Corona-Infektion:Die Querflöte als Virenschleuder

Lesezeit: 3 min

Die Querflöte erwies sich in den Tests als das Blasinstrument, das am meisten Speichel verteilt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Forscher der Bundeswehr-Universität in Neubiberg haben das Infektionsrisiko beim Musizieren untersucht.

Von Iris Hilberth, Neubiberg

Erst mal gibt es nur Einzelunterricht, und den natürlich mit ausreichendem Abstand zum Musiklehrer. Klaviertasten werden "sparsam" mit einem Desinfektionstuch abgewischt, Bläser spielen hinter Plexiglaswänden und nutzen für das Ablassen des Kondenswassers den in jedem Unterrichtsraum stehenden Spuckeimer: Die Musikschulen im Landkreis dürfen seit diesem Montag wieder Präsenzunterricht anbieten. Das ist in Zeiten von Corona alles andere als eine leichte Etüde. Strenge Schutz- und Hygienekonzepte müssen befolgt werden. Und über all dem vorsichtigen Musizieren schweben Fragen wie: Kann ich mich beim Singen anstecken? Wie weit schleudert eine Trompete meine Spucke in den Raum? Und welches Instrument ist eigentlich die schlimmste Virenschleuder?

Es hat einige Berichte darüber gegeben, dass sich Menschen beim Chorsingen mit dem Coronavirus infiziert haben sollen. Etwa jene 24 Chormitglieder in Mount Vernon, einem Städtchen südlichen von Seattle. Sie sollen sich Mitte März bei der Probe ihres Ensembles angesteckt haben, zwei sogar an Covid-19 gestorben sein. Obwohl die 60 Sänger und Sängerinnen Abstand hielten, die Hände desinfizierten und auf übliche Umarmungen verzichteten. Die Sorge vor einer Ansteckung nicht nur durch die Spucke des Gegenübers, sondern auch durch eine strömungsbedingte Ausbreitung der Tröpfchen, das sogenannte Aerosol, scheint also berechtigt.

Professor Christian Kähler und sein Assistent Rainer Hain vom Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamik an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg haben untersucht, wie stark Sänger oder Bläser im Falle einer Infektion die Viren in ihrer Umgebung verteilen und welchen Einfluss Raumluftströmungen bei dem Transport der Viren spielen. Es ging dabei vor allem um den Abstand, da das Tragen von Atemschutzmasken beim Singen und Musizieren mit Blasinstrumenten schließlich nicht möglich ist. Die beiden Wissenschaftler haben ihre Experimente mit einer professionellen Sängerin und Gesangsdozentin vom Mozarteum in Salzburg sowie Berufsmusikern vom Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München ausgeführt. Untersucht wurde sowohl die ballistische Ausbreitung, also das Spucken, als auch die feinste Verteilung in der Luft, das Aerosol.

Die Ergebnisse zeigten eindeutig, dass die Luft beim Singen nur im Bereich von einem halben Meter vor dem Mund in Bewegung versetzt wird, teilen die Forscher mit. Dies sei unabhängig davon, wie laut der Ton war und welche Tonhöhe gesungen wurde. Eine Virusausbreitung allein durch Singen über diese Grenze hinaus halten Kähler und sein Mitarbeiter für "äußerst unwahrscheinlich". Schließlich werde beim Singen kein großes Luftvolumen stoßartig ausgestoßen wie beim Niesen, Husten oder Pusten. Die Kunst des Singens bestehe vielmehr darin, möglichst wenig Luft zu bewegen und trotzdem einen schönen und kräftigen Klang zu erzeugen.

Beim Singen im Chor unbedingt Abstand halten

Dennoch empfehlen sie in einem Chor, den Sicherheitsabstand von mindestens 1,50 Meter einzuhalten, um sich auch dann wirksam vor einer Tröpfcheninfektion zu schützen, wenn gehustet wird. Darüber hinaus sollte neben einem ausreichend großen Raum auf eine versetzte Aufstellung der Sängerinnen und Sänger geachtet werden. Als wichtig erachten die Wissenschaftler aus Neubiberg auch die richtige Belüftung der Proberäume, um eine Infizierung durch langsame Raumluftströmungen zu minimieren. Dabei gehe es nicht nur um häufiges Lüften, ideal sei, wenn die Luft von unten durch den Boden zugeführt und flächig über die Decke abgesaugt würde. Ventilatoren werden nicht empfohlen.

Bei den Experimenten mit Musikern zeigten sich durchaus Unterschiede zwischen den verschiedenen Blasinstrumenten. Bei den Blechbläsern war der in Bewegung gesetzte Luftbereich umso größer, je kleiner der Schalltrichter des Instrumentes, je tiefer der Ton und je stoßartiger die Tonfolge ist. Trompete, Posaune und Euphonium geben dennoch keinen Anlass zu großer Beunruhigung: Weiter als einen halben Meter kommt auch hier der Luftstoß nicht. Die Forscher begründen das so: "Der eigentliche Ton wird bei Blechblasinstrumenten dadurch erzeugt, dass die leicht vorgespannten und durchströmten Lippen zu Schwingungen angeregt werden. Genauso wie beim Singen besteht auch bei den Blechbläsern das Ziel nicht darin, möglichst viel Luft in kurzer Zeit auszublasen."

Im Freien kann nur Seitenwind gefährlich sein

Mit Klarinette, Oboe und Fagott können schon größere Strömungsbewegungen erzeugt werden, bis zu einem Meter hat Kähler gemessen. Die größte Reichweite allerdings habe die Querflöte, vor allem bei langen und tiefen Tönen. Denn bei diesem Instrument wird die Luft mit leicht geöffnetem Mund schnell über die gewölbte Mundlochplatte mit dem eigentlichen Anblasloch geblasen. "Dadurch tritt die Luft nahezu ungebremst in den Raum hinein", haben die Forscher festgestellt. Sie empfehlen, zum Schutz ein dünnes dicht gewebtes Tuch vor der Öffnung der Instrumente zu befestigen. Im Freien zu musizieren, könne die Gefahr einer Infektion erheblich reduzieren. Bei Befolgung der Abstandsregeln halten Kähler und Hain dies für "weitgehend sicher". Es sei denn es herrsche leichter, gleichmäßiger Seitenwind. Der könne kontaminierte Luft über größere Strecken transportieren.

© SZ vom 15.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Covid-19
:Wo das Infektionsrisiko groß ist

Türklinke, Pakete, Haustiere? Forscher finden immer mehr über die Übertragungswege des Coronavirus heraus. Wie sich Sars-CoV-2 verbreitet und wie Menschen sich am besten schützen können.

Von Berit Uhlmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: