Fußballweltmeisterschaft:Abpfiff vor Anpfiff?

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Anders als bei der Europameisterschaft 2021 wird es für die Übertragung der WM im "Zum Elfer" keine große Werbung geben. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Kommende Woche beginnt die Fußball-WM in Katar, doch das Gastgeberland steht in der Kritik. Sollte man deshalb auf eine Übertragung der Spiele verzichten? Wie die Ebersberger Wirte und Veranstalter dazu stehen.

Von Sina-Maria Schweikle, Ebersberg

Korruption, Ausbeutung von Arbeitern und Menschenrechtsverletzungen - die Vorwürfe gegen das WM-Gastgeberland Katar wiegen schwer. Nicht nur die Fußballfans in den Stadien reagieren mit einem Boykottaufruf der Weltmeisterschaft angesichts der schwerwiegenden Vorwürfe gegen das Wüstenemirat. Auch viele Wirte sind skeptisch, ob sie die Spiele in diesem Jahr übertragen sollen oder nicht. Dabei scheinen nicht allein die gravierenden Anschuldigungen gegen Katar eine Rolle zu spielen: Die Kombination aus Krieg in der Ukraine, hoher Inflation sowie anhaltender Corona-Pandemie verursacht eine eher zurückhaltende Vorfreude der Fußballfans - auch im Landkreis Ebersberg. Dass die Fußballweltmeisterschaft in diesem Jahr überdies im Winter stattfindet, tut ihr Übriges.

"Die WM im Katar bietet viele Gründe, sie nicht zu übertragen", sagt Markus Bachmeier. Er ist Geschäftsführer von Altem Kino und Altem Speicher in Ebersberg und bezeichnet sich als einen "eigentlich sehr großen Fußballfan". Doch trotz der Liebe zum Ballsport kommt von ihm ein klares "nein!", auf die Frage, ob er die Weltmeisterschaft in diesem Jahr übertragen wird. Das liege aber nicht nur an den Menschenrechtsverletzungen, die er gleich zu Beginn des Gespräches anspricht, sondern auch daran, welche Jahreszeit man sich für die Fußballweltmeisterschaft ausgesucht habe. "Die WM liegt im Winter und damit inmitten der Hochsaison der Veranstaltungsbranche", sagt Bachmeier. Auch das sei ein Grund, weshalb die Spiele diesmal nicht im Alter Speicher übertragen würden. An der Entscheidung, eine Fußballweltmeisterschaft in Katar stattfinden zu lassen, sei seiner Meinung nach so manches falsch.

Im "Zum Elfer" wird die WM übertragen - aber die große Werbung bleibt aus

Anders sieht die Lage hingegen in der Sportgaststätte "Zum Elfer" in Forstinning aus. Hier wird man die Spiele übertragen. "Wir werden aber keine große Werbung dafür machen", sagt Thomas Letsch, Betreiber der Wirtschaft. Natürlich sei man sich der Diskussionen rund um das Thema WM in Katar bewusst, aber "man kommt ja nicht drumherum". Es gebe Gäste, die bereits angefragt hätten, ob die Spiele in der Gaststätte übertragen würden. Das habe nach einer gründlichen Abwägung zu der Entscheidung geführt, die Spiele der WM auszustrahlen. "Auf der Homepage werden wir es natürlich anmelden und auch ein paar Flyer werden wir auslegen", sagt Letsch. Doch anders als in der Vergangenheit werde man in diesem Jahr von einer großen Werbeaktion absehen. Denn auch wenn man sich für eine Übertragung entschieden habe, so sei man sich bewusst, dass eine solche Veranstaltung theoretisch boykottiert werden müsste. Trotz der Umstände hofft der Wirt, dass die Gäste kommen und die Weltmeisterschaft im "Elfer" anschauen werden. "Manche trauen sich vielleicht nicht, für andere wird es ungewohnt sein, nicht wie üblich im Freien zu schauen, sondern in der Gaststätte. Da spielt neben dem Gewissen aber natürlich auch Corona wieder eine Rolle", so Letsch.

