SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 118:Die Hürden sind hoch

Lesezeit: 2 min

Pola Gülberg ist selbst Motorradfahrerin und trägt ihren Organspendeausweis bei sich - selbstverständlich geht das problemlos, sagt sie. (Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Damit es in Deutschland zu einer Organspende kommt, müssen viele Kriterien erfüllt werden. Pola Gülberg erklärt sie - und räumt mit dem Vorurteil auf, dass Motorradfahrer mit Spenderausweis nach einem Unfall nicht ausreichend versorgt werden.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Als ich vor zwei Jahren meinen Motorrad-Führerschein gemacht habe, sagte ein Bekannter zu mir: "Da wäre ich jetzt aber vorsichtig!" Denn in meinem Geldbeutel habe ich auch meinen Organspendeausweis verstaut - eine Kombi, durch die ich im Falle eines schweren Motorradunfalls in der Vorstellung meines Bekannten keine ausreichende medizinische Hilfe bekommen würde. Überspitzt gesagt: Die Ärzte würden mich sterben lassen, um an meine Organe zu kommen.

Das ist kompletter Unsinn. Was hätte ein Arzt denn davon? Hinzu kommt, dass die gesetzlichen Bestimmungen für eine Organspende in Deutschland unglaublich streng sind.

Neben der rechtlichen Voraussetzung, dass ein Organspendeausweis vorliegt, oder der nächste Angehörige bei einer Organ- oder Gewebespende eingewilligt haben muss, kommen medizinische Voraussetzungen. Wie hoch diese sind, habe ich erst kürzlich bei einem Patienten gesehen.

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Er kam mit einer Hirnblutung zu uns, wurde intubiert und beatmet - es sah nicht gut für ihn aus, es drohte der Hirntod. Noch am selben Abend haben wir die Angehörigen einbestellt, damit sie sich im Fall der Fälle verabschieden konnten.

Aus rein medizinischer Sicht bedeutet ein Hirntod: Hier ist ein möglicher Kandidat für eine Organspende. Jedoch einen Hirntod festzustellen, funktioniert nicht ohne Weiteres.

So können wir neurologische Funktionen, die auf einen Hirntod hindeuten, nur dann überprüfen, wenn gerade kein Beruhigungsmittel zum Einsatz kommt: Reagiert der Patient auf Zwicken im Ohrläppchen oder auf Druck am Hals unterhalb des Ohrs? Hier sind die Nervenbahnen zum Gehirn besonders kurz, ein Schmerzreiz funktioniert dort eher als am großen Zeh. Für die Tests wird die Sedierung also zeitweise ausgesetzt.

Unser Patient zuckte. Ein Zeichen dafür, dass er nicht hirntot war. Deshalb bekam er selbstverständlich weiterhin alle nötigen Medikamente, um seinen Kreislauf aufrecht zu erhalten. Aber: Seine Pupillen zeigten keine Reaktion auf Lichtreize. Er war nicht ansprechbar, reagierte nicht auf Druck an den Händen. Sein Hirntod war weiterhin ein realistisches Szenario.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Da kein Organspendeausweis vorlag, haben unsere Ärzte mit der Familie gesprochen. Es ist wichtig, das Gespräch nicht erst dann zu führen, wenn der Hirntod eingetreten ist. Solche Entscheidungen brauchen häufig Zeit. Diese Möglichkeit sollte jedem Angehörigen zustehen.

Am nächsten Tag hat die Familie zugestimmt. Daraufhin sollte unser Transplantationsbeauftragter zu einem ausführlicheren Aufklärungsgespräch vorbeikommen. Dazu ist es nicht mehr gekommen: Der Patient hatte einen Herzstillstand - nicht den ersten - und ist gestorben. Die Medizin kann vieles, so auch die übrigen Organe am Leben erhalten, wenn der Hirntod eingetreten ist. Aber nach einer Reanimation funktioniert das in aller Regel nicht mehr.

In all den Jahren, in denen ich als Pflegekraft arbeite, habe ich es noch nie erlebt, dass es bei einem Patienten tatsächlich zu einer Organtransplantation gekommen ist.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 39-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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