Man fragt sich, wie je das Gerücht aufkommen konnte, Grüne und CSU könnten in Bayern eine Koalition eingehen. Das würde zum Beispiel bedeuten, dass Alexander Dobrindt und Robert Habeck miteinander eine Art Frieden, oder zumindest ein Stillhalteabkommen verabreden müssten. Wer die beiden am Donnerstagabend in der politischen Gesprächsrunde bei Maybrit Illner im ZDF gesehen hat, kann das nur für absurd halten.
Der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag und der Parteivorsitzende der Grünen saßen auch noch nebeneinander, wobei es erstaunlich war zu sehen, wie ihre gegenseitige Abneigung sogleich sichtbar wurde. Sprach Dobrindt, blickte Habeck nach unten und grinste in sein Wasserglas. Sprach Habeck, blickte Dobrindt in eine nicht vorhandene Ferne und grinste ebenfalls. Das jeweilige Grinsen war Ausdruck eines Überlegenheitsgefühls. Nach dem Motto: Rede du nur, hast eh keine Ahnung.
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Nach der neuesten Umfrage werden die Bündnisoptionen eher mehr als weniger. Sogar ein grüner Ministerpräsident wäre möglich.
Doch das Grinsen verging ihnen bald, denn das ablehnende schwarz-grüne Nebeneinander gipfelte während der Sendung in einen "Skandal". Zumindest für Robert Habeck. Denn Dobrindt hatte erklärt, dass in Bayern am Sonntag etwa 65 Prozent der Menschen das bürgerliche Lager gewählt haben. Hoppla, dachte sich Habeck, da rechne ich mal nach: CSU, Freie Wähler und FDP kommen zusammen nur auf 55 Prozent. Kann der Dobrindt ja nur die AfD dazugerechnet haben. Die AfD eine bürgerliche Partei? Jetzt war was los bei Frau Illner am Tisch.
Während der eine sprach, redete der andere nun auch. Gleichzeitig. "Sie können doch nicht sagen: CSU, FDP und AfD - das ist ein politisches Lager. Das geht doch nicht. Damit brechen Sie einen Damm", schimpfte der Grüne. "Sie müssen einen Unterschied machen zwischen der Partei AfD und den Wählern. Wir wollen nicht die Wähler beschimpfen", erklärte der CSUler.
Hier saßen zwei Pole, wenn es um den Umgang mit den Rechtspopulisten geht. Habeck als Repräsentant derer, die gegen die AfD wie auch gegen deren Wähler einen harten Konfrontationskurs fahren. Als Kosmopolit gegen die Nationalisten. Dobrindt als Vertreter der Seite, die die AfD zwar bekämpfen will, aber vor allem deshalb, um deren Wähler für sich zu gewinnen. Weshalb sie sich immer wieder AfD-Positionen annähert. Was wiederum Habeck zur Weißglut treibt.
Der Grüne sieht darin auch ein Dilemma für die große Koalition in Berlin. Seit einem Dreivierteljahr gehe es so: "Viktor Orbán ist unser Freund. Sebastian Kurz, der mit der FPÖ koaliert, ist unser Vorbild" - so werde die Koalition in Berlin nie zur Ruhe kommen. Der Ungar Orbán wirbt offen für eine illiberale Demokratie, greift in seinem Land immer härter in Grundrechte ein, für die die Europäische Union steht. Seit Montag zum Beispiel ist es in Ungarn gesetzlich verboten, auf der Straße zu leben. Die ersten Obdachlosen wurden bereits vor Gericht gezerrt. Wer sich für Flüchtlinge engagiert, bekommt ebenfalls Ärger mit der Polizei.
Laschet: "Die konservative Revolution ist abgesagt"
Doch Dobrindt blieb dabei, wie immer. Auch als Armin Laschet, stellvertretender Bundesvorsitzender der Schwesterpartei CDU, einwandte: "Die konservative Revolution ist abgesagt." Eine direkte Ansage an Dobrindt, der den Begriff verwendet. Hinter der "konservativen Revolution" steht ziemlich rechtslastiges Gedankengut aus der Weimarer Republik - getragen von der Verachtung einer pluralen Demokratie.
Habeck forderte noch eine Klarstellung von Dobrindt: "CSU und AfD - gibt es eine Trennwand oder nicht?" Dobrindt antwortete, als gäbe es keine selbstverständlichere Sicht auf die Dinge: zwischen den Parteien schon. Aber nicht unbedingt zwischen den Wählern.
Die Sticheleien zwischen Habeck und Dobrindt gehörten zu den Höhepunkten der Sendung. Eigentlich sollte es ja darum gehen, ob nach der Landtagswahl in Hessen die große Koalition zerbrechen wird. Ob vielleicht sogar Kanzlerin Angela Merkel stürzt. Schließlich sagen die aktuellen Umfragen sowohl CDU als auch SPD wieder herbe Verluste voraus. Maybrit Illner verwendete dazu anfangs ein leicht verstörendes Bild: "Merkel und ihre Minister: Sie wirken wie Cowboys, denen man das Pferd unter dem Sattel weggeschossen hat und die dennoch noch weiterreiten wollen."
Wie nicht anders zu erwarten, finden Dobrindt, Laschet und SPD-Finanzminister Olaf Scholz, dass ihre Pferde noch recht munter sind. Habeck macht sich keine Illusionen, was Merkels Zukunft angeht. "Dass Frau Merkel fertig ist und zurücktreten muss, das höre ich seit 2013 und sie ist immer noch da. Und viele Leute sind weg, die das gefordert haben."
Claudia Kade, Politik-Chefin der Zeitung Die Welt, ist dagegen bereits neugierig, welchen Kurs die CDU in der Nach-Merkel-Zeit einschlägt. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, hält die Debatte offenbar für fehlgeleitet: "Die Parteien kreisen zu sehr um sich selbst. Sie sollen sich mehr um das kümmern, was die Leute umtreibt." Was man halt so sagt.
Olaf Scholz ist anscheinend nicht an einem vorzeitigen Ende der großen Koalition interessiert. Der Zustand seiner Partei ist dramatisch. Doch Scholz erklärt stoisch und in der immer gleichen hanseatischen Tonalität, dass man nun einfach gut arbeiten müsse. Und dann könnte noch einmal alles gut werden. Oder wenigstens besser. Ob er selbst noch dran glaubt, war nicht auszumachen.
Habeck indessen hatte noch einen für seinen Nachbarn Alexander Dobrindt. Der hatte davon gesprochen, dass das "linke Lager" in Bayern eher verloren habe. Woraufhin Habeck ihm erklärte, dass es ein linkes Lager schon seit Gerhard Schröder nicht mehr gebe. Dieses alte Lagerdenken simuliere einen gesellschaftlichen Konflikt, der rein wahltaktisch zu verstehen sei. Habeck schloss: "Das als Hilfestellung für Herrn Dobrindt, damit Sie auch erkennen, was gerade passiert in der Gesellschaft." Der saß daneben, blickte in die Ferne und grinste.