Im Anzinger Forsthof verzichtet man auf die Übertragung - die Gäste hätten kein Interesse

Corona war auch ein wichtiger Faktor in der Entscheidungsfindung der Wirtin Danka Löbel. Die Pächterin des Anzinger Forsthofs "Zum Wilderer" wird die Fußballweltmeisterschaft in Katar nicht in ihrem Gasthaus übertragen. Da helfe auch die geographische Nähe zum Sportverein nichts. Denn seit Ausbruch der Pandemie habe sich vieles verändert. "Die Menschen sind unsicher und meiden Großveranstaltungen", sagt Löbel. Deshalb sei die Entscheidung, die WM nicht zu übertragen, eine weniger politisch motivierte. Jedoch - und so viel müsse gesagt werden - handele es sich bei der WM in Katar um eine "idiotische Veranstaltung", so Löbel. Und auch seitens der Gäste sei das Interesse an der Veranstaltung gering. Die Wirtin hat die Diskussionen rund um die Weltmeisterschaft am Stammtisch mitbekommen. "Da herrschte großes Unverständnis", sagt sie. Früher, vor Corona, dem Ukraine-Krieg und der fragwürdigen Entscheidung, die WM nach Katar zu verlegen, habe man die Welt- und auch Europameisterschaften immer gern übertragen. "Von der WM 2006 zehren wir noch heute", sagt Löbel. Da habe man auch die Kosten für die Lizenz zur Übertragung gerne auf sich genommen. Aber in diesem Jahr, in dem sowieso schon alles so teuer sei, müsse man eben auch darüber nachdenken, ob man sich die Gebühren als Wirtshaus überhaupt leisten wolle. "Wir sind zufrieden - auch ohne WM", sagt Löbel zusammenfassend.

Über die Kosten der Übertragung macht sich auch Jan Ostmann vom Jugendzentrum Blues in Markt Schwaben Gedanken. Schließlich sei eine Übertragung der WM nicht gerade günstig. Ob man im Jugendzentrum die Winter-WM in Katar unterstützen will, ist für Ostermann vorerst fraglich. Dabei sind es nicht nur die Kosten, die ihm zu denken geben - auch die Vorwürfe gegen das Gastgeberland wögen schwer.

"Politik ist Politik. Sport ist Sport. Sonst könnte man gar nichts mehr übertragen"

Dass man die Spiele aus politisch motivierten Gründen boykottieren sollte, kann Georg Riedhofer, Betreiber der Sportgaststätte "Anstoß" in Oberpframmern, nicht ganz nachvollziehen. "Politik ist Politik. Sport ist Sport. Sonst könnte man gar nichts mehr übertragen", sagt Riedhofer. Im "Anstoß" werden voraussichtlich alle Spiele der WM gezeigt, schließlich befindet man sich direkt am Sportplatz. "Wenn die Fußballer vom Training zu uns kommen, dann schalten wir den Fernseher für alle Spiele an." Sollten jedoch Weihnachtsfeiern stattfinden, hätten diese Vorrang, so der Wirt.

Stimmt. Da ist ja noch die Sache mit Weihnachten. Natürlich stellt sich bei vielen Fußballbegeisterten nun auch die Frage, ob es ein Public Viewing zwischen Glühwein- und Bratwustständen geben wird? Auf dem Grafinger Christkindlmarkt aller Voraussicht nach nicht, sagt Ludwig Bitto vom Werbering, dem Veranstalter. Schließlich sei man da auf einem Weihnachtsmarkt. Wer Fußballspiele schauen wolle, könne dies ja dort machen, wo sie übertragen würden.

Public Viewing auf dem Christkindlmarkt?

Trotzdem könnte es sein, dass die Gäste des Grafinger Christkindlmarktes die Weltmeisterschaft verfolgen können, wenn auch nicht als Großevent auf Leinwand. Denn beim TSV kam laut Schatzmeisterin Alexandra Daser während der Planungen die Idee auf, die Fußballspiele zumindest in der vereinseigenen Glühweinhütte zu übertragen. Aktuell warte man jedoch noch auf die Genehmigung durch die Stadt Grafing, diese Hütte überhaupt aufbauen zu dürfen, sagt Daser. Danach könne man weiter überlegen, ob und wie man die Spiele am Stand überträgt. Natürlich habe man sich mit den Vorwürfen gegenüber dem Gastgeberland auseinandergesetzt - "aber in unserer Glühweinhütte sind meistens Fußballer - und die wollen eben gerne Fußball schauen", sagt Daser.

Ob es sich bei der Fußballweltmeisterschaft 2022 im Wüstenemirat Katar wirklich um eine rein sportliche Veranstaltung handeln kann, bei der Fußball eben Fußball und Politik, Politik ist - daran scheiden sich jedenfalls die Geister. Erst kürzlich haben Fußballfans in Berlin bei einem Bundesligaspiel zum Boykott des Turnieres aufgerufen. "15 000 Tote für 5760 Minuten Fußball! Schämt euch", hatten sie auf ein Plakat geschrieben.

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