SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 120:Wie der wohl klingt?

Lesezeit: 2 min

Wenn ein Patient intubiert ist, dann hätte er selbst ohne Sedierung keine Möglichkeit, mit seiner Stimme zu sprechen. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Wenn Patienten von Pola Gülberg nach einer Intubation oder nach der Entfernung einer Kanüle im Hals wieder sprechen können, dann freut sich die Pflegerin sehr darauf, endlich deren Stimme zu hören. Aus mehreren Gründen.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Es liegt schon viele Jahre zurück, als ich einen Patienten versorgt habe, der eine Kanüle im Hals hatte, durch die er atmete. Eine solche Kanüle bedeutete auch: Mein Patient konnte nicht sprechen. Aber er war wach und ansprechbar, also redete ich ganz normal mit ihm, das heißt bei mir: Bairisch. Nach einer Weile ging es ihm endlich so gut, dass er eine spezielle Kanüle eingesetzt bekam, mit deren Hilfe er sprechen konnte. Als ich an diesem Tag zum ersten Mal in sein Zimmer kam, begrüßte ich ihn wie immer: "Guadn Morg'n, wie geht's eana heid?" Da hat mich der Mann nur angegrinst und mir geantwortet: "Recht gut, aber ich würde Sie besser verstehen, wenn Sie bitte Hochdeutsch mit mir sprechen könnten."

Bis heute geht es mir so, dass ich mich bei jedem intubierten Patienten frage, wie wohl seine Stimme klingt. Die Stimme eines Menschen verrät viel über seinen Charakter: Spricht jemand recht leise? Oder superschnell? Was ist mit Dialekt? Ist es eine feste, harte Stimme, oder hat sie eine sanfte und weiche Tonalität?

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Wenn ich dann endlich die Stimme meiner ehemals intubierten Patienten höre, fühle ich mich erleichtert. Es ist ein unglaublich positives Zeichen, denn wenn sie einmal sprechen, können sie meistens schon bald auf Normalstation verlegt werden. Und dass ich durch die wiedergewonnene Sprache etwas mehr über sie erfahre, freut mich ebenso - ich pflege ja schließlich keine Maschinen, sondern Menschen. Natürlich finde ich es schön, ein wenig mehr von ihnen kennenzulernen als ihre Krankheitsgeschichte.

Hinzu kommt ein pragmatischer Vorteil: Es erleichtert meine Arbeit. Denn die Kommunikation mit jemanden, der sich für gewöhnlich mit seiner Stimme mitteilt, ist schwierig. Schreiben funktioniert oft schlecht, weil die Finger durch die Medikamente so angeschwollen sind, dass sowohl einen Stift halten als auch auf dem Tablet tippen einer echten Herausforderung gleicht. Bleiben also nur noch Gesten. Das können manche ganz gut, andere hingegen gar nicht.

Wenn die Stimme wieder da ist, haben die Patienten häufig einen unglaublichen Redebedarf. Als ob sie all das Ungesagte der vergangenen Tage oder Wochen aufholen möchten. Meine Aufgabe ist es dann, sie etwas zu bremsen. Erstmal abhusten, räuspern, durchschnaufen - dann kann es langsam losgehen mit dem Sprechen.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Schon ein paar Mal habe ich es erlebt, dass sich die Patienten über ihre eigene Stimme erschrocken haben: Sie klang ganz anders. Aber das ist normal. Mit der Stimme ist es wie mit einem Muskel: Wenn man sie nicht benutzt, dann rostet sie eben etwas ein. Und bei einer speziellen Sprechkanüle klingt die Stimme durch den Mechanismus der Kanüle zusätzlich gepresst, das Sprechen ist anstrengend.

Nachdem ich mich bei meinem Patienten, der mich bat, Hochdeutsch mit ihm zu sprechen, entschuldigt hatte, weil er mich so schwer verstanden hatte, mussten wir erstmal lachen. Er selbst sprach Sächsisch. Wir haben dann den Deal geschlossen, beide darauf zu achten, so wenig Dialekt wie möglich miteinander zu sprechen - und wir haben uns super verstanden.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 39-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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