Alkoholismus:"Abhängig sind wir beide"

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Einmal hat er nach einem Rückfall gesagt: Ich trinke wieder, aber nicht mehr so süchtig. Da wusste ich: Die Krankheit hat ihn wieder voll im Griff. Ein Alkoholiker ist wie jemand, der über eine befahrene Straße rennt. Dann kommt er ins Krankenhaus und wird wieder zusammengeflickt. Und kaum ist er raus aus dem Krankenhaus, rennt er wieder über die gleiche Straße und erwartet ein anderes Ergebnis. Abhängig sind wir beide: Der Alkoholiker hängt an der Flasche und ich am Alkoholiker. Mit einem Unterschied: Wenn er gerade nicht trinkt, ist die Sucht weg. Meine abhängigen Gedanken sind immer da, ich muss mir ständig sagen: nicht kontrollieren, nicht schauen, was er macht, nicht anrufen. Vertrau ihm!

Dass sie zu einer Selbsthilfegruppe gegangen ist, hat mich zum ersten Mal auf die Idee gebracht, zu den Anonymen Alkoholikern (AA) zu gehen. Ein Therapeut, auch wenn er noch so viel Erfahrung hat, wird nie verstehen, was ein Alkoholiker fühlt. Bei einer Selbsthilfegruppe ist das anders. Anfangs fand ich es furchtbar, die redeten von Gott. Aber Gott ist nur ein Begriff für etwas anderes. Ohne einen Glauben an irgendetwas, schafft man es nicht, sein Leben zu meistern - das ist die Idee. Als erstes musste ich vor Gott zugeben, dass ich Alkoholiker bin. Erst dadurch konnte ich den Dämon erkennen, von dem ich besessen bin.

Dass ich auch krank bin, weiß ich von Al-Anon, einer Selbsthilfegruppe für Angehörige von Alkoholikern. Ich erinnere mich noch an mein erstes Meeting: Wir sind dem Alkohol gegenüber machtlos und können unser Leben nicht meistern, haben die anderen gesagt. Häh, habe ich gedacht, mein Leben nicht meistern? Wer meistert denn hier alles? Aber dass das nicht mein Leben war, sondern seins, das musste ich erst verstehen. Ich bin dort hingegangen, weil ich wissen wollte, wie ich meinen Freund trocken bekomme. Das habe ich nicht erfahren, sondern wie ich ein glückliches Leben führen kann. Egal ob er trinkt oder nicht. Dieses glückliche Leben ist immer noch mein Ziel. Dass es ihm schlecht gehen kann, und mir okay. Nicht blendend, aber okay. Manchmal funktioniert das auch.

Irgendwann kam eine Phase, in der ich mich völlig aufgab. Der bestimmende Gedanke: Ich saufe mich jetzt tot! Zwei Flaschen Wodka am Tag. Ich hatte Glück, keinen Kreislaufzusammenbruch erlitten zu haben. Dabei hatte ich gar nicht bewusst das Ziel, Suizid zu begehen, sondern das Gefühl, jetzt so exzessiv zu leben, das es mich früher oder später umbringen wird.

Vor drei Jahren war er in der Eifel zum Arbeiten und ich in Berlin. Dort hat mich ein Anruf seiner Kollegen erreicht. Er lag betrunken und weggetreten im Hotelzimmer, aber ich habe es geschafft, ruhig zu bleiben. Holt den Krankenwagen, habe ich gesagt. Ich habe es geschafft, nicht alles abzubrechen und zu ihm zu fahren. Ich bin in Berlin geblieben. Loslassen nennen wir das in der Selbsthilfegruppe. Aber ich werde nie vergessen, wie ich am Bahnhof stand. Meine Sucht hat gesagt: Fahr zu ihm. Die Vernunft: Leb dein Leben. Und wenn er stirbt? Dann stirbt er eben, habe ich plötzlich gedacht. Dann ist das Schicksal. Das war mein persönlicher Wendepunkt, da habe ich begriffen: Ich kann ihn nicht retten, ich habe es lange genug versucht.

Natürlich habe ich schon darüber nachgedacht, ob sie ohne mich besser dran wäre. Ohne mein Trinken. Ob ich sie verlassen muss.

In schweren Phasen habe ich daran gedacht, zu gehen. Immer wieder. Getan habe ich es nie. Wir sind ein gutes Team. Bin ich aufgeregt, ist er ruhig, bin ich ängstlich, macht er mir Mut, bin ich traurig, tröstet er mich.

Wir haben beide Angst, dass der eine den anderen irgendwann verlassen muss. Die Selbsthilfegruppen haben sicher geholfen, dass wir noch zusammen sind. Sie haben geholfen, dass wir offen und ehrlich über die Krankheit sprechen und sie nicht mehr verdrängen. Dass wir versuchen, uns mit Verständnis zu begegnen. Dass wir Abstand nehmen, wenn es gerade nicht so toll läuft, ohne gleich die Liebe in Frage zu stellen. Diese Offenheit hilft uns, unsere Beziehung aufrecht zu erhalten, trotz der Krankheit.

Die Basis unserer Beziehung ist Zusammengehörigkeit und Vertrauen. Trotz der Krankheit, vielleicht sogar wegen ihr. Ich versuche den Menschen von der Krankheit zu trennen und mir bewusst zu werden, wofür ich verantwortlich bin und wofür nicht. Bei aller Liebe versuche ich Grenzen zu setzen, auch mal auf Abstand zu gehen.

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