Aras Khalaf öffnet die Tür und führt über eine Holztreppe hinauf zu seinem Zimmer. Der 34-Jährige erzählt, dass er sich den Raum mit zwei Mitbewohnern teile. Ein weiterer Syrer und ein Mann aus dem Irak. "Klappt ziemlich gut", sagt er. Die Wand des Raumes ist mit einer himmelblauen Sternentapete beklebt, es könnte mal ein sehr geräumiges Kinderzimmer gewesen sein. Ansonsten erinnert im Haus wenig daran, dass dieses Gebäude mal einen herrschaftlichen Charakter hatte: drei Stellbetten, drei Metallspinde ein Tisch und ein Beistelltisch. Viel einfacher lässt sich ein Schlafraum kaum möbilieren.
Nachmittag in einer Asylunterkunft in Ebersberg, die vor einem Jahr bundesweit Prominenz ereilte. Die AfD hatte in einem Artikel auf der parteieigenen Webseite des Bundesverbands ihren Anteil. "Flüchtlinge beziehen Villa in Millionärs-Viertel" lautete der Titel der Publikation. Weiter stellte der Autor des Textes die Frage: "Ist das gerecht?"
Zwölf Monate sind seither vergangen, an diesem Nachmittag Ende Oktober nieselt es in Ebersberg. Aras Khalaf sitzt in seinem Zimmer im Trockenen und erzählt von seiner Flucht und seinem neuen Leben mit Mitbewohnern aus fünf Ländern. "Solaiman war in Afghanistan Bauer", sagt er. Vor der Haustür haben sie im Sommer Tomaten und Zwiebeln angebaut. "Leider ist nicht viel draus geworden", sagt Khalaf. Das deutsche Klima ist bisweilen rau.
Die Villa, die die AfD in ihrem Artikel abgebildet hat, steht in San Antonio und wird als Museum genutzt
Die AfD hatte ihren Artikel mit dem Foto einer Prunkvilla versehen. Es handelte sich um das Abbild eines Gebäudes aus Texas. Die Villa steht im Original in San Antonio und wird als historisches Museum genutzt. Laut Webseite des Betreibers wurde das Gebäude 1876 in italienischem Stil erbaut, also knapp 100 Jahre vor dem Ebersberger Wohnhaus, welches das Landratsamt als Mietunterkunft vom Eigentümer bis vorerst Ende 2023 angemietet hat.
Aras Khalaf führt um das Haus, ehe es durch die Terrassentür hinein geht. Der Putz blättert von den Wänden, wo nicht wenige Risse zu erkennen sind. Von Tür- und Fensterrahmen fällt stellenweise die Farbe ab, die meisten Räume sind so gut wie leer. Der riesige Gartenbereich steht den Bewohnern nicht zur Verfügung. Er sieht so aus, als sei er länger nicht mehr begangen oder geschnitten worden. Von weitem mag das Gebäude einen villenartigen Anschein haben. Aus der Nähe wirkt es eher wie ein Haus, wo drinnen wie draußen eine Generalsanierung dienlich sein könnte.
Khalaf sitzt jetzt an der Holztischgarnitur auf der Terrasse. "Das Haus ist gut", sagt der 34-Jährige. "Ebersberg ist gut." Zehn Namen stehen auf dem Briefkastenschild, die anderen sind alle noch unterwegs. "Schule, Integrationsklasse oder Arbeit", sagt Khalaf. Wie gut hat die WG sich hier eingefunden, im von der AfD genannten Ebersberger "Millionärsviertel"?
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Von der Asylbewerberunterkunft geht es zum Nachbarhaus wo Angela und Matthias Michael die Tür öffnen. Einige der Bewohner von gegenüber hätten sie kennen gelernt, sagt Angela Michael. "Alle nett." Ihr Mann ist Geigenbaumeister. Er erzählt, dass demnächst ein gemeinsames Abendessen mit den Nachbarn der Unterkunft geplant sei. Wer kocht? "Wir kochen gemeinsam", sagt Angela Michael.
Wohnst du noch oder residierst du schon? Die Darstellung der AfD von vor einem Jahr ließ darauf schließen, dass der Verfasser beim Wohnen für Flüchtlinge niedrigere Maßstäbe ansetzt als für Einheimische. AfD-Politiker Jörg Meuthen hatte sich persönlich zum Thema geäußert. In einem Facebook-Post sprach auch er von einer "Millionärsvilla" im "Millionärsviertel". Das CSU-regierte Land Bayern sende ein falsches Signal an Geflüchtete, so Meuthen: "Die Deutschen erwarten uns und überschütten uns mit Reichtum, ohne dass wir dafür auch nur einen Finger krumm machen müssen."
Wie intensiv wurden die Männer in der Ebersberger Unterkunft von Deutschen mit Reichtümern überschüttet? Nachfrage bei Bettina Friedrichs und Jutta Grünthaler, die gerade über die Türschwelle der einstigen Villa treten. Beide sind beim örtlichen Helferkreis tätig und kommen regelmäßig vorbei, um nachzusehen. "Die meisten sind den ganzen Tag bei der Arbeit", sagt Friedrichs. Ihren Schilderungen zufolge ist kaum davon auszugehen, dass Meuthens Einschätzung restlos zutrifft.
Der Ebersberger Bürgermeister Ulrich Proske (parteilos) kam seinerzeit zu der Einschätzung, dass in der Stadt Ebersberg de facto "kein Millionärsviertel" existiere. Ob es nun einst eine Villa war oder immer noch eine ist? Jedenfalls steht den Menschen eine einigermaßen ordentliche Notunterkunft zur Verfügung. Es gibt genügend Beispiele, wo es anders lief und läuft. Die Zustände in Bayerns Asylheimen variieren, im Kirchseeoner Ortsteil Eglharting etwa teilen sich bis zu 14 Männer seit mehreren Jahren ein enges Haus mit Schäden. Vom Bayerischen Flüchtlingsrat wurden die Zustände in vielen bayerischen Unterkünften immer wieder moniert.
Aras Khalaf hat bei diesem Thema ein Lächeln auf dem Gesicht. Villa, Millionäre, Luxus. Die Probleme, die er hat, sind anderer Natur. Seine Frau und seine beiden Kinder, neun und drei, musste er in al-Malikiya in Syrien zurücklassen, erzählt Khalaf. "Ich warte darauf, dass sie nachkommen dürfen." Er sei bei all dem dankbar, ein Dach über dem Kopf zu haben. Ob Villa oder Reihenhaus, sei unerheblich, solange es trocken ist. Die Villa auf dem AfD-Foto, sagt Araf Khalaf, die habe er nicht gekannt. Weil in San Antonio, Texas, da war er noch nie.
Angebote für Gebäude als Asylunterkünfte per E-Mail an marion.wolinski@lra-ebe.de