SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 134:Folgen des Älterwerdens

Lesezeit: 2 min

Mit dem Älterwerden lassen Körperfunktionen wie Sinneswahrnehmungen oder der Schluckreflex nach. (Foto: Stephan Scheuer/dpa)

Ein gut 90-jähriger Patient von Intensivfachpflegerin Pola Gülberg leidet zum wiederholten Mal an einer Lungenentzündung. Doch das ist kein Zufall.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Als mein Patient das erste Mal auf der Intensivstation etwas zu trinken bekam, stand ich neben ihm. Der Mann war um die 90 Jahre alt und hatte eine Lungenentzündung - bei solchen Eckdaten geschieht der erste Schluck immer unter Aufsicht, genau wie nach einer Extubation oder Narkose, nach einem Schlaganfall oder anderen neurologischen Ereignissen. Denn in all diesen Fällen ist das Risiko erhöht, dass sich der Patient verschluckt. Ich reichte dem Mann also einen Becher mit ein wenig Wasser darin, er setzte an zu trinken - verschluckte sich sofort und begann zu husten. Mein Verdacht: Er hatte eine Schluckstörung.

Mit dem Alter ist das so eine Sache: Die Sensorik der Sinneszellen lässt allmählich nach und die Körperfunktionen werden langsamer. Deshalb kann ein 90-Jähriger Flüssigkeiten in seinem Mundraum nicht mehr so gut spüren wie ein 20-Jähriger. Diese schwindende Sinneswahrnehmung im Mund in Kombination mit einem geschwächten Schluckreflex führt schließlich immer häufiger zum Verschlucken. Dabei gelangt das Getrunkene dann anstatt in die Speiseröhre in die Luftröhre und bis hinab zur Lunge - ein Ort, an dem Flüssigkeiten nichts zu suchen haben.

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Wenn das mal passiert, was bestimmt auf die meisten Menschen zutrifft, dann löst das zwar ein unangenehmes Gefühl und einen starken Hustenreiz aus. Aber in der Regel folgt nichts Schlimmeres - ein bisschen Wasser in der Lunge kann der Körper schon abbauen. Doch wenn sich jemand immer wieder verschluckt, nicht nur mit Wasser, sondern auch zum Beispiel mit einer Suppe oder Süßem, dann greift das die sensible Haut in der Lunge an. Es kommt zu kleinen Entzündungen, die zu einer großen Infektion anwachsen können: Schon ist die Lungenentzündung da.

Als etwas später Angehörige meines Patienten zu Besuch kamen, habe ich im Gespräch erfahren, dass der Mann bereits an mehreren Lungenentzündungen in diesem Jahr erkrankt war. Eine Schluckstörung - wir sagen dazu Dysphagie - sei zwar mal vermutet worden, jedoch nie diagnostiziert. Dass er sich häufiger mal verschlucken würde, sei ohnehin niemandem aufgefallen, er würde schließlich sehr gerne essen. Jedoch umso weniger trinken.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch das ist typisch für eine Schluckstörung: Beim Essen hat man etwas Größeres im Mund, da greift die Motorik generell besser. Deshalb haben Betroffene anfangs zwar Schwierigkeiten beim Schlucken von Flüssigkeiten, Nahrung ist aber noch kein Problem.

Nachdem ich die behandelnden Ärzte und auch unsere Logopädin hinzugezogen hatte, bekam mein Patient also nur noch angedickte Flüssigkeiten zum Trinken. Angedicktes Wasser gibt es schon fertig, das sieht aus wie bläuliche Gelatine. Alle anderen Flüssigkeiten lassen sich mit einem speziellen Pulver andicken. Das funktioniert wirklich bei allem, was flüssig ist: Einmal habe ich einem Patienten sogar Bier angedickt, weil er Wasser und Tee so schrecklich satthatte. Das war aber auch das einzige Mal, dass er danach gefragt hatte - ich glaube, sein angedicktes Bier war nicht sehr lecker.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 39-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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