Corona-Krise:Servus, Freiheit!

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Die Zahl der Coronavirus-Infektionen in München steigt in nur 24 Stunden um 202. Auf die neuen Ausgangsbeschränkungen reagieren Behörden und sogar Wirte erleichtert - und hoffen darauf, dass das Leben bald wieder weitergehen kann.

Von Thomas Anlauf, Heiner Effern, Julian Hans, Ekaterina Kel, Franz Kotteder und Andreas Schubert, München

Vor dem Andechser am Dom sitzen am Freitag um 14 Uhr noch genau 18 Menschen. Ein Kellner zählt die letzten Gäste, bevor das Lokal nun bald zusperren muss, für mindestens zwei Wochen. Schlag Mitternacht treten die neuen Ausgangsbeschränkungen in Kraft, die Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mittags verkündet hat. Die bayerische Regierung verschärft ihr Vorgehen gegen das Coronavirus - und gegen jene, die Söder "die Unvernünftigen" nennt.

Allein in München sind es am Freitag schon wieder 202 Infizierte mehr, in nur 24 Stunden. Insgesamt 878 Menschen in der Stadt haben sich mit dem Virus angesteckt. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) verkündet die Zahl in einer Video-Pressekonferenz, um die Bürger auf das vorzubereiten, was nun kommt: Das öffentliche Leben in München wird wie überall in Bayern noch deutlich heftiger einschränkt als bisher. "Drastische Schritte" seien nötig, um die ungebremste Verbreitung des Virus einzudämmen, sagt Reiter.

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Viele Münchner hielten sich zwar jetzt schon daran, den Kontakt mit anderen Menschen zu minimieren. "Für die ändert sich wenig." Doch viel zu viele haben nach Ansicht der Behörden den Ernst der Lage nicht verstanden. Zu diesen Menschen spricht Reiter nun Klartext: "Partys an der Isar, im Englischen Garten oder in den anderen Parks und Grünanlagen sind verboten. Spielplätze oder Sportanlagen bleiben geschlossen und auch Grillen im Innenhof oder mit Freunden ist untersagt."

Dass die Bürger ihre Wohnungen jetzt nur noch verlassen dürfen, wenn triftige Gründe vorliegen, könnte der Polizei die Durchsetzung der Regeln erleichtern. Leute, die nur irgendwo zusammensitzen, üben damit offensichtlich weder ihren Beruf aus, noch machen sie lebensnotwendige Besorgungen. Bei ihren Kontrollen, die die Polizei bereits in den vergangenen Tagen durchgeführt hat, kam es immer wieder zu Problemen. Zum Beispiel am Donnerstagabend: Eine Gruppe junger Männer saß unter der Thalkirchner Brücke, hörte Musik und trank Alkohol. Als Polizisten sie darauf ansprachen, hustete und spukte ein 22-Jähriger Münchner in ihre Richtung und behauptete, er sei infiziert. Er wurde festgenommen.

Nach den neuen Regeln hätte diese Gruppe gar nicht zusammensitzen dürfen: Bisher wurden Gruppen von bis zu fünf Personen toleriert. Nun darf man nur noch allein unterwegs sein, mit Familienmitgliedern oder Personen, mit denen man in einem Haushalt lebt. Die Polizei kontrolliert auch die Schließung von gastronomischen Betrieben: Seit Dienstag, als die erste Allgemeinverfügung in Kraft trat, stellte sie mehr als 500 Verstöße fest.

Keine Besuche mehr in Kliniken, Alten- und Pflegeheimen, außer es liegt ein Angehöriger im Sterben oder eine Ehefrau oder Partnerin in den Wehen: Die schon bisher strengen Regeln werden noch strenger. Auch Baumärkte und Friseure müssen nun schließen, sagt Johannes Mayer, der Sprecher des Kreisverwaltungsreferats. Wer beim KVR jetzt noch eine Veranstaltung anmelden wolle, werde über die Situation "schnell aufgeklärt", sagt er.

Fahrten zum Arbeitsplatz bleiben ausdrücklich erlaubt. Die Münchner Verkehrsgesellschaft will sogar wieder mehr U-Bahnen einsetzen. Weil sie unter anderem auf der Linie U 3 in der Hauptverkehrszeit Verstärkerzüge gestrichen hatte, gab es viele Beschwerden. Von Montag an sollen wieder ein paar U-Bahnen mehr fahren, um das Fahrgastaufkommen zu entzerren. Auch die S-Bahn wird "ein Grundangebot mit ausreichenden Platzkapazitäten" zur Verfügung stellen. Es gelte allerdings, "dass jeder, der keinen wichtigen Grund für eine Zugfahrt hat, davon absehen soll", stellte die bayerische Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) klar.

