Für die meisten war der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger bisher ein eher harmloser Folklore-Politiker. Er spricht ein eigenwilliges Idiom, vertritt immer wieder seltsame Ansichten, bei denen einem schon mal die Spucke wegbleiben kann, und kann rein bonmotmäßig locker mit Edmund Stoibers berühmter Transrapid-Rede mithalten.
Aber seitdem Aiwanger den populistischen Nutzen seiner Rolle als Impfskeptiker erkannt hat, um damit seine Freien Wähler in den Bundestag zu hieven, lässt sich der Mann nicht mehr als irgendwie skurriles Original abtun. Sein Koalitionspartner Markus Söder, der sich tierisch über Aiwanger ärgert, rückt ihn ungeniert in die Nähe der Querdenker, kann aber die Frage nicht beantworten, warum er ihn dann nicht einfach rausschmeißt.
SZ-Podcast "Auf den Punkt":Hubert Aiwanger: Popstar der Impfskeptiker
In Bayern spitzt sich derzeit ein Streit zwischen Hubert Aiwanger und Markus Söder zu. Könnte die Koalition noch im Bundestagswahlkampf brechen?
In der Talkrunde "Maischberger. Die Woche", bei der drei als eine Art Juroren fungierende Gesprächspartner die aktuellen politischen Ereignisse bewerten, wird Aiwanger als Verlierer der Woche präsentiert. "Er fischt in trüben Gewässern von Querdenkern und ähnlichen Leuten", begründet die Schriftstellerin Amelie Fried ihr Votum. Aiwanger sitzt bei dieser Schelte nicht im Studio, sondern wird kurz darauf zugeschaltet und findet den Querdenker-Vorwurf "völlig daneben".
Was Aiwanger dann in den folgenden Minuten, heftig bedrängt von der Moderatorin Sandra Maischberger, aufführt, ist ein wilder politischer Slalom. Einerseits betont er treuherzig, dass die Corona-Impfungen "im Gesamten sicherlich sinnvoll" seien. Anderseits will er aber partout nicht begründen, warum er sich dann selbst nicht impfen lässt. Alles, was er dazu sage, würde dann ja sofort zerlegt werden "und gegen mich verwendet".
Aiwanger wird seine Strategie bis zur Bundestagswahl nicht aufgeben
Er nehme eben sein Grundrecht wahr, über seinen Körper selbst zu entscheiden und man solle doch den Leuten Zeit lassen, sich erst mal in Ruhe über das Impfen zu informieren. Gut möglich, dass Hubert Aiwanger bei manchen Dingen eben etwas länger braucht, um sie zu begreifen. Aber dass es in Sachen Corona ein Informationsdefizit gibt, wird man nicht behaupten können.
Die geballte Kritik aus der CSU an seinem Impfkurs kontert Aiwanger mit dem Hinweis, dass er schließlich nicht immer der gleichen Meinung wie der Koalitionspartner sein müsse. Auch als Maischberger es auf die sanfte Tour versucht und wissen will, ob Aiwanger sich impfen lasse werde, wenn man nicht dauernd öffentlich darüber rede, lässt der alles in der Schwebe. Er habe die Impfung "für mich nicht ausgeschlossen". Aiwanger, das macht sein Eiertanz deutlich, wird seine Strategie der kalkulierten Zweideutigkeit bis zur Bundestagswahl nicht aufgeben. Warum auch, wird er sich denken, wenn man damit zu Talksendungen eingeladen wird.
Ein anderer wird regelmäßig zu Talksendungen eingeladen, aber es ist zweifelhaft, ob sich Robert Habeck darüber im Moment wirklich freut. Denn der Co-Chef der Grünen wird unweigerlich mit der Frage konfrontiert, ob die Grünen nicht besser dastünden, wenn er anstelle von Annalena Baerbock Kanzlerkandidat geworden wäre. Maischberger geht es ganz direkt an: "Glauben Sie, Sie hätten es besser gekonnt?" Habeck windet sich. Er und Baerbock seien ganz unterschiedliche Typen. Insofern hätte er vermutlich seine eigenen Fehler gemacht.
Ob denn das Thema von Parteifreunden unter vier Augen angesprochen werde. "Ach, man redet immer über verschiedene Dinge", sagt Habeck. Aber eine Debatte darüber, die Entscheidung zu revidieren, die gebe es nicht. In dieser Woche hat Habeck gemeinsam mit Baerbock das Sofortprogramm der Grünen zum Klimaschutz vorgestellt, in einem Naturpark nordöstlich von Berlin. Wenn die Kamera während Baerbocks Rede zu ihm herüberschwenkte, wirkte Habeck so, als sei er mit seinen Gedanken ganz weit weg. Im Portugiesischen gibt es für diese Art der Melancholie das schöne unübersetzbare Wort: Saudade.