SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 39:Nur eine warme Leiche ist eine gute Leiche

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Wenn ein naher Angehöriger stirbt, sei es besser, ihn ein letztes Mal im Krankenhaus zu sehen als beim Bestatter, sagt Pola Gülberg. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Im Krankenhaus ist es leichter, sich zu verabschieden, weil bestimmte Schritte noch nicht eingeleitet wurden. Intensivfachpflegerin Pola Gülberg berichtet.

Protokoll von Johanna Feckl, Ebersberg

Meine Großmutter war eine Frau, die immer sehr viel Wert auf ihr Äußeres legte. Unangemeldeten Besuch empfangen? Für meine Oma ein Tabu. Sie wollte nur gesehen werden, wenn sie so hergerichtet war, wie es in ihren Augen beim Empfangen von Gästen angebracht war. Vor einigen Jahren ist sie gestorben, in einem Krankenhaus. Als ich in ihrem Patientenzimmer eintraf, dachte ich, mich trifft ein Schlag. Nicht, weil sie tot war, darauf war ich gefasst. Es ging darum, wie sie tot war: Sie lag so in ihrem Bett, wie sie bei ihrem letzten Atemzug ausgesehen hatte, mit halbgeöffneten Augen, offenem Mund, die Haare zerzaust.

Es ist wichtig für Angehörige, die Chance zu bekommen, sich von ihren gestorbenen Liebsten in der Klinik zu verabschieden. Später, beim Bestatter, ist der Verstorbene einbalsamiert - der Körper ist steif, die Haut fühlt sich nicht mehr nach Haut an, weil sie hart und kalt ist. Es kommt einem so vor, als ob der Körper nicht mehr zu der Person gehört, die man kannte und liebte. Die Menschlichkeit ist verschwunden.

Im Krankenhaus hingegen sind all diese Schritte noch nicht passiert. Es ist dann leichter, sich zu verabschieden, es ist realer - ich habe das schon oft erlebt. Denn der tote Mensch vor einem gleicht nicht einer Wachsfigur. Nur eine warme Leiche ist eine gute Leiche.

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Interview: Johanna Feckl

Idealerweise, davon bin ich überzeugt, begleiten die nächsten Angehörigen auch den Sterbeprozess - gerade jetzt, zu Corona-Zeiten. Noch immer gilt Besuchsverbot bei uns in der Klinik, allerdings gibt es Ausnahmen: Angehörige dürfen kommen, wenn sich der Gesundheitszustand des Patienten drastisch verschlechtert und wir mit dem Tod rechnen müssen. Bis dahin haben die Angehörigen jedoch nur über die telefonische Auskunft des Arztes mitbekommen, wie es um den Patienten bestellt ist. Deshalb ist es umso wichtiger, den Sterbenden in seinen letzten Stunden zu sehen, diesen Prozess visualisieren zu können. Ansonsten ist es schwierig, die Situation zu realisieren - zu verstehen, dass der Ehemann oder die Mutter bei der letzten Begegnung noch zu Hause kaffeetrinkend am Küchentisch saß und nun tot in einem Krankenhausbett liegt.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Sterbende auf ihrem letzten Weg zu begleiten ist etwas Ehrenvolles, denn nicht jeder hat die Möglichkeit dazu - das erklären wir den betroffenen Angehörigen oft. Den toten Körper bahren wir sauber auf, als ob der Verstorbene friedlich gegangen wäre. Bei uns auf der Intensivstation achten wir Pflegekräfte sehr darauf.

In der Klinik, in der meine Großmutter gestorben ist, war das zumindest bei ihr nicht der Fall. Sie hatte sich zuvor gequält, das war nicht schön mit anzusehen. So wollte ich sie nicht in Erinnerung behalten - sie hätte das auch nicht gewollt, niemand möchte so im Gedächtnis bleiben. Aber sie lag in ihrem Bett auf eine Weise, die genau das aussagte. Deshalb habe ich sie ordentlich zurechtgemacht - für unseren allerletzten Blick auf sie. Das hat uns allen im Trauerprozess sehr geholfen.

Beide Punkte, das Begleiten des Sterbeprozesses und das sorgsame Aufbahren, bedeuten für mich würdevolles Sterben - denn, ja, so etwas gibt es.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 37-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte finden Sie unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station .

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