SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 54:Händchenhalten und Zureden

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Manchmal müssen Patienten schmerzhafte Behandlungen über sich ergehen lassen, bei denen eine psychologische Betreuung wichtig ist - auch Händehalten gehört dazu. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Pflege bedeutet auch, in manchen Fällen eine psychologische Unterstützung für Patienten zu sein - keine Kleinigkeit, sondern essenziell für den Erfolg einer Behandlung, wie Pola Gülberg erzählt.

Protokoll von Johanna Feckl, Ebersberg

Es gibt Situationen, in denen besteht unsere Pflege aus Händchenhalten. Oder was im Falle eines Patienten, der mit schwerer Atemnot erst in die Notaufnahme und dann zu uns auf die Intensiv kam, wohl korrekter wäre: Händedrücken. Das ist alles andere als eine Kleinigkeit, sondern eine für die Behandlung essenzielle psychologische Betreuung.

Das Röntgenbild des Mannes zeigte, dass in dem Spalt zwischen Lunge und Rippen Flüssigkeit war: Wasser, Blut, Eiter - Genaueres war nicht zu erkennen. Klar war aber, dass es durch eine Drainage aus dem Körper hinausgeführt werden musste, denn eigentlich sollte dort ein Vakuum herrschen.

Immer wieder hat sich der Patient aufgesetzt, obwohl er liegen sollte, hat sich die Sauerstoffmaske abgezogen und war unruhig, beinahe panisch. Verständlich, schließlich konnte er kaum atmen, als er bei uns eintraf. Erst als wir ihm ein Schmerzmittel gaben, beruhigte er sich zunehmend.

Jetzt ging es aber erst richtig los. Denn bei der notwendigen Art von Drainage wird lokal betäubt: Die oberen Hautschichten sind gefühllos, ab dem Rippenfell ist der Eingriff zu spüren. Es ist eine schmerzhafte Prozedur, häufig beginnen die Betroffenen zu schreien. Trotzdem muss der Patient ruhig liegen bleiben, damit der Arzt präzise arbeiten kann. Und da kommen wir Pflegekräfte ins Spiel.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wir waren zu zweit: Während ich auf der einen Seite des Patienten den Ärzten die Drainage reichte, stand meine Kollegin auf der anderen Seite und beruhigte den Mann. Sie hielt seine Hand, redete ihm mit ruhiger Stimme gut zu und erklärte ihm die Schritte, die der Arzt durchführte. Für den chirurgischen Eingriff legten wir ein Tuch über die freie Seite des Patienten und seinen Kopf, damit alles steril bleibt - meine Kollegin war auch darunter, immer in Blickkontakt mit dem Mann, und sprach weiter zu ihm. "Drücken Sie meine Hand, wenn es zu schmerzhaft wird, das hilft."

Am Ende waren es mehr als zwei Liter Eiter, die sich im Brustkorb des Patienten angesammelt hatten. Ein halber Liter kam uns entgegengeschossen, bevor der Rest im Drainagekasten landen konnte. So etwas Übelriechendes hatte ich noch nie gerochen, dagegen konnten uns selbst die FFP2-Masken, die wir tragen, nicht schützen.

Ich habe mir davon nichts anmerken lassen. Wie hätte der Mann sich wohl gefühlt, wenn ich mich über den Geruch beschwert hätte? Dass er diese schmerzhafte Prozedur über sich ergehen lassen musste, hatte er sich bestimmt nicht ausgesucht - Kommentare wären fehl am Platz gewesen. Und so blieb auch meine Kollegin trotz des anhaltenden Geruchs an der Seite des Mannes, bis die akuten Beschwerden vorüber waren. Am Ende konnte er viel besser atmen - und das war die Hauptsache.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 38-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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