SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 137:Fatale Folgen durch ein Glas Sekt

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Mindestens ein halbes Jahr muss ein Alkoholiker trocken sein, damit er überhaupt aufgenommen wird auf die Warteliste für eine Organtransplantation. (Foto: imago stock&people)

Pola Gülberg versorgt einen Patienten, der eine neue Leber braucht. Doch weil der Mann trockener Alkoholiker ist, gibt es strenge Regeln für eine Transplantation - ohne Ausnahme, und zwar aus gutem Grund.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Meinen Patienten kannte ich schon von früheren Aufenthalten bei uns. Er war um die 50 und wir haben uns gut verstanden, ein netter Kerl, von dessen Leben ich im Laufe der Zeit viel erfahren habe. Doch er trug ein großes Problem mit sich herum: Als junger Typ hat er gerne Party gemacht, irgendwann war er aber in den Alkoholismus abgerutscht. Mittlerweile war der Mann zwar trocken, doch seine Leber hatte sich nie erholt. Er hatte eine Leberzirrhose in einem sehr fortgeschrittenen Stadium: Mein Patient brauchte ein neues Organ, um zu überleben - er stand auf der Transplantationsliste.

Damit ein Alkoholiker eine neue Leber bekommt, müssen einige zusätzliche Bedingungen erfüllt sein. So muss der Betroffene mindestens ein halbes Jahr lang komplett alkoholabstinent gewesen sein, um überhaupt auf die Transplantationsliste zu kommen. Denn würde der Alkoholiker immer weiter trinken, wäre das neue Organ im Nu auch wieder kaputt. Das ist ethisch nicht vertretbar. Nachprüfen lässt sich der Alkoholkonsum anhand einer Untersuchung der Leberwerte.

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Ein Patient von Pola Gülberg erbricht plötzlich Blut - eine Menge Blut. Der Verdacht: Die Leber ist als Folge seiner Alkoholkrankheit kaputt, das hat zu Krampfadern in der Speiseröhre geführt - und die sind nun geplatzt. Jetzt muss alles schnell gehen.

Protokoll: Johanna Feckl

Mein Patient nun, er hatte allen Kriterien entsprochen, um auf die Liste zu kommen. Er hatte eine Therapie gemacht und viel an sich gearbeitet, er war trocken und sogar frisch verliebt. Und er war eine ehrliche Haut: Als ihn der Arzt fragte, wann er zum letzten Mal Alkohol getrunken hatte, sagte er, dass er das schon lange nicht mehr tun würde. Jedoch vor ein paar Monaten, als er Geburtstag hatte, habe er mit Freunden und einem Schluck Sekt angestoßen.

Der Arzt verzog das Gesicht. Ich hatte den Eindruck, er hätte das mit dem Anstoßen am liebsten überhört. Hatte er aber nicht. Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als den Mann darauf hinzuweisen, dass wir jetzt drei Monate länger warten müssen, ehe eine Transplantation möglich wäre. Mein Patient war irritiert, "aber es war doch nur ein Glas Sekt", fragte er nach. Aber so lauten nun einmal die gesetzlichen Bestimmungen: Bei einem Alkoholiker, der wieder getrunken hat, egal wie wenig oder viel es war, ist die Rückfallquote hin zu einem missbräuchlichen Trinkverhalten einfach höher.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Mutter des Mannes wollte ihm einen Teil ihrer Leber spenden. Hinsichtlich Blutgruppe und Gewebe wäre sie sogar als Spenderin infrage gekommen - aber eben erst nach Verstreichen von drei Monaten, in denen der Patient weiterhin komplett abstinent bleiben musste. Ihr war das Glas Sekt egal, aber das spielte keine Rolle. Wer einen Teil seiner Leber spendet, nimmt ein gesundheitliches Risiko auf sich. Kein Arzt würde das in Kauf nehmen, wenn beim Spendenempfänger eine erhöhte Rückfallquote in den Alkoholismus besteht. So tragisch das im Einzelfall ist, ohne solch strikten Regeln würde das System nicht funktionieren.

Nach einer Weile wurde der Mann wieder entlassen, ein paar Monate später kam er jedoch schon wieder. Als Notfall. Sein Zustand hatte sich innerhalb kurzer Zeit rapide verschlechtert. Er bekam kaum mehr Luft und musste intubiert werden. Er hat nicht überlebt.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 39-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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