beleg ist ebenfalls die Fotofallen-Aufnahme einer Fähe mit angeschwollenem Gesäuge.

Das Veldensteiner Rudel ist das Paradebeispiel, wie unauffällig Wölfe sich in aller Regel verhalten. Natürlich gibt es auch in der Region Ängste vor den Raubtieren. Der Biobauer Norbert Böhmer aus Schrenkersberg etwa sorgt sich, dass die Raubtiere in seine Rinderweiden einbrechen und sich ein Kalb oder Jungrind holen. Allerdings hat das Rudel bisher kein einziges Nutztier gerissen. Zumindest ist kein Riss nachgewiesen worden, wie Böhmer bestätigt. Der Biobauer hat für seine Tiere vorgesorgt. Er hat Herdenschutzhunde angeschafft. Sie leben auf den Weiden inmitten der Rinder und würden jeden Wolf vertreiben, der den Nutztieren zu nahe kommt. "Ich bin kein Wolfsfan", sagt Böhmer, "aber ich habe gelernt, damit zu leben, dass der Wolf hier bei uns ist."

Auch die Jäger haben den Umgang mit dem Rudel gelernt. Wolfram Murr ist einer der wenigen, die es einmal zu Gesicht bekommen haben. Es war in der Nacht auf den 17. November 2018, als vor dem Hochsitz von Murr erst ein Wolf, dann ein zweiter und dann ein dritter auftauchte. Am Ende waren es sechs Wölfe, die 60 Meter von ihm entfernt in den Wiesen und Weiden umhertollten. Der Jäger, der im Hauptberuf Werbefotograf ist, zückte sein Smartphone, hielt es an sein Nachtsichtgerät und filmte die Szenerie.

So begeistert Murr damals von seinem Erlebnis war, so verständnisvoll war er für alle in der Region, die dem Wolf kritisch gegenüberstehen. "Mein Sohn ist sechs", sagte er damals. "Ich weiß nicht, ob ich ihm eine Zeltelei im Wald erlauben würde, wie wir sie in unserer Kindheit gemacht haben, jetzt wo das Wolfsrudel da ist." Heute sagt der Jäger, dass "meine Sorgen grundlos waren". Wenn er in den Jahren seit seiner Sichtung etwas gelernt habe, dann das, dass das Rudel Menschen strikt meide und sich ein jeder sorglos im Veldensteiner Forst aufhalten könne, gleich ob Jäger, Spaziergänger oder Radfahrer.

Anders ist das mit dem Wild, mit den Hirschen und Rehen genauso wie mit den Wildschweinen. "Unser Rotwild hat sich früher vor allem in den Pegnitz-Auen aufgehalten", sagt Frank Pirner. Der Förster ist Chef des Staatsforstbetriebs Pegnitz und zuständig für den Veldensteiner Forst. "Da ist es natürlich eine denkbar leichte Beute für den Wolf." Das Rotwild ist aus den Pegnitzauen verschwunden, "es ist irgendwo in den Wald ausgewichen", wie Pirner sagt. Der Jäger Murr trifft inzwischen ebenfalls weniger Rotwild an, aber auch weniger Wildschweine. "Dafür finden meine Kollegen und ich jede Menge Spuren von gerissenen Tieren", berichtet er. "Und ich sehe Rehe, wo ich sie früher nicht gesehen habe."

An der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) wollen sie es jetzt genau wissen. In einem Forschungsprojekt wollen sie herausfinden, wie sich die Anwesenheit von Wölfen auf das Verhalten von Hirschen, Rehen und Wildschweinen auswirkt. In der ersten Projektphase richten sie ein extrem dichtes Netz an Fotofallen ein und zeichnen systematisch die Bewegungen der vier Wildtierarten auf. "Damit können wir nicht nur Ausweich- und Verfolgungsmuster dokumentieren", sagt Projektleiter Alois Zollner. "Sondern zum Beispiel auch herausfinden, ob die These stimmt, dass Rotwild in Wolfsregionen größere Gruppen bildet, damit die erfahrenen Alttiere auf die Jungen aufpassen können."

Übrigens: Die Wolfswelpen im Manteler und im Veldensteiner Forst dürften die Geburtshöhlen bereits verlassen und ihre Rudel kennengelernt haben. Sie machen auch schon erste Beiß- und Kampfspiele und fressen immer mehr angedautes Fleisch, das ihre Mutter und andere Wölfe des Rudels für sie wieder hervorwürgen. Im Lauf der Wochen unternehmen Eltern und Welpen immer weitere Exkursionen. Aber erst wenn die Welpen gute zwei Monate alt sind, zieht das Rudel auf einen sogenannten Rendezvousplatz um, wo der Nachwuchs seine ersten Jagdversuche unternimmt.

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