Wahlberichterstattung:In der Komfortzone

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Zu komfortabel für die AfD? Tina Hassel (Mitte) schrieb auf SZ-Anfrage, AfD-Geschäftsführer Bernd Baumann habe das bekannte Opfernarrativ der AfD bemüht. (Foto: Annette Riedl/dpa)
  • Die AfD hat in den vergangenen sechs Jahren das Bild einer angeblichen Lügen- und Systempresse beschworen.
  • Nach einem für die AfD sehr gemütlichen Wahlabend in der Berichterstattung der ARD stellt sich die Frage: Kostet das Wissen um diese Vorwürfe Journalisten die nötige Distanz? Oder müssen sie schlicht besser gerüstet sein?

Von Elisa Britzelmeier und Laura Hertreiter

Interviews mit Vertretern der AfD zu führen kann bisweilen so undankbar sein, wie einem Veganer ein Stück Rinderlende zu verkaufen. Mal davon abgesehen, dass aus der Partei Forderungen nach der Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Schmähungen der Medien im Allgemeinen kommen, beschwört man gern die eigene mediale Benachteiligung. Man finde weniger Berücksichtigung und werde schlechter behandelt als andere Parteien. Es war also klar, dass der Wahlabend am Sonntag kein Spaziergang werden würde. Was nicht klar war: Dass es ein solcher Spaziergang für die AfD werden würde.

Da wäre zum Beispiel MDR-Moderatorin Wiebke Binder. Nachdem sie dem AfD-Kandidaten Jörg Urban versichert hatte, es sei auch "Positives" über die Partei berichtet worden, sagte sie zum sächsischen CDU-Politiker Marco Wanderwitz nach der ersten Prognose: "Eine stabile Zweierkoalition, eine bürgerliche, wäre ja theoretisch mit der AfD möglich." Und hat damit die Selbstdarstellung von Bürgerlichkeit übernommen, Punkt für die Rechtspopulisten.

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Die Wahlergebnisse in Sachsen und Brandenburg werden in vielen Medien als Ausdruck einer neuen politischen Instabilität gesehen - und zugleich eher als Herausforderung denn als Katastrophe gewertet.

Es ist dann Wanderwitz, der klarstellt: "Die AfD ist keine bürgerliche Partei."

Am gleichen Abend konnte es sich Bernd Baumann, parlamentarischer AfD-Geschäftsführer, in der Berliner Runde gemütlich machen. Er beklagte, man dürfe Probleme nicht mehr offen ansprechen. Das raunt man bei der AfD ja gerne mal. Welche Probleme eigentlich?, fragt sich womöglich der Zuschauer. Anders als die Moderatorin. Tina Hassel versicherte stattdessen: "Herr Baumann, Sie dürfen das ansprechen, alle anderen von der AfD in unseren Wahlsendungen auch."

Was war da los?

Im Kleinen ist diese Frage schnell beantwortet. "Herr Baumann hatte das bekannte Opfernarrativ der AfD bemüht", schreibt Tina Hassel am Montag auf SZ-Anfrage. Dem habe sie widersprochen. "Dies war keine Einladung, sondern die Klarstellung, dass AfD-Politiker nicht diskriminiert werden." Und was Wiebke Binder angeht, schreibt der MDR-Chefredakteur Torsten Peuker: "Hier handelte es sich klar um einen Versprecher, für den wir uns entschuldigen", und alle Beteiligten an Live-Sendungen wie dieser stünden "unter erheblichem Stress".

Müssen Journalisten schlicht besser gerüstet sein?

Im Großen aber ist die Antwort schwieriger. Die Partei hat in den vergangenen sechs Jahren das Bild einer angeblichen Lügen- und Systempresse beschworen, auch in der Berichterstattung am Wahlabend beschwert sich Parteichef Alexander Gauland bei Anne Will, "die Medien" stellten seine Partei "ununterbrochen" falsch dar.

Angesichts der öffentlich-rechtlichen Wahlberichterstattung stellt sich nun die Frage: Kann es sein, dass genau das Wissen um diese Vorwürfe der nötigen Distanz schadet? Dass Journalisten sich deshalb nicht angreifbar machen wollen? Oder müssen sie schlicht besser gerüstet sein?

Denn obwohl die Kommunikationsstrategie der AfD inzwischen hinreichend sichtbar geworden ist, obwohl immer wieder Aussagen verdreht und die eigene Opferrolle beklagt wurden, obwohl in jedem Gespräch mit der Partei irgendwann das Geraune beginnt von den Dingen, die man angeblich nicht sagen dürfe, obwohl all das deutlich ist, hat in der Berichterstattung am Wahlabend an einigen Stellen das Instrumentarium gefehlt, damit umzugehen.

Defizite wurden besonders beim MDR sichtbar. Wiebke Binders ARD-Kollege Arnd Henze, Ex-Hauptstadtjournalist und jetzt beim WDR, twitterte, viele Mitarbeiter seien über deren Moderation irritiert. "Aber beim MDR verwischen nicht zum ersten Mal die Grenzen nach ganz rechts!" Später schrieb er auf Anfrage: "Es war nicht meine Absicht, den MDR, die Kolleginnen und Kollegen und deren Arbeit zu diskreditieren." Seine persönliche Kritik habe sich "vor allem auf ein kontrovers diskutiertes und abgesagtes Podiumsgespräch des MDR zu einer Doku" bezogen.

Der Sender hatte kürzlich eine Veranstaltung anlässlich des Films Chemnitz - ein Jahr danach abgesagt, nachdem es Kritik an der Gästeliste gegeben hatte, auf der auch Arthur Österle stand. In der Doku aber kommt der Rechtsextreme ausführlich zu Wort. Im vergangenen Jahr kündigte MDR Sachsen eine Sendung mit der Frage an: "Darf man heute noch 'Neger' sagen?" Und Wiebke Binders Wahlberichterstattung verteidigte der Sender nun als Missgeschick. Sie bleibe eine wichtige Moderatorin. Am Montagabend durfte sie den ARD- Brennpunkt zu den Wahlen aus Leipzig präsentieren.

© SZ vom 03.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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