"Bis bald, bleibt's gesund", sagt im Andechser am Dom ein braungebrannter Stammkunde

Die medizinische Versorgung soll in dieser Notlage weiter möglich sein. Den Gang zur Apotheke würden sich zur Zeit allerdings viele sparen, wie Marcel Becker, Geschäftsführer der Centralapotheke in den Stachus-Passagen, berichtet. Die Nachfrage nach Botendiensten sei enorm gestiegen, um etwa 200 bis 300 Prozent. "Das wird sich mit Sicherheit noch mal verstärken", so Becker.

Für seine Mitarbeiter vor Ort habe er bereits Mitarbeiterausweise erstellt, als Vorkehrung für eine schärfere Ausgangsbeschränkung. Zudem habe er bereits vor einigen Wochen das Team so aufgeteilt, dass zur Not ein Wechselsystem möglich sei - etwa, wenn sich Mitarbeiter im Verkauf mit Covid-19 anstecken würden und eine virusfreie Belegschaft sonst nicht garantiert werden könnte.

Zum Schutz vor den Coronaviren hat Becker Plexiglasscheiben vor den Verkaufstresen installieren lassen - eine Vorsichtsmaßnahme, die auch an Supermarktkassen und Pforten von Unternehmen zu beobachten ist. Marcel Becker hat die Mitarbeiter seiner Apotheke darüber hinaus angewiesen, stets mit Maske und Handschuhen vor die Kunden treten.

"Bis bald, bleibt's gesund", sagt im Andechser am Dom ein braungebrannter Stammkunde beim Gehen. Die Tische, sonst dicht gedrängt vor dem Portal zur Frauenkirche, stehen bereits seit Tagen weit auseinander. Bei den Wirten, die nun komplett schließen müssen, bis die Gefahr vorüber ist, ist das Verständnis groß. "Nur mittags auf, das hatte keinen Sinn", sagt Pietro Lamanna vom Bistro Giovannotti unweit des Kreisverwaltungsreferats. Es sei ja vermutlich nicht so, "dass das Virus bis 15 Uhr schläft und danach dann aufwacht und plötzlich aggressiv wird".

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Auch Bau- und Gartenmärkte müssen jetzt geschlossen bleiben. Am Freitag werden sie deshalb noch einmal gestürmt.

Er hofft, dass es bald weitergehen kann. "Wir kommen zurück", das sagt auch sein Kollege Christian Scarafilo vom Ristorante Il Ritrovo an der Lindwurmstraße. Auch er hatte am Freitag zum vorerst letzten Mal mittags auf und war eigentlich nicht schlecht besucht. "Es ist aber richtig, ganz zu schließen", sagt Scarafilo,"wegen der Mitarbeiter, aber auch wegen der Gäste."

Hans Stadtmüller, der Wiesnwirt von der Fischer Vroni, hat mit seiner Familie ein paar Wirtshäuser in der Stadt, vom Jagdschlössl am Rotkreuzplatz über das Lindwurmstüberl im Zentrum bis zum Schweizer Hof in Pasing. "Wir stellen halt jetzt auf To-go um", sagt er, das ist noch erlaubt, "und machen Kurzarbeit. Das wird ein bissl dauern, bis es sich eingespielt hat."

Der Münchner Kreisverband des Hotel- und Gaststättenverbands hat sich unterdessen mit einem Brandbrief an Oberbürgermeister Reiter und den Stadtrat gewandt. Die 5000 Betriebe des Münchner Gastgewerbes steckten in größten Schwierigkeiten, heißt es darin. Der Vorstand unter seinem Vorsitzenden Christian Schottenhamel bittet um schnelle Hilfen, etwa einen Erlass oder die Reduzierung von Energie- und Wasserkosten durch die Stadtwerke oder eine Stundung von Pachten bei städtischen Gebäuden.

Ob das Oktoberfest in diesem Jahr stattfinden kann, ist noch nicht entschieden. "Das werden wir spätestens im Juni wissen", sagt Reiter. Das ist klar, denn der Aufbau auf der Theresienwiese beginnt bereits in den ersten Juli-Tagen. Fest steht, dass das Frühlingsfest nicht wie geplant am 24. April beginnen wird, wie Oberbürgermeister Reiter mitteilte. Momentan denke man über eine Verschiebung nach. Was nicht unbedingt leicht sein dürfte, denn die Fahrgeschäfte und Schausteller sind ja in ganz Deutschland und im Ausland unterwegs. Der Veranstalter, die Münchner Schaustellervereinigung, war am Freitag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

© SZ vom 21.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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