Vor ein paar Jahren wurde ich in Chile nach einem Unfall in einem Krankenhaus versorgt. Als ich auf die Toilette gehen wollte, gab es die erste Überraschung: Klopapier? Das hätte ich selbst mitbringen müssen. Wenig später wurde das Essen gebracht - mit einer zweiten Überraschung: Besteck? Auch das hätte ich mir organisieren müssen. Spätestens da wurde mir endgültig klar, dass bei diesem Klinikaufenthalt vieles anders ablaufen würde, als ich es von meiner Arbeit in Deutschland gewohnt bin. Und das sollte sich nicht nur auf Klopapier und Besteck beschränken - beides durfte ich mir glücklicherweise zunächst ausleihen.
In Chile ist die Pflege in einzelne Tätigkeiten unterteilt - man nennt das Funktionspflege: Da ist eine Berufsgruppe zuständig für die Anordnungen der behandelnden Ärzte, etwa einen Verbandwechsel. Eine zweite Gruppe erledigt technische Aufgaben wie Puls- oder Blutdruckmessen. Eine dritte ist für Dienstleistungen wie Betten neu beziehen oder Essen bringen verantwortlich. Die vierte Gruppe besteht aus Familie und Freunden, die die Körperhygiene übernehmen, sofern der Patient das nicht alleine schafft, oder das Anreichen von Essen. Eine Pflegekraft übernimmt solche Arbeiten nur gegen extra Bezahlung.
Funktionspflege findet ebenso im europäischen Ausland statt, etwa in Spanien. Auch in Deutschland sah die Struktur früher ähnlich aus. So gab es eine strikte Trennung zwischen Körper und Psyche: Die gebrochene Hüfte ist Ursache für einen Schmerz - also wird diese Verletzung behandelt. Aber wie geht es dem Patienten dabei? Hat er Sorge, nie mehr richtig laufen zu können? Dass er sein Leben, wie er es bisher gewohnt war, nicht weiterführen kann? Solche Fragen waren egal.
Mittlerweile jedoch gelten solche Aspekte als essenziell. Denn Körper und Psyche stehen in Verbindung zueinander, ihre Gesundheit bedingt sich gegenseitig: Hat der Patient Angst um seine Fähigkeit zu laufen, blockiert ihn das möglicherweise bei der Physiotherapie - der Geist verhindert eine optimale Rehabilitation der Hüfte.
Ich bin überzeugt davon, dass die Struktur der Pflege, wie wir sie in Deutschland erleben, für Patienten der qualitativ beste Weg ist. Denn der Mensch wird als Ganzes betrachtet - wir Pflegekräfte gehen auf alle Bedürfnisse des Patienten ein und jeder von uns hat eine medizinische Ausbildung durchlaufen: Wir praktizieren eine ganzheitliche Bezugspflege. So ist die Gefahr am geringsten, dass etwas übersehen wird. Denn eine veränderte Atmung bemerkt jede von uns und weiß, wie man Gegenmaßnahmen einleitet. Und auch um Klopapier und Besteck muss sich keiner unserer Patienten kümmern. Sie können sich ganz aufs Gesundwerden konzentrieren.
Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 38-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.