Kinderbetreuung:Im Angesicht des Mangels

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Nicht nur Eltern, auch die Kommunen müssen bei der Kinderbetreuung viel draufzahlen. (Foto: Christian Endt)

Fehlendes Fachpersonal ist das Hauptproblem bei der Kinderbetreuung in Bayern. Das wird bei einer Debatte mit Familienministerin Ulrike Scharf in Kirchseeon deutlich, bei der sich die CSU-Politikerin schnell im Kreuzfeuer der Kritik wiederfindet.

Von Andreas Junkmann, Kirchseeon

Eigentlich hatte der Termin nicht gerade das Potenzial, zu einem Spießrutenlauf für Bayerns Familienministerin Ulrike Scharf zu werden. Am Ende des Abends flog der CSU-Politikerin die Kritik allerdings nur so um die Ohren. Das hatte vor allem mit dem Thema der Debatte zu tun, zu der der Ebersberger Kreisverband der Christsozialen unter der Moderation von Landtagsabgeordnetem Thomas Huber nach Kirchseeon geladen hatte: Aufgaben und Herausforderungen in der Kinderbetreuung. Die Parteifreundschaft war jedoch schnell verflogen, als auf dem Podium Vertreter von Gemeinde, Träger und Eltern Probleme offenbarten, mit denen sie tagtäglich zu kämpfen haben.

"Ich hab' mir am Anfang gedacht, die Arme, die bekommt's ja von allen Seiten ab", sagte Kirchseeons Rathauschef Jan Paeplow (CSU) nach der eineinhalbstündigen Podiumsdiskussion vor rund 60 Zuschauern. Der Grund für dieses Mitleidsbekunden in Richtung der Ministerin war, dass der Schuldige für die Misere in der Kinderbetreuung schnell ausgemacht war: Trotz großer Ankündigungen komme vom Freistaat schlicht zu wenig Unterstützung für die Basis, so der Tenor aller Beteiligten. Andere Bundesländer seien hier schon deutlich weiter - und unbürokratischer.

Der Ebersberger CSU-Kreisverband hatte Markus Kreitmayr und Martin Swoboda von den Johannitern, Kirchseeons Bürgermeister Jan Paeplow, CSU-Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales Ulrike Scharf sowie Wolfram Bauer vom St. Zeno Kindergartens Glockenturm eingeladen. Moderator war CSU-Landtagsabgeordneter Thomas Huber (von links). (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das sah Ulrike Scharf freilich etwas anders. Die Sozialpolitikerin aus dem Nachbarlandkreis Erding lobte die Arbeit, die in Bayern in Sachen Kinderbetreuung geleistet werde. "Wir sind ein Familienland", sagte sie und verwies auf die vielen Leistungen des Freistaates - etwa das Familiengeld, den Krippenzuschuss oder den Beitragszuschuss für den Kindergarten. "Bayern unterstützt Familien in allen Lebensphasen", so die Staatsministerin, die ihre These auch mit Zahlen unterlegte. Im Haushalt 2023 etwa seien allein vier Milliarden Euro für Familienleistungen eingestellt. "Das werden Sie nicht überall finden", sagte Scharf mit Blick auf andere Bundesländer.

Zumindest Kirchseeons Bürgermeister Jan Paeplow hatte allerdings schnell ein Land gefunden, in dem die Kinderbetreuung aus seiner Sicht deutlich elternfreundlicher geregelt ist: Während Mama und Papa im finanziell durchaus gesegneten Bayern oft Zuschüsse bei der Kinderbetreuung beisteuern müssten, sei diese etwa in Berlin komplett frei. "Das verstehe ich nicht, das kann ich einfach nicht nachvollziehen", kritisierte Paeplow. Doch nicht nur Eltern würden in Bayern zur Kasse gebeten, auch die Gemeinden müssten große Summen "on top" stemmen. Kirchseeon etwa lege jährlich rund zwei Millionen auf die eigentlichen Leistungen drauf, um den Fachkräften in Kitas und Kindergärten unter anderem freiwillige Zulagen zu bezahlen. Damit soll das gefragte Personal an den Ort gebunden werden.

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Dass der Mangel an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das größte Problem bei der Kinderbetreuung ist, darüber waren sich alle an diesem Abend einig. "Wir brauchen Fachkräfte nicht in vier Jahren, sondern eigentlich gestern", sagte Paeplow, der anstelle von behördlicher Bürokratie lieber kreative Lösungen sehen würde, wie etwa die von ihm mit auf den Weg gebrachte Fachakademie für Erzieher, die unter der Trägerschaft der Johanniter in diesem Jahr in Kirchseeon starten wird.

Dass die Johanniter die Schule leiten, ist kein Zufall, denn auch sie bekommen den Fachkräftemangel zu spüren. "Es entsteht dadurch eine extreme Konkurrenzsituation", sagte Martin Swoboda, Vorstandsmitglied im Regionalverband der Johanniter. Die Verweildauer des Personals in den Einrichtungen sei inzwischen sehr kurz geworden, da immer irgendwo ein Träger mit einem besseren Angebot locke. Das, so Swoboda, gehe teilweise sogar so weit, dass man vereinzelt Erzieher gar nicht mehr auf mögliche Defizite in den Einrichtungen hinweisen könne, ohne dass diese sofort ihre Kündigung einreichen. "Die Mitarbeiter müssen sich wohl fühlen", sagte er weiter, "und natürlich läuft es letztendlich aufs Finanzielle raus."

Manchmal sind auch die Eltern das Problem, die den Erzieherinnen das Leben schwer machen

Dass aber auch Eltern dieses Wohlbefinden fördern können, darauf verwies Markus Kreitmayr, Bereichsleiter Kinder und Jugend im Johanniter-Landesverband Bayern: "Wir haben auch immer wieder schwierige Eltern, die auf das Personal einwirken. Da haben wir zum Teil schon grenzwertige Erfahrungen gemacht", so Kreitmayr, der sagte, dass jeder Vierte das Berufsfeld nach einiger Zeit wieder verlasse. "Das sind Leute, die uns verloren gehen."

Hier leiste der Freistaat bereits Abhilfe, merkte Ulrike Scharf mit Blick auf das Quereinsteiger-Programm an. Dabei hätten Interessierte die Möglichkeit, sogar bis zur Fachkraft aufzusteigen. "Ich kann nur jedem Träger empfehlen, sich mit diesem Konzept zu beschäftigen", so die Ministerin. Dass darin durchaus Potenzial steckt, bestätigte auch Wolfram Bauer, der als Elternvertreter des Kinderhauses Glockenturm mit an der Debatte beteiligt war. "Wir haben mit Quereinsteigern bisher durchweg gute Erfahrungen gemacht." Viele Erzieherinnen könnten durch ihre eigene Lebenserfahrung die fehlende Papierqualifikation locker auffangen.

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Deutlich weniger Zuspruch gab es für Ministerin Scharf was den bürokratischen Aufwand in den Einrichtungen angeht. Dieser sei inzwischen so groß geworden, dass sich die Erzieherinnen und Erzieher nicht mehr auf ihre eigentliche Arbeiten konzentrieren könnten, kritisierte Martin Swoboda. Dem schloss sich auch Wolfram Bauer an, der erzählte, dass er Fälle kenne, bei denen die Erzieherinnen am Ende des Tages sogar die Kita selbst sauber machen müssen, weil es keine Putzkräfte gebe. All das nage am Image des Berufsbilds, da war sich die Runde einig. Auch Ulrike Scharf sagte, dass es mit dem Ausbildungsangebot allein nicht getan sei. "Wenn wir es schaffen, dass über das Berufsbild nicht mehr so schlecht gesprochen wird, haben wir viel gewonnen."

Letztendlich war sich die Runde einig, dass man bei diesem Thema regelmäßig und über alle Ebenen hinweg im Gespräch bleiben müsse. Der Freistaat mache es sich manchmal leicht mit seinen Ankündigungen, sagte Bürgermeister Jan Paeplow. Die Kommunen müssten bei diesem Prozess aber auch mitgenommen werden. Moderator Thomas Huber versprach, er wolle zum Thema Erziehung zeitnah ein Werkstattgespräch im Landkreis mit Trägern und Vertretern der Politik auf die Beine stellen - und aus diesem sollen statt vieler Worte dann auch echte Taten folgen.

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